Wer sein Geld richtig anlegt, hat am Ende mehr davon. Foto: dpa

Bankrechtsexperte: Nicht immer ist die Bank Schuld, wenn die Geldanlage schief läuft.

Stuttgart - Eine gute Bankberatung ist wichtig, aber sie entlässt den Anleger nicht aus der eigenen Verantwortung, sagt Matthias Thume. Der Bankrechtsexperte, der im Prozess die Bankseite vertritt, erklärt, warum nicht immer die Bank schuld ist, wenn die Geldanlage schiefläuft.

Herr Thume, als Rechtsanwalt, der auf Bankrecht spezialisiert ist, sind Sie doch bestimmt der Schrecken jedes Bankberaters. Sie wissen genau, wann Sie Falschberatung geltend machen können?

Ich hoffe nicht, dass ich der Schrecken von Bankberatern bin. Die brauche ich meistens als Zeugen im Prozess. Aber natürlich weiß ich sehr genau, worauf es bei einer Bankberatung ankommt und kann im Prozess in einem frühen Stadium sagen, ob sich eine Bank besser vergleichen sollte oder ob man in die Beweisaufnahme gehen kann.

Gehen Sie immer mit einem Zeugen zur Anlageberatung?

Nein. Ich gehe auch nicht mit einem Zeugen zum Zahnarzt. Wenn ich solche Vorbehalte gegenüber einer Bankberatung habe, dass ich mir überlege, ob ich einen Zeugen brauche, dann sollte ich gar nicht zur Bank gehen.

Der Bundesgerichtshof hat kürzlich Schadenersatzklagen von Lehman-Anlegern abgewiesen. Lässt sich von dem Urteil schon auf den Ausgang weiterer Verfahren schließen?

Nein. Jeder Fall liegt anders. In den vom BGH am 27. September entschiedenen Fällen hatte bereits das Hanseatische Oberlandesgericht festgestellt, dass die Anleger ordnungsgemäß beraten wurden. Der Bundesgerichtshof hat sich dann im Wesentlichen nur mit der Frage beschäftigen müssen: Hätte die Bank über ihre Gewinnmarge aufklären müssen? Hier hat der XI. Senat des BGH gesagt, die Bank muss nicht über ihre Gewinnmarge aufklären, wenn sie die Zertifikate aus ihrem Bestand verkauft und nicht in Kommission für den Anleger besorgt. Damit ist noch nicht gesagt, ob in anderen Fällen die Beratung in Ordnung war.

Der BGH unterscheidet, ob der Kunde bei einer Bank oder einem freien Finanzvermittler ein Geschäft abschließt. Warum gibt es diese Unterscheidung?

Dass die Rechtsprechung hier differenziert, liegt daran, dass unterschiedliche Senate beim BGH im Spiel sind: Der XI. Senat, der die Bankberatung beurteilen muss, und der III. Senat, der die Beratung von freien Finanzvermittlern beurteilen muss. Der Bankrechts-Senat sagt, Banken müssen den Kunden bei Wertpapiergeschäften über Rückvergütungen informieren. Rückvergütung sei, wenn die Bank hinter dem Rücken des Kunden Provision erhält. Allerdings will der III. Senat die Rechtsprechung des XI. Senat zu Rückvergütungen nicht mitmachen, traut sich aber nicht, das auszusprechen. Richtigerweise müsste der III. Senat, wenn er mit der Rechtsprechung des XI. nicht einverstanden ist, den Großen Senat für Zivilsachen anrufen.

Kein Kunde ist sich des Unterschieds bewusst, ob die Bank als Vermittlerin Zertifikate verkauft oder ob sie die Zertifikate aus ihrem Bestand an Kunden weiterverkauft.

