Die Chupis leben seit 2014 in der Doppelgemeinde / Krebserkrankung des Familienvaters ist ein schwerer Schicksalsschlag

Von Karin Schmidtke

Fluorn-Winzeln. "Es ist schwierig einen Arbeitsplatz zu finden. Gerne würde ich putzen gehen", erklärt Belkize Chupi, Flüchtling aus Mazedonien. Mit ihrer Tochter Delfina durchforstet sie die Anzeigen in der Zeitung. Auch Delfina hofft auf einen kleinen Job, um sich etwas Taschengeld aufzustocken.

"Ich möchte mit meiner Familie hier leben. Und ich möchte Geld verdienen, um sie zu ernähren", macht Belkize klar. Kaffeeduft steigt aus zwei Tassen auf. An der Wand wartet eine Dartscheibe auf den nächsten Treffer. Die Möbel und einige Spiele für die Kinder sehen gebraucht aus, aber sie erfüllen ihren Zweck. Zu den Luxusgütern zählt der Fernseher, ein altes Röhrengerät. Aufmerksam lauschen Delfina (15 Jahre), Deshira (13), Adivije (elf) und Ramadan (neun) im Wohnzimmer den Gesprächen. Vom Esstisch aus hört Ehemann Atli zu. Vor seiner Krebserkrankung arbeitete er in Mazedonien auf dem Bau. Ein knappes Jahr lebt die Familie mittlerweile in Fluorn.

Mutter Belkize wurde in Debar geboren. Albanisch wird dort gesprochen. Es gibt einen kleinen See. In den Wintern fällt ordentlich Schnee, die Sommer sind heißer als in Deutschland. Touristen sieht man in Debar kaum. Belkize hat drei Brüder. Der Vater arbeitete auf dem Bau, die Mutter war Hausfrau. Schon damals war das Geld knapp. Ab und zu sprang das Sozialamt ein. Ihre Eltern versuchten in Deutschland Fuß zu fassen. Belkize war neun Jahre alt, ging in Neukirchen zur Schule, lernte deutsch. Nach drei Jahren wurde die Familie abgeschoben. Bitter zerbrach die Perspektive auf ein besseres Leben.

16 Jahre alt war Belkize, als sie mit dem Einverständnis der Eltern Atli heiratete. Ein Fest gab es nicht. Für ein weißes Kleid fehlte das Geld. So mussten Hose und T-Shirt reichen, und die Liebe zwischen dem Paar besiegelte die Ehe. Ein Jahr später wurde Delfina geboren. Gewohnt hatte die Familie in zwei Zimmern, Küche und Bad. Das Wasser musste auf dem Ofen erhitzt werden. Alles war knapp. Deshira und Adivije wurden geboren. Dann brach die Katastrophe über die Familie herein. Bei Atli wurde ein Krebstumor am Rücken festgestellt. Die erste Operation wurde 2004 gemacht. Hoffnung keimte auf. Ramadan wurde 2006 geboren. 2011 folgte eine weiterer Eingriff. Operabel ist der Krebs aktuell nicht mehr, er kann nur noch bestrahlt werden.

In der Heimat arbeitete Belkize zwei Jahre lang im Krankenhaus – ohne Arbeitsvertrag, ohne Lohn. Von Monat zu Monat wurde sie vertröstet. Die Schwiegermutter verdiente 200 Euro und ernährte damit die ganze Familie. Den sechs Personen standen in Mazedonien 50 Euro im Monat zu. Die Preise sind ähnlich wie in Deutschland. Irgendwann war das Maß voll. Die Familie hielt es nicht mehr aus. Jeder packte eine Tasche, einen Koffer mit ein wenig Kleidung, etwas Proviant.

Der Kalender zeigte den 5. Oktober 2013 an. In Struga setzte sich die Familie in den Bus. 24 Stunden später stiegen sie als Asylanten in Stuttgart aus. "Von dort mussten wir nach Karlsruhe ins Asylheim gelangen. Eine Freundin hatte mir den Tipp dazu gegeben", erinnert sich Belkize.

Zwei Monate kamen die Eltern und ihre vier Kinder im Asylheim unter. "Die erste Nacht schliefen wir auf dem Gang vor den Toiletten. Die Kinder hatten schlimm geweint. Aber all das war besser als in Mazedonien zu bleiben", erinnert sich Belkize. Dann kamen sie in ein Zimmer mit insgesamt vier Doppelstockbetten. Den Raum teilte sich die sechsköpfige Familie mit einer Mutter und ihrem Sohn aus Serbien, sowie einem jungen Paar mit Baby aus dem Kosovo.

Dann folgte am 19. November der Umzug in die Unterkunft nach Rottweil. Dort lebten sie mit einer sechsköpfigen Familie aus Syrien zusammen und einem Algerier, der alleine geflüchtet war.

Eine Drei-Zimmer-Wohnung teilten sie sich, wobei jede Familie sich über ein eigenes Zimmer dankbar zeigte. Wie die Chupis waren auch die anderen Muslime und man kam im Großen und Ganzen harmonisch miteinander aus. "In anderen Wohnungen lief das nicht immer so problemlos ab", verriet Belkize. Ein Wunder ist das wohl kaum, wenn die Leute so eng aufeinander leben.

Im September 2014 bekamen die Chupis die Wohnung in Fluorn. Drei Zimmer, Küche, Bad stehen der Familie zur Verfügung. Noch wichtiger erwiesen sich aber die Menschen. "Wir haben hier Leute gefunden, die uns sehr helfen", spricht Belkize mit Dankbarkeit in der Stimme. Die Kinder haben Freunde gefunden. Delfina ging in Mazedonien zuletzt bis zur siebten Klasse in die Schule. Es gab nur acht Klassen, wobei mittlerweile eine neunte Klasse eingeführt wurde. Hier strengt sich die Schülerin vorbildlich an. Sie möchte eine Ausbildung bei einem Kinderarzt absolvieren. Den Lehrvertrag hat das fleißige Mädchen schon so gut wie in der Tasche.

An welchen schönen Dingen kann sich Belkize erfreuen? Ihre Kinder sind ihr ein und alles. "Aber Mama hört auch gerne Musik", verrät Delfina. "Und putzen ist mein Hobby", schmunzelt Belkize. Da ist sie in einer schwäbischen Kleinstadt gut aufgehoben. Und Handarbeiten liebt sie. Ob die Familie manchmal das Heimweh plagt? "Nein!", platzt es aus Nesthäkchen Ramadan heraus und er schüttelt energisch den Kopf. Nach Debar möchte er nicht zurück.