Die türkische Flagge – die Ereignisse in der Türkei werden auch im Landkreis kritisch diskutiert. Foto: Zinken

Militärputsch: Ereignisse in der Türkei werden auch im Landkreis Freudendstadt ganz unterschiedlich beurteilt.

Kreis Freudenstadt - Die Ereignisse in der Türkei erschüttern auch die türkischen Gemeinschaften in Freudenstadt. Die genauen Auswirkungen des Putschversuchs sind bisher nur schwer durchschaubar. Trotzdem haben viele Türken eine deutliche Meinung zu den Vorkommnissen.

Große Angst um ihre Verwandten und Bekannten in der Türkei haben alle. Ansonsten sehen die vom Schwarzwälder Boten befragten Türken die Vorkommnisse sehr unterschiedlich.

Ein 25 Jahre alter Verkäufer aus Wittlensweiler kann den Ausschreitungen durchaus Gutes abgewinnen. Er meint, die Ereignisse hätten etwas Positives für die Bevölkerung, da sie einigen die Augen öffnen würden. Auch die Reaktion des Volkes war in seinen Augen absolut richtig. Von Präsident Recep Tayyip Erdogan sei er weder Gegner, noch Befürworter, sagt der 25-Jährige. Er meint: "Ich glaube schon, dass es ihn stärken wird." Dass der Putschversuch inszeniert war, kann er sich nicht vorstellen: "Welcher Mensch nimmt so viele Tote und so viel Chaos in Kauf, um mehr Macht zu bekommen?"

Cuma Altum, 56 Jahre alter Gastronom aus Freudenstadt, ist völlig anderer Meinung. "Ich glaube, dass ist von Erdogan organisiert. Seit etwa sechs Jahren dreht er die Demokratie in der Türkei um", sagt Altum. Er meint, zwischen der Herrschaft Erdogans und den Handlungen des Militärs gebe es kaum Unterschiede. Auch das Auftreten der Demonstranten sieht der Gastronom kritisch. "Die Demonstrationen waren nicht demokratisch, sondern barbarisch", so Altum.

Ercan Özkul, Nurcan Dogan, Ayhan Bayram und Onur Koluman von der Alevitischen Gemeinde sind überzeugt: Hinter den Ereignissen steckt der türkische Präsident Recep Erdogan. Sie meinen, durch die Ausschreitungen konnte Erdogan noch mehr Menschen hinter sich versammeln und seine Macht weiter stärken. Ayhan Bayram erklärt jedoch: "Man muss wissen, dass unsere Meinung sich von der Meinung vieler anderer Türken unterscheidet."

Dass viele unschuldige Soldaten bei den Ausschreitungen ums Leben kamen, interessiere viele Türken gar nicht, so Bayram. Er ist bestürzt und sagt, Erdogan habe die Situation ausgenutzt, um viele Richter aus dem Amt zu nehmen. Viele Menschen in der Türkei seien dem gegenüber blind. "Sie glaubten nur das, was in der Moschee gepredigt wird", fügt Bayram an.

Nurcan Dogan meint, Erdogan stehe vor dem Volk nun als Held da und wolle dies für seine Zwecke nutzen. Kurz habe sie Angst gehabt, dass die Lage eskalieren könne, doch hätten einige Dinge dafür gesprochen, dass die Vorkommnisse inszeniert seien. Insbesondere die reibungslose Kommunikation mit ihren Verwandten in der Türkei spreche dafür, dass der versuchte Putsch nicht echt war. Zwar wird Dogan bald in die Türkei fliegen, jedoch habe sie zum ersten Mal ein mulmiges Gefühl dabei, das Land zu besuchen.

Auch der 17-jährige Erdem hat etwas Angst davor, Ende des Monats mit seiner Familie die Türkei besuchen. "Ich hoffe, dass so etwas nie wieder vorkommt", sagt er. Der Schüler glaubt zwar, die Ereignisse seien für Präsident Erdogan positiv gewesen, dass er den Putschversuch inszeniert hat, kann sich der junge Mann jedoch nicht vorstellen. Auch seine Verwandten in Istanbul waren unter den Demonstranten gegen die Putschisten. Er hofft, dass es in der Türkei nun besser weitergeht.

Ein 25 Jahre alter türkischer Unternehmer aus Freudenstadt hat großes Vertrauen in seine Landsleute. Er glaubt, das Anliegen der Putschisten sei gewesen, den Ruf des Landes zu schädigen. Sie seien jedoch nicht im Stande gewesen, die Macht im Land zu übernehmen, denn der Stolz der Türken sei sehr groß, und die Menschen im Alter von sieben bis 70 seien bereit, für ihr Land zu kämpfen. Dass Erdogan hinter den Ereignissen steckt, glaubt der 25-Jährige nicht. "Das Land ist Erdogan zu wichtig, um einen Putsch zu organisieren." Für die Menschen in der Türkei – egal ob Rechtsradikale, Linke oder Fanatiker – sei das Land wie die Mutter. Und gegen die mache man eben keinen Aufstand, fügt der Freudenstädter an.

Auch Muharrem Kürtbagi aus Horb schaut derzeit intensiv auf die Geschehnisse in seinem Heimatland. Mit großer Sorge sieht er die Entwicklung in den vergangenen Monaten und Jahren. "In der Türkei kann man nicht mehr von Demokratie sprechen – auch wenn das Bundeskanzlerin Merkel so tut." In der Nacht zum Samstag wurde Kürtbagi durch eine SMS geweckt und verfolgte dann gebannt die Entwicklungen in der Türkei: "Der Putsch war einfach nur dilettantisch. Das war mir schon in der Nacht klar." Außerdem habe das Ganze irgendwie ein "Geschmäckle", findet auch der Horber. "Es ist schon erstaunlich, dass jetzt so schnell tausende Richter entfernt werden." Er selbst war vor zwei Wochen noch in seiner Heimatregion in Südanatolien – nicht weit von der syrischen Grenze entfernt.

Gaziantep, seine Heimatstadt, ist mehrheitlich von Kurden bewohnt. "Es ist erschreckend, wie Erdogan ganze kurdische Dörfer platt macht", sagt Kürtbagi, der selbst kein Kurde ist, besorgt. In den Medien werde darüber geschwiegen. Er selbst werde auch weiterhin in die Türkei fahren und sich seine Meinung nicht verbieten lassen.

So verschieden die Haltungen der Befragten sind, sie alle stellen fest, dass es zwischen den Berichten in sozialen Netzwerken, deutschen und türkischen Medien große Unterschiede gegeben habe.