So dicht gedrängt wie hier in der Stuttgarter Stiftskirche sitzen die Gottesdienstbesucher nur nochselten in den Kirchen in Württemberg. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Die württembergische Landeskirche startet eine große Umstrukturierung. Weil bis 2024 rund 13 Prozent der Pfarrstellen wegfallen, soll es mehr Kooperationen von Gemeinden geben. Mancher Verantwortliche ist darüber gar nicht so unglücklich.

Stuttgart - Es scheint, als habe die evangelische Landeskirche Württembergs rasch auf den Unmut und den Frust an der Basis über ihre Personalplanung reagiert. Es brodele in den Gemeinden und es gebe Protestbriefe auf breiter Front, klagten Synodale bei der letzten Sitzung des Kirchenparlaments Ende November. Der Landesbischof Frank Otfried July gab damals auch zu: „Wir haben da ein Kommunikationsthema.“ Dies wollen die Verantwortlichen nun bearbeiten. Sie wollen mit einem „Beteiligungsprozess“, der laut dem Sprecher der Landeskirche, Oliver Hoesch, in der Evangelischen Kirche Deutschlands „einzigartig“ ist, die Notwendigkeit der Stellenstreichungen vermitteln. Außerdem soll die Basis über die Folgen der Kürzungen selber beraten und entscheiden.

Nach dem neuen „Pfarrplan“, den die Landessynode im März beschließen soll, verringert sich die Zahl der Pfarrstellen von aktuell 1666 auf 1446 im Jahre 2024. Diese Reduzierung sei alternativlos, meint Inge Schneider, die Präsidentin der Landessynode. Vor allem der demografische Wandel, der den Verlust von Kirchenmitgliedern beschleunige, zwinge zum Handeln. Schon jetzt verliert die Landeskirche jedes Jahr rund 30 000 Glaubende. „Das entspricht etwa der Größe eines mittleren Kirchenbezirks“, sagt der für die Theologenausbildung zuständige Oberkirchenrat Wolfgang Traub.

Bis einschließlich des Ruhestands verschlingt jede Pfarrstelle rund sechs Millionen Euro

Sind es momentan in Württemberg noch rund 2,1 Millionen Kirchenmitglieder werden für das Jahr 2030 noch lediglich rund 1,6 Millionen erwartet. Dieser Aderlass wird sich auch finanziell bemerkbar machen und zu massiven Einbußen bei der Kirchensteuer führen. Deshalb will man auch die Personalkosten zurückführen. Zumal jede Pfarrstelle über die gesamte Zeit bis einschließlich des Ruhestands etwa sechs Millionen Euroverschlingt.

Daneben arbeitet die Landeskirche die Versäumnisse aus der Vergangenheit ab, als nicht so langfristig geplant wurde. Weil in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts die Zahl der Theologiestudenten in die Höhe schoss, übernahm die Landeskirche eine Zeitlang auch sehr viel Nachwuchs in ihren Dienst. Diese starken Jahrgänge werden in den 2020er Jahren in den Ruhestand gehen. Die Folge ist eine Pensionierungswelle, die womöglich einen Theologenmangel auslöst. In manchen Jahren werden deutlich mehr als 100 Pfarrer aufhören, während nur rund 45 wieder neu in den Dienst treten. Allerdings gebe es momentan nicht zu wenig Theologiestudenten, die Pfarrer werden wollten, berichtet Traub. Deren Zahl habe sich von 2005 bis 2015 verdoppelt auf mehr als 6000.

Ein Maßnahmenpaket, für das bis ins Jahr 2040 mehr als 100 Millionen Euro anvisiert sind, soll die Kürzungen flankieren. Dazu gehört, dass zusätzliche Stellen für Religionspädagogen geschaffen werden. Außerdem will man Ruheständler und Quereinsteiger aktivieren. Auch erhalten die Gemeinden Mittel in die Hand, um die Sekretariate auszubauen oder die Pfarrer auf andere Weise von Verwaltungsarbeiten oder sozialdiakonischen Aufgaben zu befreien. Dazu kommen Strukturveränderungen. So soll es mehr Zusammenschlüsse oder Verbünde von Gemeinden sowie stärkere Kooperationen von Kirchenbezirken geben.

Im Dekanat Stuttgart sind die Einschnitte besonders stark

Einerseits sei der Pfarrplan ein herber Einschnitt, meint der Stuttgarter Stadtdekan Søren Schwesig, andererseits sei er auch eine Chance: „Ich bin ein wenig froh darüber, weil er uns zu Strukturveränderungen zwingt, die längst nötig sind.“ Der Theologe sieht die Möglichkeit, Angebote etwa beim Konfirmandenunterricht zu konzentrieren und durch diese Spezialisierung auch die Qualität zu erhöhen. Er selbst hat erst am Montag erfahren, welche Kürzungen in der Landeshauptstadt konkret vorgesehen sind. Die Dekanate in Stuttgart sind verhältnismäßig stark betroffen. Während das Stadtdekanat mit einem Minus von 15 Prozent, beziehungsweise 5,5 Stellen, noch einigermaßen glimpflich davon kommt, sind es in Degerloch 21,5 Prozent, in Zuffenhausen 22,7 Prozent und Bad Cannstatt 24,4 Prozent.

Man werde von geliebten Gewohnheiten Abschied nehmen müssen, sagt Schwesig. Manches werde auf Gemeindeebene nicht mehr möglich sein. Dieser Verlust, solle in einem „organisierten Trauerprozess“ verarbeitet werden, zu dem auch ein Studientag gehört. Am Ende müsse aber das Motto stehen: „Wir schaffen das.“ Blickt man in die Geschichte zurück, ist die Versorgung mit Seelsorgern allerdings auch in Zukunft noch relativ gut. Statistisch war in den 1970er Jahren jeder Pfarrer für mehr als 2000 evangelische Christen zuständig. Künftig sollen es rund 1600 sein. Allerdings sind dies deutlich mehr als die etwa 1400 momentan.