König Wilhelm II und Königin Charlotte verabschieden im August 1914 die württembergischen Truppen Foto: StN

Die großen Schlachten fanden andernorts statt. Östlich des Rheins kämpften die Menschen an der Heimatfront. Doch gemütlich ging es auch hier nicht zu, wie unsere Tour zu einigen Schauplätzen zeigen wird.

Stuttgart - Was ist geblieben vom Ersten Weltkrieg – außer bemoosten Denkmälern? Wer ein wenig sucht, findet Orte, die Geschichten erzählen vom Leiden in Lazaretten, von der Arbeit in Munitionsfabriken und vom Hunger zu Haus.

Stuttgarter Kaserne

Der württembergische König persönlich verabschiedet am 6. August 1914 seine Regimenter in den Krieg. Ein Fotograf hat die Szene damals im Hof der Stuttgarter Rote-bühlkaserne festgehalten. Dort, wo sich heute Beamte im Finanzamt III über die Steuererklärungen beugen, drängelten sich an jedem Tag Soldaten und Dienstpersonal in den Fenstern.

Jubel spricht nicht gerade aus ihren Gesichtern. Weder der König noch seine Regierung waren von der Notwendigkeit des Waffengangs überzeugt. Doch die Entscheidungen in Berlin vermochten sie ebenso wenig zu beeinflussen wie das Geschehen an der Front. Mit der Mobilmachung am 1. August 1914 waren die württembergischen Truppen, wie zuvor auch schon die badischen, in die preußische Armee eingegliedert worden. Der Wunsch nach einem eigenen Kommandeur für das 13. Armeekorps wurde zwar 1916 erfüllt, doch das half den Soldaten wenig.

479 000 Württemberger haben am Ersten Weltkrieg teilgenommen, 73 000 von ihnen sind gefallen, 13 000 allein in den ersten fünf Monaten. Das 13. Armeekorps hatte die im Verhältnis höchste Zahl aller Gefallenen deutscher Truppen.

Karlsruher Festplatz

Eine kleine Tafel an einem Gebäude auf dem Karlsruher Festplatz erinnert daran, dass die Stadt zehnmal aus der Luft bombardiert wurde. Die Angriffe von französischen Flugzeugen waren zwar nicht annähern zu vergleichen mit jenen des Zweiten Weltkriegs, dennoch starben mehr als 160 Menschen. Das schwerste Bombardement ereignete sich am 22. Juni 1916, als die Flieger ihre Last über dem Festplatz abwarfen, wo gerade ein Zirkus gastierte. 120 Menschen starben, darunter viele Kinder. Auch andere Städte wurden aus der Luft attackiert, darunter Stuttgart und Freiburg.

Die Befürchtung, französische Truppen könnten den Rhein überqueren, war zwar unbegründet. In den Vogesen begann aber bereits der Stellungskrieg, so am schwer umkämpften Hartmannsweilerkopf. Französische Soldaten kamen – neben englischen und russischen – als Kriegsgefangene nach Baden und Württemberg. Bei Münsingen auf der Alb und auf dem Heuberg waren Tausende interniert.

Freudenstädter Lazarett

Pracht und Luxus strahlt es aus, das Hotel Palmenwald am Rand von Freudenstadt. Seit seiner Renovierung im Jahr 2010 ist das im Jugendstil erbaute Haus ein Schmuckstück im Schwarzwald. In seiner fast 120-jährigen Geschichte hat es schon so manches gesehen – unter anderem Verwundete von den Fronten des Ersten Weltkriegs. Denn der Palmenwald war eines von Hunderten Lazaretten in Baden und Württemberg, allein sieben gab es in Freudenstadt.

Die durch Splitter oft furchtbar entstellten Rückkehrer gaben den Einheimischen einen Eindruck davon, wie grausam der Grabenkrieg war. Auch psychisch trugen viele Soldaten bleibende Schäden davon, wie die Krankenakten der Psychiatrischen Uniklinik Heidelberg belegen. „Kriegshysterie“ diagnostizierten die Ärzte bei den Traumatisierten. Weil sie ihren Körper oft nicht mehr unter Kontrolle hatten, nannte man sie geringschätzig „Kriegszitterer“.

Geislinger Fabrik

Deutschland war schon vor dem Ersten Weltkrieg ein Exportland. Doch das änderte sich 1914 schlagartig. Die Briten blockierten den Handel, die Männer zogen an die Front, und den Betrieben fehlten nicht nur Arbeiter, sondern auch Rohstoffe. Auch die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen bekam dies zu spüren, schon im August 1914 wurden 760 Beschäftigte einberufen. Die Firmenleitung bemühte sich um Rüstungsaufträge und stellte fortan Koppelschlösser, Becher und Patronen her.

Laut Firmengeschichte produzierte die WMF während des Kriegs mehr als 190 Millionen Patronenhülsen und fast 210 Millionen Geschosse. Das funktionierte nur, weil immer mehr Frauen an den Pressen und Drehbänken standen. Bei Kriegsende waren zwei Drittel der 8000 Mitarbeiter Frauen.

