Lampenfieber? 15 junge Häftlinge der JVA Adelsheim haben sich beim Theater-Workshop auf völlig unbekanntes Terrain begeben. Nun geht es im Gänsemarsch zu einer kleinen Aufführung, die sie selbst bestreiten müssen. Foto: Jessica Kneißler

Ablehnung, Frust, Annäherung – und kleine Erfolgserlebnisse: Alexej Boris und Tobias Grauer kommen vom Theater. Zwei Wochen haben sie Zeit , um 15 Insassen der JVA Adelsheim eine ihnen völlig fremde Welt näherzubringen.

Ablehnung, Frust, Annäherung – und kleine Erfolgserlebnisse: Alexej Boris und Tobias Grauer kommen vom Theater. Zwei Wochen haben sie Zeit , um 15 Insassen der JVA Adelsheim eine ihnen völlig fremde Welt näherzubringen.

Stuttgart/Adelsheim - Zur Belohnung ist ihnen Kuchen versprochen worden. Dafür sollen Johann, Neven, Juri (Namen geändert, d. Red.) und die anderen in einer kleinen Aufführung zeigen, womit sie sich in dieser Woche beschäftigt haben. Nicht sehr viel verlangt, eigentlich. Auch die Belohnung ist nicht gerade üppig, eigentlich. Aber hier, in der Justizvollzugsanstalt Adelsheim für jugendliche Straftäter, haben viele Dinge einen anderen Stellenwert als „draußen“: Ein Stück Kuchen ist ein Stück Luxus. Und eine Darbietung vor Zuschauern – Insassen und JVA-Mitarbeitern – ist eine Gefahr: Für das Image, die ewigen Abschottungsmechanismen, für das Ego.

Schauspieler Alexej Boris und Sprecherzieher Tobias Grauer sind an diesem Freitag wieder um kurz vor sechs Uhr früh in Richtung Adelsheim aufgebrochen. Sie tragen Trainingshosen und Turnschuhe, so wie die Jungs, denen dieses Projekt zugute kommen soll – im Rahmen des Programms „Kultur macht stark“, angeboten vom Bundesverband Freier Theater in Kooperation mit dem Bundesbildungsministerium.

Kaum einer meldete sich aus freien Stücken

Kultur? „Scheiß.“ So nennt Juri das. Erst mal noch ein kurzes Frühstück, Instantkaffee und eine Zigarette, bevor es wieder losgeht. Das wird vor allem: „voll peinlich“.

Die Teilnehmer haben sich nicht freiwillig gemeldet. Sie machen eine Ausbildung in der Schreinerei der JVA, der Workshop wird als Teil derer gewertet und anerkannt. Doch hier wird nicht mit den Händen gearbeitet; am Ende des Vormittags steht kein Stuhl, kein Tisch, kein Schrankbrett. „Was soll uns das bringen?!“, fragten sie am ersten Tag.

Schwer zu knacken sind sie, diese 15 Häftlinge zwischen 16 und 20 Jahren, deren Lebenswelt sich nun wegen unterschiedlichster Vergehen auf die rund 100 000 Quadratmeter des JVA-Geländes beschränkt. Neun Jahre und sechs Monate muss einer von ihnen absitzen. Eine sehr lange Zeit in einem jungen Leben.

In den ersten Tagen durften diejenigen, die mitmachten, kurze Szenen spielen, die sie selbst erfinden. Immer wieder läuft das aus dem Ruder – die Darsteller sind zu ungestüm. Dann greift die „Bremse“, ein Prinzip aus der Theaterlehre: „Kontrolle ist wichtig, und das haben sie auch recht schnell kapiert“, sagt Tobias. Das gelte auch im Kampfsport, ein Thema, das wiederum einige interessiert – ein kleiner Brückenschlag.