Das sehe ich genauso. Der Unterschied ist für den Kunden oft nicht erkennbar. Klar ist aber auch, dass jeder Verkäufer Gewinn erzielen möchte. Wenn ich in ein exquisites Modegeschäft gehe, um mir dort einen Anzug zu kaufen, dann treffe ich dort auch auf einen Mitarbeiter, der berät und verkauft. Es wäre doch absurd, wenn ich nach zwei Jahren komme und sage, er kann den alten Anzug jetzt wiederhaben. Ich möchte mein Geld zurück, weil ich nicht wusste, dass mit dem Anzug Gewinn gemacht wird. Man hat mir die Einkaufspreise nicht genannt. Das zeigt, dass die ganze Rechtsprechung über Rückvergütung eine Komponente hat, die über das Bankrecht hinausgeht: das Vertriebsrecht.

Welches Bild von einem Anleger hat der Bundesgerichtshof? Stimmt das überhaupt mit der Realität überein?

Der Bundesgerichtshof zwingt die Banken zu umfassender Aufklärung des Kunden. In der Praxis zeigt sich leider, dass viele Anleger gar nicht alle Informationen haben wollen. Die Prospekte von Zertifikaten beispielsweise sind sehr umfangreich. Viele wollen das nicht alles lesen. Es gibt Anleger, die vertrauen ihrem Berater und wollen nur eine Empfehlung von ihm. Hier geht die Rechtsprechung an der Realität vorbei.

Es gibt aber auch viele Fälle, in denen nicht im Sinne des Anlegers beraten wurde.

Es gibt natürlich Fälle, in denen der Kunde nicht richtig über die Risiken aufgeklärt wird. Oftmals sieht die Sache aber auch ganz anders aus. Die Telefonberatung zum Beispiel wird oft von Leuten genutzt, die beruflich sehr eingespannt sind und gut verdienen. Sie rufen ihren Bankberater an und fragen nach einer Empfehlung mit besserer Rendite. In den Prozessen sind es gerade diese erfahrenen Anleger - und nicht die 90-jährige Oma, die bislang ihr Geld im Sparstrumpf gehortet hat -, die sagen, sie haben keine schriftlichen Informationen bekommen, und der Bankberater habe nichts über die Risiken gesagt.

Schon in der Schule sollte viel mehr über Geldanlage informiert werden.

Anleger verstehen oft die ausgehändigten Unterlagen überhaupt nicht.

Daher sollte man das Thema viel grundsätzlicher angehen. Schon in der Schule sollte viel mehr über Geldanlage informiert werden. Bereits Schüler sollten ein Grundwissen erhalten, was es für Anlagemöglichkeiten gibt, wie diese funktionieren und wonach sie in der Beratung fragen müssen. Das braucht später jeder, der ein bisschen gespart hat. Wenn ich Gesetzgeber wäre, würde ich auch einen Anlegerführerschein einführen - Kurse, die man besuchen muss, um Produkte aus bestimmten Risikoklassen erwerben zu können.

Verbraucher und Bank treffen sich immer häufiger vor Gericht. Was läuft da schief?

Die Kunden sind misstrauischer geworden - auch durch das Medieninteresse an Falschberatungen. Die Hemmungen, zum Anwalt zu gehen, sind viel geringer geworden. Die Rechtsprechung sagt, die Bank muss über alle wesentlichen Risiken aufklären, unabhängig davon, ob sie hinterher eintreten oder nicht. Völlig anders sieht es beispielsweise bei der Arzthaftung aus. Angenommen der Arzt klärt mich über eine Behandlung auf, er weist mich auf das Schlaganfallrisiko und das Herzinfarktrisiko hin, vergisst aber zu erwähnen, dass es auch zu einer Lungenembolie kommen kann. Wenn ich die Behandlung eingehe und dann einen Herzinfarkt erleide - wenn also eintritt, worauf der Arzt hingewiesen hat -, dann kann ich hinterher nicht sagen, er habe mich nicht über das Risiko der Lungenembolie aufgeklärt und muss deshalb Schadenersatz zahlen. Im Bankrecht ist dies anders. Anlegeranwälte suchen daher - übertragen gesprochen - meist nach dem verschwiegenen Risiko einer de facto gar nicht eingetretenen Lungenembolie.

Was läuft noch schief?

