Grüner Blick auf den Ort, an dem kombinierten Verkehrs-Terminal (KVT) entstehen soll Foto: Morlok Foto: Schwarzwälder-Bote

Verein "Mehr Demokratie" widerspricht Bürgermeister Jöchle / Neue Unterschriftensammlung notwendig – aber ohne BI

Von Florian Ganswind

Eutingen. Der Gemeinderat steht fast vollständig hinter dem kombinierten Verkehrs-Terminal (KVT), die Bevölkerung auf den ersten Blick nicht. Könnte ein Bürgerentscheid da nicht die Lösung sein? Bürgermeister Jöchle blockte im Gemeinderat ab. Zu unrecht?

Wie viel direkte Demokratie darf es bei Mega-Projekten sein? Unterschriftenlisten und Demonstrationen sind mittlerweile fast immer der Normalfall. Können die Bürger überhaupt so eine Entscheidung übernehmen? Werden dann alle Punkte des Für und Wider tatsächlich gegeneinander aufgewogen? Eutingens Bürgermeister Armin Jöchle hat in der wichtigen Gemeinderatssitzung am Dienstagabend zum Railport durchblicken lassen, dass er daran zweifelt. Der Gemeinderat übernehme tagein, tagaus Verantwortung für die Gemeinde. Das heißt im Umkehrschluss: Bei so einer wichtigen Entscheidung ist für Jöchle der Gemeinderat am Zug und das Zutrauen in die Entscheidungsfähigkeit der Eutinger Bürger wohl nur beschränkt vorhanden.

432 Unterschriften reichen fürein Bürgerbegehren

Als Argumentation gegen den Bürgerentscheid führte Jöchle auch das Argument an, dass es in der Gemeindeordnung Baden-Württemberg eine Liste gebe, welche Projekte man per Bürgerentscheid klären sollte.

Grund für Edgar Wunder eine Stellungnahme abzugeben. Er ist Landesvorstandssprecher von "Mehr Demokratie". Er widerspricht dem Eutinger Bürgermeister in seiner Argumentation. Die baden-württembergische Gemeindeordnung (§ 21 GemO) habe weder heute noch in der Vergangenheit jemals eine Liste enthalten, "welche Projekte man per Bürgerentscheid klären sollte." Wunder sagt: "Sie enthielt vielmehr bis 2005 eine sogenannte ›Positivliste‹, welche Themen für einen Bürgerentscheid prinzipiell zulässig sind. Diese sogenannte ›Positivliste‹ wurde aber 2005 aus der Gemeindeordnung gestrichen, ist also schon lange nicht mehr gültig." Ist Jöchle also auf einen alten Stand, was diese Liste angeht?

Wunder sieht sehr wohl gute Gründe für einen Bürgerentscheid. Grundsätzlich seien alle Themen, die im Zuständigkeitsbereich des Gemeinderates liegen, für ein Bürgerbegehren beziehungsweise einen Bürgerentscheid zulässig – sofern sie nicht im sogenannten "Negativkatalog" enthalten sind, der seit 2005 in § 21 Abs. 2 GemO nur einige wenige Dinge davon ausschließt. Dazu gehört aber sicher nicht das KVT.

Das gesetzliche Quorum für ein erfolgreiches Bürgerbegehren liege in Eutingen zurzeit bei 432 Unterschriften (ausgehend von der Zahl der Wahlberechtigten bei der letzten Kommunalwahl).

Wunder erklärt, dass Jöchle es wohl gar nicht in der Hand habe, einen Bürgerentscheid aufzuhalten: "Sollte diese Unterschriftenzahl für ein Bürgerbegehren binnen der gesetzlichen Sechs-Wochen-Frist bei Ihnen eingereicht werden und das Bürgerbegehren formal korrekt gestellt sein, ist die Rücknahme des Gemeinderatsbeschlusses oder die Durchführung eines Bürgerentscheids unvermeidlich. Der Gemeinderat hätte in diesem Fall auch keinen Ermessensspielraum mehr." 432 Unterschriften wären bei diesem umstritten Thema wohl kein Problem, wenn man den Erfolg der bereits erfolgten Unterschriftenaktion (mehr als 1000) sieht.

Wunder fügt noch hinzu: "Die Frist beginnt ab Freitag, 7. August, zu laufen, nachdem die öffentliche Bekanntgabe des Gemeinderatsbeschlusses durch den Bericht des Schwarzwälder Boten am 6. August das fristauslösende Ereignis nach den gesetzlichen Bestimmungen war. Die Frist wird mit Ablauf des 17. September 2015 enden."

Wichtig ist dem Sprecher von "Mehr Demokratie", dass seine Stellungnahme kein Pro oder Kontra zum KVT bedeute. "Mehr Demokratie" verhalte sich neutral. Wir beschränken uns auf Hinweise in Verfahrensfragen aus Anlass öffentlicher Äußerungen. Auf Anfrage geben wir sowohl Kommunalverwaltungen als auch Bürgerinitiativen weiter gehende Ratschläge, was beim Umgang mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden zu beachten ist, um einen einwandfreien und von allen Akteuren als fair erlebten Verlauf zu sichern."

Leo Mergel, Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Railport, die sich nun auflöst (siehe Info), begrüßt, dass sich der Verein "Mehr Demokratie" selbstständig eingeschaltet hat. "Ich finde es toll, dass es einen Verein gibt, der den Willen der Bürger ernst nimmt." Dieses Gefühl, dass wird im Gespräch mit Mergel klar, hat er von Bürgermeister Jöchle in der Gemeinderatssitzung nicht gehabt. "1160 Unterschriften sind ein klares Votum. Herr Jöchle hat übrigens bei seiner Wahl weniger bekommen. Dass er die Unterschriften nun schlecht redet, finde ich nicht in Ordnung." Deswegen würde er sich freuen, wenn einige Bürger nun ein Bürgerbegehren anstreben würden. Die BI wird das aber nicht mehr machen. "Wir sind alle ziemlich kaputt und beruflich eingespannt. Aber für ein Bürgerbegehren braucht man auch keine BI."

Von Florian Ganswind

Der Gemeinderat entscheidet immer, also auch jetzt. So könnte man die ablehnende Haltung von Bürgermeister Armin Jöchle zum Bürgerentscheid über den Railport interpretieren. Ist das nicht Gutsherren-Stil aus früheren Zeiten? 1160 Unterschriften bei einer Gemeinde mit rund 5400 Bürgern und einige Unternehmer, die sich ebenfalls gegen das kombinierte Verkehrs-Terminal wehren, kann man nicht einfach vom Tisch wischen. Die Ängste der Bürger sind verständlich. Noch ist nicht klar herausgearbeitet, wie hoch die Verkehrsbelastung werden wird. Den Bürgern eine automatische Ablehnungshaltung bei Großprojekten zu unterstellen, ist nicht richtig. Ein Bürgerentscheid könnte zum friedlichen Umgang in der Gemeinde beitragen. Bei der großen Dimension des Projekts wäre dieser Schritt auf alle Fälle gerechtfertigt!