Berta Klengel feiert heute ihren 90. Geburtstag. Foto: Morlok Foto: Schwarzwälder-Bote

Berta Klengel feiert 90. Geburtstag / "Arbeitslosentag" lockte viele Kunden an

Von Peter Morlok

Eutingen-Weitingen. Berta Klengel wird heute stolze 90 Jahre alt. Die rüstige Dame freut sich auf ein ruhiges Geburtstagsfest im Kreis ihrer Familie und möchte nicht, dass man um diesen besonderen Ehrentag ansonsten ein großes Aufhebens macht.

"Was sie ins Blättle schreiben, ist mir egal, der Bürgermeister braucht auf jeden Fall nicht vorbeizukommen", erklärte sie deshalb der Anruferin vom Rathaus, die sie wegen des Termins vor einer Woche anrief. Mit dem "Schwarzwälder Bote" sprach sie dagegen gerne und verriet, dass sie der Herr Jöchle einmal granatenmäßig geärgert habe.

Mit der Obrigkeit steht sie sowieso ein wenig auf Kriegsfuß. Ihr größter Geburtstagswunsch wäre, "dass sich die in Berlin ein Beispiel an früheren Staatsmännern nehmen würden und Deutschland nicht weiter an die Wand fahren. Es wird immer schlimmer, jetzt lassen sie auch noch den ländlichen Raum ausbluten. Keine Grundversorgung und niemand, der für uns einkaufen geht – wir Alte können hier verhungern, das interessiert doch niemand", schimpft sie und legt dabei den Finger in eine Strukturwunde, die sie täglich erlebt.

Über das, was sie sonst noch erlebt hat in ihrem arbeitsreichen, intensiven Leben, darüber könnte sie ein Buch schreiben. Geboren wurde sie am 25. November 1924 als viertes Kind der Eheleute Gustav und Luise Stepper in Frankenheim in der Rhön. "Ich war die Jüngste und wurde besonders verwöhnt", erinnert sie sich an die frühe Kindheit, die ihr als die besten Jahre ihres Lebens in Erinnerung blieben. Mit sechs kam sie in die Schule und musste danach eine Art soziales Jahr bei einer Polizistenfamilie in Frankfurt/Main machen. "Das war damals das Pflichtjahr für alle Mädchen – wir sollten uns alle im Haushalt auskennen".

Bereits damals kam sie mit der Gastronomie in Berührung und fing wenig später im Hotel "Kaiserhof" in Eisenach an. Dort stieg sie mit Fleiß von der Küchenmagd zum "Mädchen für alles" auf. Sie war gut vier Jahre dort beschäftigt, bevor sie nach Mailingen ins Restaurant "Tanz" wechselte.

Inmitten der Kriegswirren 1944 lernte sie den Dresdener Soldaten Herbert Klengel kennen. "Der gefiel mir und dann ging alles ganz schnell". Verabredet, verlobt und verheiratet, und dies innerhalb eines halben Jahres. "Es musste alles schnell gehen, man wusste nie, was am nächsten Tag passiert". Auch Herbert Klengel musste wieder in den Krieg ziehen, kam aber direkt nach Kriegsende zurück in die Heimat. "Und dann haben wir erstmal Kinder gemacht", eine der weiteren guten Erinnerungen der Jubilarin.

Sohn Wolfgang lebt mittlerweile in Italien

1947 kam Tochter Rosemarie zur Welt, deren Tochter Anja inzwischen auch schon drei Kinder hat und sie damit zur glücklichen Urgroßmutter machte. "1948 kam unser Sohn Wolfgang, der heute in Italien wohnt, zur Welt".

Die Familie Klengel lebte in dieser Zeit in Dresden, folgte aber 1955 der Familie von Berta, die vor einer zwangsweisen Umsiedlung nach Russland aus der damaligen DDR in den Westen "rübermachte". Beim Bruder, der bei Lahr wohnte, fand man zwar Unterkunft, aber das Schicksal schlug schnell zu. "Meine Ehe ging kaputt und ich stand mit zwei Kindern und zwei gepackten Koffern auf der Straße".

Berta Klengel jammerte nicht, sondern packte den Stier bei den Hörnern. "Mehr oder weniger ohne einen Pfennig Geld in der Tasche kaufte ich vor 50 Jahren das Haus in Weitingen und zog hierher. Dem damaligen Besitzer und dem Bankmensch war ich sympathisch und deshalb hat das geklappt", schob sie auch die Begründung für diese heute nicht mehr mögliche Aktion nach. Um Geld zu verdienen, hat sie dann die "Blume" in der Horber Hirschgasse gepachtet, die sie zehn Jahre lang umtrieb. "Bei mir gab es jede Wochen einen ›Arbeitslosentag‹, an dem es alles zum halben Preis gab – das war für die Arbeitslosen prima und die brachten viele Kollegen mit, so habe ich auch was verdient", freut sie sich noch heute über diesen sozialökonomischen Schachzug.

In dieser Zeit hat sie das Haus in der Eyacher Straße abbezahlt und restauriert. Aus dem ehemaligen Bauernhaus mit Scheuer wurde ein Mehrfamilienhaus. "Ich habe mir meine Rente selbst gebaut," blickt sie voller Stolz zurück. Auch der Brand 1994 warf sie nicht aus der Bahn. Ärmel hochkrempeln und das Haus wieder komplett aufbauen – das war für sie keine Frage.

Mit etwa 57 Jahren hatte sie keine Lust mehr auf den Knochenjob in der Gastronomie. Die Kinder waren aus dem Haus und finanziell kam sie über die Runden. Zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten zog sie für längere Zeit an den Bodensee. Das Haus war vermietet, ihr ging‘s gut, doch 1999 verstarb ihr Freund und seitdem lebt sie allein in ihrer Weitinger Wohnung.

Es zwickt und zwackt zwar überall, aber eigentlich sei sie bester Gesundheit und könne sich selbst versorgen. Stricken, lesen, fernsehen, sich jeden Tag was Frisches zum Essen kochen – das prägt ihren Tagesablauf.

Obwohl sie heute einen ganz besonderen Ehrentag hat, fällt ihre Lebensbilanz recht nüchtern aus: "Mein Leben war zu ernst – Kinder und Arbeit, viel mehr gab es nicht. Für Hobbys und Freizeit blieben keine Zeit. Und doch waren es reiche, interessante 90 Jahre".