Auch Benz in Mannheim, Voith in Heidenheim oder Aesculap in Tuttlingen stellten auf Kriegsprodukte um. Nur wenigen Unternehmen gelang es, mit ihren angestammten Produkten vom Krieg zu profitieren. So florierte die Tuttlinger Schuhindustrie wegen des großen Bedarfs an Soldatenstiefeln. Die Trossinger Firma Hohner belieferte die Soldaten mit Mundharmonikas – und zwar nicht nur die deutschen: Über eine Schweizer Tarnfirma gelangten die Instrumente auch in französische, englische und russische Schützengräben. Bezeichnende Aufschrift: „Alliance Harp“.

Stuttgarter Markthalle

Mehr als 1,8 Millionen Goldmark gaben die Stuttgarter aus, damit „die Frauen und Töchter unserer Weingärtner, geschützt vor den Unbilden der Witterung, ihre Produkte feilbieten“ können, wie es in einem Erlass hieß. Am 30. Januar 1914 wurde die neue Markthalle eingeweiht, die sich mit ihren über 400 Verkaufsständen zum zentralen Handelsplatz entwickelte. Doch schon bald gab es hier nicht mehr viel zu kaufen – und wenn, dann nur für viel Geld.

Bereits Anfang 1915 nahmen die Versorgungsprobleme in Württemberg zu, auch deshalb, weil die Regierung erst spät auf Planwirtschaft umgestellt hatte. Die von Großbritannien verhängte Seeblockade wirkte sich katastrophal aus, es mangelte vor allem an Brotgetreide, später auch an Kartoffeln. Der Winter 1916/17 ging deutschlandweit als „Steckrübenwinter“ in die Geschichte ein.

Im deutsch-französischen Geschichtsbuch (Klett-Verlag), das beide Länder seit 2009 für die gymnasiale Oberstufe herausgeben, ist der Brief einer deutschen Frau abgedruckt, die 1916 an ihren Mann in Frankreich schreibt: „Wenn der Krieg weitergeht, werden wir alle sterben. Alles ist rationiert, man gibt uns ein halbes Pfund Brot und 60 Gramm Fleisch am Tag und pro Kopf, 60 Gramm Butter und ein Ei, 50 Gramm Seife und ein halbes Pfund Seifenpulver im Monat, ein Pfund Äpfel am Tag, und ohne Erlaubnis wagen die Händler nichts zu verkaufen.“

Wie dramatisch die Lage war, zeigen auch diverse Kriegskochbücher, so etwa die in Cannstatt erschienene „Anleitung zum Braten, Backen und Kochen mit Schmid’schem Streckfleisch. Darin frohlockt der Autor: „Nach vielfachen kostspieligen Versuchen ist es mir gelungen, ein Fleisch-Streckungsverfahren ausfindig zu machen, welches berufen ist, die gegenwärtige fleischarme Zeit weniger hart empfinden zu lassen.“ Als Streckmittel diente Frisch- oder Dörrgemüse.

Backnanger Kirche

„Gold gab ich für Eisen“ stand auf den schlichten Eisenringen, mit denen das Reich damals private Gold- und Silberspenden vergalt. Ab 1916 war die Bevölkerung auch gehalten, Kupfer, Bronze, Messing und Zinn abzuliefern, da das Metall für Waffen gebraucht wurde. Schließlich waren auch die Prospektpfeifen der Kirchenorgeln und die Glocken an der Reihe. „Als im Mai 1917 die Anweisung an alle Kirchengemeinden erging, die Kirchenglocken zum Einschmelzen abzugeben, war die Grenze der Opferbereitschaft auch bei vielen gläubigen Menschen an der Heimatfront erreicht“, schreibt der Historiker Casimir Bumiller in seiner Geschichte der Schwäbischen Alb.

Doch es half alles nichts: Bronze war kriegswichtiges Material. Feierlich und unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nahm man das tonnenschwere Geläut ab. Aus der Backnanger St.-Johann-Kirche zum Beispiel, gerade erst im neogotischen Stil fertiggestellt, entfernte man zwei der drei Glocken. 1926 konnte man sie zwar wieder ersetzen, doch im Zweiten Weltkrieg schlug ihnen erneut die Stunde. Tausende Glocken landeten auf den sogenannten Glockenfriedhöfen, wo man sie vor dem Einschmelzen lagerte.

Buttenhausener Elternhaus

Matthias Erzberger kam 1875 in einem schlichten Handwerkerhaus im Albdorf Buttenhausen zur Welt. Heute befindet sich darin eine Gedenkstätte zu Ehren des Politikers, der von 1903 an für seinen oberschwäbischen Wahlkreis im Reichstag saß.

Nachdem der Abgeordnete der Zentrumspartei im Ersten Weltkrieg anfangs dafür eingetreten war, man dürfe Frieden nur im Fall eines deutschen Sieges schließen, forderte er ab 1917, sich in jedem Fall mit den Feinden zu verständigen. Doch dazu war die militärische Führung noch lange nicht bereit.

Im Herbst 1918 schließlich übertrug man Erzberger die undankbare Aufgabe, die Waffenstillstandskommission zu leiten. Im Wald von Compiègne unterzeichnete er am 1. November den Waffenstillstandsvertrag – und machte sich damit zur Hassfigur für alle, die die Niederlage nicht verwinden konnten. Zwei Offiziere ermordeten Erzberger 1921 während einer Kur in Bad Griesbach im Schwarzwald. Dort erinnert heute eine Gedenktafel an ihn.