Der Flughafen als multinationale Umgebung Foto: AP

Ein britischer Anthropologe beoachtet Flugpassagiere - und erlebt Überraschendes.

Manchester - Eltern mit schreienden Kindern, feixende Jugendliche, Flugangst-Kandidaten und angespannt telefonierende Geschäftsleute - der Flughafen Manchester bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Dass sie dabei aufmerksam von Damian O'Doherty beobachtet werden, wissen die wenigsten. Mehr als 4000 Stunden hat der Anthropologe bereits am Airport verbracht und jenen Mikrokosmos durchleuchtet, den wir bei unserer Hast zum Flugsteig kaum wahrnehmen. "Flughäfen entwickeln sich zu neuartigen Städten", sagt der Forscher. "Der Ort prägt für viele eine eigene Lebensart." Zu verstehen, was diese Orte zusammenhält, wie das Miteinander neben Lounge und Landebahn funktioniert, hat ihn motiviert, sich am Flughafen Manchester einzuquartieren - ein Jahr lang, täglich 18 Stunden.

Dass Fliegen ganz andere Dinge mit dem Menschen macht als Zugfahren, hat den 43-Jährigen verblüfft: "Der Vielflieger mag den Ort ganz anders empfinden als der Durchschnittsurlauber, der sich nur einmal im Jahr zwischen Parkhäusern und Duty-free-Shop verirrt, doch beide hören mit Betreten der Abflughalle auf, Bürger eines Staates zu sein. Sie werden Teil eines globalen Stroms." Geschlecht, soziale Schicht und Herkunft verlören in dieser multinationalen Umwelt an sozialer Bedeutung. "Andererseits wird viel penibler als in der Welt jenseits der gläsernen Drehtüren darauf geachtet, wie man spricht und sich kleidet."

Der Flughafen - ein Dauerbüro

Der "Terminal Man", wie britische Medien den Anthropologen bereits in Anspielung auf jenen Mann nennen, der 18 Jahre lang im Pariser Flughafen Charles de Gaulle hauste, steht vor der Aufgabe, Empfehlungen für Flughafenbetreiber zu entwickeln. Ziel sei es, Flughäfen so zu gestalten, dass es angenehmer ist, sich dort aufzuhalten. "Der Flughafen ist für immer mehr Menschen ein Dauerbüro", erklärt der Brite. "Zu dieser Gruppe gehören immer mehr Geschäftsleute, die von Metropole zu Metropole pendeln, ihre Besprechungen am Airport abhalten, zwischendurch per Laptop einen Deal besiegeln und vor dem Weiterflug noch schnell den Freunden und Verwandten etwas twittern", erklärt er. Eine ganze Branche beschäftigt sich mit der Gestaltung von Flughäfen, plant den Parcours der Reisenden, legt fest, wo Cafés, Sitzgelegenheiten und Zeitschriftenläden zu finden sind. Ihnen will O'Doherty mit seinen Ergebnissen bei der Planung helfen.

Stress bleibt für Passagiere das größte Problem: Wutanfälle am Check-in-Schalter, an der Bar, wenn kein Bier mehr ausgeschenkt wird, Nervenzusammenbrüche am Gate - O'Doherty kennt alle Launen und Schwächen der Menschen am Airport. "Die Beschäftigten in der Abfertigung haben für die Symptome sogar einen eigenen Begriff", berichtet er. "Sie sprechen von ,airport brain' (auf Deutsch: Flugschädel), wenn sonst ruhige Passagiere am Flughafen zu Monstern mutieren." Die Umgebung mache zusätzlich nervös: "Flughäfen wirken wie Discotheken: Überall flackern Lichter, spielt Musik, entsteht Lärm", sagt O'Doherty. Man sei gefangen in einem nervtötenden und grellbunten Ambiente.

O'Doherty glaubt, dass es helfen würde, Flughäfen wie Kathedralen zu gestalten, sie in luftige Gebäude umzuwandeln, die nicht mit blinkendem Kommerz, sondern mit regionalen Kunstwerken geschmückt sind. Die gewinnorientierten Betreiber seien allerdings kaum bereit, ihre lukrativen Immobilien zu entrümpeln. Die zweite Option sei deshalb, Flughäfen zu einer Art Disneyland umzugestalten, in denen der Spaß regiert. "Warum nicht dem Sicherheitspersonal lustige Uniformen im Stil der Komödie ,Die Superbullen' oder von ,Star Wars' verpassen?"

Drama und Komödie

Ob sich die nervöse Unruhe allerdings jemals so ganz durch optische Verbesserungen wegzaubern lässt, weiß selbst der Anthropologe nicht. "Airports sind nun einmal extrem emotionale Orte - Leute verlieben sich hier, trennen sich, sehen sich nie wieder oder kommen nach 25 Jahren wieder zusammen", sagt er. "Wer in der Ankunftshalle das Mienenspiel in den Gesichtern der Wartenden beobachtet, versteht, wie viel Instabilität hier herrscht." Die existenzielle Seite des Fliegens - Menschen mit Flugangst wissen, was gemeint ist - sei ohnehin durch nichts wegzuorganisieren. "Dass man in einer fliegenden Blechbüchse sicher in New York ankommt, hängt davon ab, dass Tausende Beteiligte ihren Job gut machen", sagt O'Doherty. "Wir alle fühlen mehr oder weniger deutlich, dass wir mit dem Fliegen eine gefährliche Grenze überschreiten. Dem Tod sind wir nirgendwo näher als im Flughafen."

O'Doherty schlägt allen Gestressten vor, den Ort mit den Augen eines Flaneurs zu betrachten: neugierig auf die Architektur zu schauen und zu beobachten, "dass wir am Airport alle Schauspieler auf einer Bühne sind, wo Drama und Komödie gespielt werden. Und mit etwas Glück lässt sich sogar ein Blick hinter die Kulissen erhaschen."