David Fiennes und Nicole Kidman in „Strangerland“ Foto: Verleih

Am Sonntag ist das Fantasy-Filmfest in Stuttgart zu Ende gegangen. Geboten wurde ein weites Spektrum von Filmen zwischen Thriller, Trash und Seelendrama und erfreulich viele deutschsprachige Beiträge.

Das Schneidebrett liegt bereit. Behutsam werden Ringfinger und kleiner Finger auf die Schneidefläche gelegt, die anderen Finger abgespreizt. Jetzt wird das Küchenbeil langsam angesetzt, der Schmerz bricht sich Bahn. Das Abtrennen der Finger ist das letzte Detail, das Sébastien noch fehlt, um ein anderer zu werden.

Weil ihm sein eigenes Leben viel zu trist erscheint, hat sich der vollkommen unscheinbar wirkende Immobilienmakler ein Hobby zugelegt: In seiner hermetisch abgeriegelten Werkstatt verwandelt er sich mit Hilfe der hohen Kunst der Maskenbildnerei in seine Kunden. Bis ins letzte Detail gleicht er seinen Vorbildern, ahmt ihre Stimmen, ihre Gesten nach und lebt für wenige Stunden deren Leben vollkommen unerkannt. Als er jedoch in die Rolle eines reichen Geigers schlüpft, der seit dem Verlust zweier Finger nicht mehr spielen kann, gibt es plötzlich kein Zurück mehr, und sein Leben ändert sich von Grund auf.

Ein Nobody wird zum Stargeiger

„Nobody from Nowhere (Un illustre inconnu)“ heißt der Film, der als einer der Höhepunkte des am Sonntagabend zu Ende gegangenen Fantasy-Filmfests in Erinnerung bleiben wird. Mathieu Kassovitz spielt darin nicht nur den kleinen Angestellten, der sich im Laufe der Geschichte von der grauen Maus zu einer respektablen Persönlichkeit entwickelt, sondern auch noch die Rolle des Geigers. Zwei Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten und die dank computergesteuerter Kameras sogar interagieren können.

Perlen wie diesen von Matthieu Delaporte inszenierten Psycho-Thriller galt es, in dem umfangreichen Programm des diesjährigen Fantasy-Filmfests aufzuspüren. Denn längst nicht alle dort gezeigten Filme waren von so herausragender Qualität. Doch zweit- und drittklassige Ware gehört zu einer solchen Filmschau ebenso dazu wie anspruchsvolle Kost.

Vampire und kampferprobte Riesenfrösche

Bei der Organisation eines solchen Festivals braucht es eine gute Portion Mut, um andersartige Filme zu platzieren. Zu diesen gehört „Yakuza Apocalypse“. Wäre Herbert Achternbusch ein Japaner, so würde er vermutlich Takashi Miike heißen. Denn in seinem Film werden Yakuzas, Vampire und kampferprobte Riesenfrösche zu einem bizarren Mix zusammengewürfelt, der im gefüllten Kinosaal ebenso viel Achselzucken wie Gelächter erzeugte. Ebenfalls aus Japan: Tetsuya Nakashimas knallharter Thriller „The World Of Kanako“, in dem ein abgehalfterter Privatdetektiv nach seiner verschollenen Teenager-Tochter sucht. Mit atemberaubender Bildsprache, superschnellen Schnitten und bombastischem Sound geht es hinab in die Abgründe der menschlichen Seele. Zwar etwas zu lang, aber trotzdem wahrhaft beeindruckend.

Mit großem Spaßfaktor ging „Turbo Kid“ ans Werk. Die vom Regie-Trio Anouk Whissell, François Simard und Yoann-Karl Whissell inszenierte neuseeländisch-kanadische Koproduktion ist eine brillante Hommage an die Trash-Filme der 70er und 80er Jahre. Und der actionreiche Film gibt sich sogar so, als wäre er in jener Zeit entstanden: Das postapokalyptische Jahr ist hier 1997! Verfolgungsjagden auf BMX-Rädern, Viewmaster-Scheiben als Erinnerung an die Zeit vor der Apokalypse und VHS-Kassetten als Holzersatz fürs Lagerfeuer – die Liebe zum Detail könnte nicht größer sein. Da wundert es kaum, dass das Publikum sich zu spontanem Applaus hinreißen ließ.

Verstörende Bilder, grandioses Sounddesign

Weit weniger lustig, dafür umso spannender gibt sich der australische Psycho-Thriller „Observance“ von Joseph Sims-Dennett. Darin soll ein Privatdetektiv für einen unbekannten Auftraggeber eine junge Frau überwachen; mit der Zeit vermischen sich Halluzinationen und Wirklichkeit. Mit teils verstörenden, sich oft in Details verlierenden Bildern und einem grandiosen Sounddesign entwickelt der Film eine geradezu hypnotische Sogwirkung.

„Sind wir gute Eltern? Haben wir alles richtig gemacht?“ – Diese Frage stellt Nicole Kidman in dem australisch-irischen Thriller „Strangerland“. Darin spielt sie eine Mutter, deren minderjährige Kinder im australischen Ödland spurlos verschwinden. Das alles bleibt extrem spannend, weil Vieles nur angedeutet wird und damit den Zuschauer auffordert, eigene Schlüsse zu ziehen.

Eine neue Generation deutschsprachiger Filmemacher macht Hoffnung

Erfreulich: Noch nie wurden auf dem Fantasy-Filmfest so viele deutsche oder deutschsprachige Produktionen gezeigt wie in diesem Jahr: „Der Bunker“, „ABCs Of Superheroes“, „Stung“, „Therapie für einen Vampir“ oder der Kurzfilm „Hermann The German“ machen deutlich, dass es mit dem Genrefilm aus heimischer Produktion bergauf geht. Hier etabliert sich eine neue Generation von Filmemachern, die vollkommen unverkrampft mit Horror- und Fantasy-Filmen aufgewachsen sind und jetzt auf überzeugende Weise ihren Vorbildern huldigen. Das macht Hoffnung!