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Die Folge von Freispruch und Wiederaufnahme im Fall Harry Wörz kann noch lange gehen.

Mannheim/Karlsruhe. Das Urteil der Mannheimer Richter beinhaltete zugleich die Vorlage für die nächste Anklage: So unverblümt wie die dritte Große Strafkammer des Landgerichts hat noch selten ein Gericht einen Zeugen zum Hauptverdächtigten gemacht. Nicht Harry Wörz, 43, gelernter Gas- und Wasserinstallateur aus Birkenfeld bei Pforzheim, soll seine von ihm geschiedene Frau 1997 beinahe erdrosselt haben, so dass sie heute schwer hirngeschädigt ist, sondern Thomas H., ihr Geliebter. Der Polizist und Kollege des Opfers war in dem Prozess noch als Zeuge geladen, wo er sich durch ungeschickte Aussagen ("Da hab' ich absolut keine Erinnerung") selbst verdächtig gemacht hat.

Jetzt wird gegen den 50-Jährigen wegen versuchten Mordes ermittelt. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe will das ursprüngliche Verfahren, das sie direkt nach der Tat vor fast 13 Jahren eingeleitet und später eingestellt hatte, wieder aufnehmen. Das "Dezernat Sonderfälle" des Regierungspräsidiums Karlsruhe nimmt sich dieses sehr speziellen Falles an. Seine Dienststelle, das Polizeirevier Pforzheim, hat H. bereits suspendiert. Er bleibt aber vorläufig auf freiem Fuß.

Ob Anklage gegen den früheren Geliebten des Opfers erhoben wird, hängt eng damit zusammen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe über Wörz' Freispruch vom Oktober urteilt. In dieser Woche sind die Revisionen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage fristgerecht eingegangen. Bis zu einer Entscheidung des BGH kann bis zu einem Jahr vergehen. Wird der Freispruch bestätigt, wäre das Urteil rechtskräftig und der als Dauerangeklagter zu einiger Berühmtheit gekommene Wörz nach zahlreichen Ermittlungen, Freisprüchen und Wiederaufnahmeverfahren über zwölf Jahre und 1675 Tagen hinter Gittern endgültig frei. Ihm stünde in dem Fall eine Haftentschädigung in Höhe von 41.825 Euro zu.

Erkennt die oberste Instanz in Strafverfahren in Deutschland jedoch Verfahrensfehler und die Revisionsgründe von Staatsanwaltschaft und Nebenklage an (allein die Schrift der Familie des Opfers umfasst 145 Seiten), würde der Fall ans Mannheimer Landgericht zurückverwiesen. Eine andere Kammer müsste den Fall erneut prüfen.

Thomas H. wäre dann (fürs Erste) aus dem Schneider, weil zwei Prozesse in ein und demselben Fall verfahrenstechnisch zwar denkbar, praktisch aber ausgeschlossen sind. Für eine Tat können in Deutschland nicht zwei verschiedene Personen angeklagt werden, es sei denn, sie haben gemeinsame Sache gemacht, was in diesem Fall aber ausgeschlossen ist.

Wörz' Anwalt Hubert Gorka hat für den Fall einer Aufhebung des Freispruchs den Gang vors Bundesverfassungsgericht angekündigt. Damit will er verhindern, dass das Hin und Her von Freispruch und Wiederaufnahmeverfahren noch ewig weitergeht. Theoretisch ist das möglich. Für ein neues Verfahren gegen Wörz müssen nur neue Tatsachen geschaffen werden. Wie der letzte Prozess vor dem Mannheimer Landgericht bewiesen hat, ist das auch nach so langer Zeit noch ohne weiteres möglich. Die dritte Große Strafkammer hat in ihrer Urteilsfindung alle anderen Beweisführungen zuvor förmlich auf den Kopf gestellt. Ein Ende in einem der längsten Justizdramen der deutschen Rechtsgeschichte ist also vorerst nicht absehbar.

Harry Wörz befindet sich nach Angaben seines Anwalts auch drei Monate nach dem Freispruch noch immer in einer "schwierigen psychischen Verfassung. Er ist noch nicht in der Lage, das alles zu verarbeiten."Laut Gorka lebt der 43-Jährige mit Frau und Kind an einem unbekannten Ort zusammen und geht "einer geregelten Arbeit" nach. Zu seinem gemeinsamen Sohn mit dem Opfer darf er weiterhin keinen Kontakt pflegen. Rund 2000 Anfragen, darunter von unzähligen Medien, blieben seit seinem letzten Prozess unbeantwortet.