Schiefgeraten ist etwa schon der Ansatz der Rechtsprechung zu Rückvergütungen. Viele Kunden wissen doch, dass Banken etwas verdienen. Ich erinnere mich an einen Fall, bei dem ein Vertriebsleiter einer Versicherung vor Gericht sagte, er wusste nicht, dass die Bank an dem Fondsprodukt, das er gekauft hatte, etwas verdient. Als Vertriebsleiter wusste er sehr genau, was bei Produkten an Vertriebsprovisionen im Hintergrund fließt. Er wusste angeblich auch nicht, was Eigenkapitalvermittlungskosten sind, die im Fondsprospekt ausgewiesen waren. Obwohl das genau die Vertriebsprovisionen sind, mit denen er tagtäglich zu tun hat.

Nach der Lehman-Pleite hat der Gesetzgeber den Verbraucherschutz gestärkt. Es gibt jetzt das Beratungsprotokoll und den Beipackzettel für Finanzprodukte. Hätten dann weniger Anleger Lehman-Zertifikate gekauft?

Bestimmt nicht. Es gab ganz unterschiedliche Lehman-Zertifikate mit unterschiedlichen Risikoprofilen. Nicht alle waren aus damaliger Sicht riskant. Die Pleite war zu der Zeit, als die meisten Papiere verkauft wurden, als konkretes Risiko nicht zu sehen. Es war unwahrscheinlich, dass Lehman pleitegeht. Bei einem Zertifikat gibt es natürlich immer das theoretische Risiko, dass der Herausgeber ausfällt. Der BGH hat in den Lehman-Fällen daher auch gesagt, dass zwar über das allgemeine Emittentenrisiko aufgeklärt werden musste, nicht aber über das unwahrscheinliche konkrete.

Die Finanzaufsicht Bafin ermittelt in Sachen Beratungsprotokolle gegen mehrere Bankinstitute. Worum geht es da?

Die Bafin hält sich sehr zurück mit Informationen, sie hat die Banken nicht namentlich genannt. Es scheint so zu sein, dass wohl einige Banken gar kein Beratungsprotokoll übergeben haben - das wäre ein krasser Verstoß - oder, dass das Beratungsprotokoll nicht richtig war.

Was kann das Ergebnis sein? Verwarnungen? Wird das etwas ändern?

Es wird sicher Bußgelder geben - bis zu 50.000 Euro pro Verstoß. Die Höhe liegt im Ermessen der Bafin. Beim ersten Mal wird es einer großen Bank nicht arg wehtun, aber wenn es mehrere Fälle werden, wird es teuer.

Viele Banken fordern Kunden auf, das Beratungsprotokoll zu unterschreiben. Ist das zulässig? Sollten Kunden das tun?

Die Unterschrift ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Ich würde jedem Kunden raten, das Beratungsprotokoll sorgfältig zu lesen. Steht etwas drin, was aus Kundensicht nicht richtig ist, würde ich das Produkt gar nicht kaufen. Wenn mir der Berater ein Protokoll mit Informationen gibt, über die wir nicht gesprochen haben, breche ich die Beratung ab. Aber wenn ich einverstanden bin mit dem, was im Protokoll steht, spricht nichts gegen die Unterschrift.

Wann haben Sie sich das letzte Mal in Ihrer Bank beraten lassen?

Das ist schon ganz lange her. Ich muss gestehen, das war keine gute Beratung. Damals habe ich Telekom-Aktien der dritten Tranche gekauft. Der Berater meinte, da kann nichts passieren. Nach dem Kauf habe ich dann die Kursentwicklung verfolgt, und als ich sah, dass die Banken Stützungskäufe machen mussten, um den Kurs zu stabilisieren, habe ich mich innerhalb von zehn Tagen wieder von den Aktien getrennt. Obwohl ich Verluste gemacht habe, wäre ich nie auf die Idee gekommen, die Bank zu verklagen. Als Kunde muss man gut aufgeklärt werden, aber die Entscheidung hat man selbst zu verantworten.