Russische Straßen sind für alle da - ob Hilfstransporter oder Kuh - das spielt keine Rolle (links). Stempel-Chaos (rechts): "Der Weißrusse liebt Stempel – ohne ein ordentliches Quantum geht dort gar nichts", erinnerte sich Müller. Fotos: Müller Foto: Schwarzwälder-Bote

Der 27-jährige Weitinger Johannes Müller fuhr als Lkw-Fahrer einer Hilfsorganisationen nach Kasachstan

Von Peter Morlok

Eutingen-Weitingen. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen! Und wenn jemand mehr als 8000 Kilometer mit einem Hilfsgüter-Konvoi von Loßburg bis an einen entlegenen Ort in Kasachstan fährt – dann wird aus einer Reise ein Abenteuer, das im bunten Album der Lebenserfahrungen einen besonderen Platz bekommt.

Der 27-jährige Johannes Müller, studierter Physiker und Theologe mit Lkw-Führerschein, der seit sieben Jahren in der Gäugemeinde Weitingen lebt, erfüllte sich mit dieser Reise einen Traum. "Ich wollte ins Ausland – aber nicht als Tourist", erklärte er im Gespräch mit unserer Zeitung.

Deshalb schrieb er alle bekannten Hilfsorganisationen an, ob man einen wie ihn nicht gebrauchen könne. "Für mich war nicht wichtig, ob ich nun den Lkw fahre – ich war auch zu einfachen Arbeiten wie Packen und Beladen oder etwas Ähnlichem bereit", beschrieb Müller die ersten Schritte zu dieser Geschichte. Unter anderem kontaktierte er auch den überkonfessionellen Verein "Hoffnung und Hilfe" mit Stammsitz in Loßburg, der es sich zur primären Aufgabe gemacht hat, Hilfsgüter in die entlegene Stadt Shinmkent, die etwa 1000 Kilometer von der ehemaligen Hauptstadt von Kasachstan, von Almati, entfernt liegt, zu transportieren.

Von dieser Organisation erreichte ihn dann auch die recht kurzfristige Anfrage, ob er als Mitglied eines Vierer-Teams einen der beiden Lkw mit ins Zielgebiet fahren wolle. Er wollte – und als sein Begleiter auf dem Bock, Axel Weinrich aus Stuttgart, der die Tour bereits 17-mal gefahren ist, ihn als Weggefährten für die strapaziöse Tour akzeptierte, war fast alles klar. "Man lebt vier Wochen lang auf wenigen Quadratmetern zusammen, man lacht, schweigt und stinkt, isst und trinkt, ärgert sich und hat gemeinsam Sehnsucht nach irgendetwas was einem gerade fehlt – da muss eine vernünftige Grundharmonie schon vorhanden sein", sagte der 27-Jährige.

Nachdem man sich beschnuppert hat, und das zweite Team – zwei Idealisten aus dem Westerwald, darunter ein Arzt – auch bereit standen, konnte der Monat vor Reisebeginn noch für die notwendigen Vorbereitung wie Visum, Frachtpapiere, Zollformalitäten und weiteres genutzt werden, bevor die zwei Trucks, die mit unzähligen Bananenkisten voller Kleider, mit Reha-Hilfsmitteln, mit Fahrrädern und lange haltbaren Lebensmitteln bis an die Ladekapazität vollgestopft waren, am Abend des 5. September, nach einer stimmungsvollen Aussendefeier, auf die lange, vierwöchige Reise geschickt wurden.

In Erinnerung bleibt ihm vor allem die Herzlichkeit der Leute

Sie fuhren in Richtung Berlin, gingen bei Görlitz über die Grenze nach Polen, hielten sich Richtung Warschau, um dann bei Brest nach Weißrussland einzureisen. Bei diesem Grenzübertritt ging gleich eine ganze Nacht beim Zoll drauf. "Der Weißrusse liebt Stempel – ohne ein ordentliches Quantum geht dort gar nichts", erinnerte sich Müller schmunzelnd und zeigte ein Dokument, bei dem allein auf einer Seite 14 Stempel von des Zöllners liebstem Hobby zeugen.

Wusste man, dass es bei den Weißrussen ein paar Stunden dauert, so staunten die ehrenamtlichen Truckfahrer doch, als ihnen an der russischen Grenzstation nahe der Stadt Smolensk beide Lkw komplett abgeladen wurden, jede Kiste gewogen, fotografiert und katalogisiert wurde. "Das war die Antwort auf die europäischen Sanktionen im Ukrainekonflikt", glaubt Müller, "Russland ignoriert oder pausiert im Gegenzug die internationalen Abkommen." Aber auch das ging vorbei, mit den Zöllnern wurde ab und zu schwäbisch gevespert, aber gegen Befehle aus Moskau waren diese trotz bester deutscher Verpflegung machtlos. "Hier wurde mir erstmals die Aktualität der jüngsten Ereignisse bewusst, die gezeigt haben, wie nah Geschichte plötzlich sein kann", so der 27-Jährige.

Besonders in Erinnerung blieb Johannes Müller von der Fahrt durch Russland auch die nächtliche Fahrt über den Moskauer Innenstadtring bei dem die Devise "ja nicht bremsen und irgendwie durchkommen" scheinbar für alle Fahrzeuge gilt oder die langen schweigsamen Stunden entlang der wunderbaren Landschaft des Aralsees. Stunden der Ruhe, die Müller als Geschenk in Erinnerung bleiben.

Die Fahrt über den Ural und der Grenzübertritt ins Zielland bei Petropavlovska boten viele reizvolle Bilder, die an der Windschutzschutzscheibe ihres 460 PS-Monsters vorbeiflogen und die Ankunft in Talykorgan, dem inoffiziellen Zielort, waren weitere Höhepunkte der Reise.

Was Müller aber ganz besonders in Erinnerung bleibt, das ist die Herzlichkeit der Leute, die selbst nicht allzu viel haben. "Es sind die persönlichen Beziehungen, die man entlang der Strecke aufbauen konnte". Er selbst hat über die gemeinsame Liebe zu Pferden und dem Hobby Reiten eine Freundschaft zu dem Bauern aufgebaut, bei dem sie am Zielort ihre Lkw abstellen konnten. Es waren aber auch die Gespräche mit anderen Lkw-Fahrern, die sie am Rande vieler Pisten trafen. Darunter ein Trucker aus Kabul, der seinen Beifahrer verlor, als eine Rakete in deren Führerhaus einschlug.

Aus christlicher Sicht war für den Weitinger die Fahrt auch so etwas wie ein kleiner Beitrag zur Völkerverständigung, ein Weg zum Frieden. "Heute sehe ich die Russen und die Osteuropäer mit ganz anderen Augen", so sein ganz persönliches Fazit und er bezeichnet diese Erfahrung als den vielleicht größten Wert, den er aus dieser Reise zog.