„Die Jungs wollen was erzählen"

Bei aller Ablehnung, allem Misstrauen, das Alexej und Tobias entgegenschlägt, haben sie bald erkannt: „Die Jungs wollen was erzählen. Weil sie es sonst nicht können.“ Alexej hat Din-A-4-Blätter verteilt, darauf abgedruckt ist ein Text, in dem es um Vorurteile, Ehrverständnis, Zuneigung geht. Abwechselnd lesen die Jungs einzelne Sätze vor, während andere dazu einen einstudierten Rhythmus klatschen, schnipsen, klopfen. Es scheint Spaß zu machen – doch so offen zeigen sie das nicht. „Wir haben aber mitbekommen, dass ein paar den Rhythmus heimlich noch geübt haben, als wir schon weg waren“, erzählt Tobias. Doch heute, in der Gruppe, verweigern sich selbst diejenigen, die einen Tag zuvor noch ganz bei der Sache waren. Die Workshop-Leiter kennen das schon: „Selbst wenn es richtig gut lief, kann es am nächsten Morgen sein, als ob das nie geschehen wäre.“

Sozialromantik? Fehlanzeige. Und doch gibt es die Hoffnung, dass dieses insgesamt zweiwöchige Präventionsprojekt seine Wirkung tut. „Manche blühen richtig auf“, sagt Tobias. Irgendwann kamen vier von ihnen sogar mit eigenen Ideen: Johann will für die Aufführung eine kleine Rap-Einlage beisteuern. Marius und Neven haben sich eine kurze Slapstick-Szene ausgedacht.

Und der eher schmächtige Simcak, in gelber Jeans und roten Schuhen ein Paradiesvogel unter den grau und schwarz gekleideten Gestalten, singt. Beim Proben wird der Sprechrhythmus kurz unterbrochen, Simcak steht auf und trägt eine kurze Melodie vor, in seiner Muttersprache. Zurückhaltend, hastig, aber mit Stolz. Einige lachen, aber ohne Häme. Er wird der Einzige sein, der es später durchzieht.

Die Schamgrenze ist schnell erreicht

So geht es immer, meint Alexej: „Zwei Schritte vor, mindestens einer zurück. Die Jungs resignieren unheimlich schnell, auch die Schamgrenze ist schnell erreicht.“ Er selbst kam als 17-Jähriger mit seiner Familie aus Russland hierher, „ohne die Sprache zu können, ohne Freunde“. Er wusste damals auch nicht recht, was er mit sich anfangen sollte; eine „kritische Phase“, sagt er. Ähnliche Faktoren spielen auch in vielen Biografien der Insassen eine Rolle.

Was also kann so ein Workshop ausrichten? „Kulturelle Bildung leistet vor allem auch: den Frustrationspegel hochzuschrauben. Scheitern gehört dazu, und du stehst wieder auf.“ Aber Alexej weiß auch: „Das können wir hier nur auf einem sehr niedrigschwelligen Level leisten.“

In der JVA Adelsheim können die Häftlinge Schulabschlüsse nachholen, Ausbildungen absolvieren. „Für mich ist das der Jackpot“, sagt der 20-jährige Johann. Die Schreinerlehre will er unbedingt fertigmachen. Warum er hier ist? „Kasino-Überfall“, sagt Johann und zuckt halb entschuldigend die Schultern. Den „Köder,“ das Stück Kuchen, hatte er übrigens abgelehnt: „Ich habe mich schon vorher entschieden mitzumachen, also braucht ihr mich nicht zu bestechen.“

„Vergessen Sie uns nicht“

Die coolen Jungs wirken auf einmal ziemlich nervös, als es zu den Werkstatträumen geht, wo die Zuschauer warten. Sie halten ihre Textblätter in der Hand, üben verstohlen noch einmal den Rhythmus. Dann geht alles recht schnell. Gut die Hälfte macht mit, rattert den Text herunter, klopft den Rhythmus. Simcak singt sein kurzes Lied. Applaus.

Dann werden sie herumgereicht, die zwei Kuchenbleche. Im Nu sind sie leergeputzt. Es geht zurück in die Zellen. Mit Handschlag verabschieden sich die Jungs von Alexej und Tobias, die in ein paar Wochen noch mal wiederkommen werden. Immerhin: Der erste Schritt ist getan. Beim Hinausgehen raunen einige ihnen zu: „Hat Spaß gemacht.“ Und: „Vergessen Sie uns nicht.“