Christina Fischer: Die Grande Dame der Stuttgarter Mode hört Ende Mai auf. Foto: Leif Piechowski

Schon wieder muss ein alteingesessenes Fachgeschäft in der Stuttgarter City aufgeben. Christina Fischer hat für ihr gleichnamiges Modehaus keinen passenden Nachfolger gefunden.

Stuttgart - Der Name Fischer hat eigentlich keinen besonderen Klang. Aber mit dem Zusatz Modehaus bekommt Fischer eine exklusive Note. Der Laden an der Ecke König-/Stiftstraße gehört zum Feinsten, was die City zu bieten hat. Besser gesagt: zu bieten hatte. Denn Ende Mai ist Schluss. Schon jetzt läuft der Ausverkauf, auf den die Schriftzüge an den Schaufenstern aufmerksam machen.

Manche vorbeiflanierende Dame nimmt es mit Freude zur Kenntnis, weil sie ein sündhaft teures Designerstück plötzlich zum Schnäppchenpreis bekommt. Eine andere ist fassungslos und traurig. „Ich bin seit Jahren Stammkundin“, sagt sie und schüttelt fragend den Kopf : „Wie konnte das passieren? Wieso schließt schon wieder ein altes, inhabergeführtes Fachgeschäft in der Innenstadt?“ Mit diesen Fragen schwingen bei der Dame bereits Ahnungen und Antworten mit: „Bestimmt waren die Mieten zu hoch.“ Bestimmt sei die Marktmacht der Filialisten in dieser 1-a-Lage zu groß geworden.

Alles falsch. Der oft im Handel zutreffende Spruch „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“ trifft auf das Modehaus Fischer nicht zu. Inhaberin Christina Fischer hebt abwehrend die Hände und schickt ein klares „Nein“ hinterher. Obwohl sie seit dem Jahr 2012 einen Teil der Ladenräume an die Firma Hollister vermietet, liefen ihre Geschäfte gut. „Bei mir lassen einfach die Kräfte nach“, sagt sie.

Es ist der Moment, in dem Christina Fischer regelmäßig Komplimente bekommt. Sie ist mit ihren 70 Jahren voller Energie. Wer sie nicht kennt, schätzt sie auf Anfang 60. Dennoch macht sie jetzt Schluss. Keiner soll später einmal sagen: Die Fischerin konnte nicht loslassen.

„Ich habe trotz intensiver Suche niemanden gefunden“

„Gerade in der Modewelt brauchen wir junge Köpfe mit neuen und frischen Ideen, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. An diesem Punkt kam ich an meine Grenzen“, sagt sie. Daher hat sie bereits seit dem Jahr 2000 nach einem potenziellen Nachfolger gesucht. Doch keiner passte ins Raster. Auch ihr eigener Sohn nicht, der als erfolgreicher Anwalt in Berlin lebt. „Ich habe trotz intensiver Suche niemanden gefunden. Manche fühlten sich auch der Herausforderung nicht gewachsen.“

Es gehört tatsächlich mehr als nur kaufmännisches Geschick dazu, ein Premium-Markengeschäft wie Fischer in dieser Lage und Größe zu führen. Man kann es als feines Näschen oder als „sechsten Sinn“ (Christina Fischer) beschreiben – gemeint sei dasselbe: „Die Gabe, Modetrends ein halbes Jahr vorher vorauszuahnen und entsprechend einzukaufen.“

Christina Fischer konnte sich auf dieses Gespür in den vergangenen 30 Jahren verlassen. Und wenn sie keine Trends vorausahnte, dann setzte sie welche: „Ich war in den 80er Jahren die Erste und Einzige in Deutschland, die Designer wie Gucci, Prada, Armani oder Dolce und Gabbana in Deutschland einführte.“

So konnte sich das Traditionshaus gegen den allgemeinen Trend im Handel wehren. Fischer: „Wir wurden nicht wie andere Mittelständler von der Macht der großen Händler erdrückt.“ Und dennoch ist nun Schluss. Der Name Fischer reiht sich ein in die Liste anderer bekannter Einzelhändler, die einst das Stadtbild prägten: Sport Entress, Radio Barth, Musikhaus Lerche und, und, und.

Geschichtsträchtige Stätte unter Ensembleschutz

„Es ist ein Jammer“, sagt Citymanager Hans H. Pfeifer zur Geschäftsaufgabe von Fischer. Auch wenn in diesem Fall nicht die hohen Mieten oder der Konkurrenzdruck ausschlaggebend waren, so sieht Pfeifer darin die Fortsetzung eines Trends: „Damit verschärft sich das Thema Uniformität in der Innenstadt weiter. Diese Entwicklung ist wohl kaum aufzuhalten.“

Tradition geht zusehends verloren – und damit auch die dazu gehörenden Geschichten. Eben jene der Gebrüder Alfons und Siegfried Fischer, die 1949 oberhalb der Stiftskirche ihr „Spezialhaus für Damenbekleidung“ aufbauten. An einem historischen Platz. Hier lebte Hofbankdirektor Gottlob Heinrich Rapp, ein Schwager des klassizistischen Bildhauers Johann Heinrich von Dannecker. Hier ging Friedrich Schiller ein und aus. Hier, wo vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg auch die Lindemann’sche Buchhandlung den Stuttgartern Literatur verkaufte, las einst sogar Johann Wolfgang von Goethe aus „Hermann und Dorothea“.

Und nun? Nun folgt an dieser geschichtsträchtigen Stätte, die unter Ensembleschutz steht, auf das Modehaus Fischer der Metzinger Konzern Boss mit einer weiteren Filiale.

Also wieder ein Großer, der den Kleineren verdrängt?

„Diese 1-a-Ecke an der Stiftskirche wird sich halten“

Erneut winkt Christina Fischer ab. Es wäre falsch, daraus einen allgemeinen Trend abzuleiten. „Natürlich ist das Geschäft durch die Outlet-Center und den wachsenden Internethandel schwieriger geworden“, sagt sie, „natürlich muss man hohe Mieten bezahlen. Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass man keine guten Geschäfte machen kann.“ Selbst die beiden großen Einkaufscenter Gerber und Milaneo, die 2014 an der Paulinenbrücke und am Bahnhof ihre Pforten öffnen, würden sie nicht schrecken: „Diese 1-a-Ecke an der Stiftskirche wird sich halten.“

Freilich nur mit guten Konzepten und Ideen. Christina Fischers Erfolgsrezept lautete stets: Keine Abstriche bei der Qualität machen und zufriedenes Personal beschäftigen. Letzteres gilt bis zum letzten Verkaufstag. Mittagessen und Getränke sind für Fischer-Mitarbeiter frei. Alle der 65 Beschäftigten haben teilweise unter Mithilfe von Christina Fischer einen neuen Job gefunden. „Zudem bekommen alle eine großzügige Abfindung“, sagt die Grande Dame der Stuttgarter Mode, „unsere Leute haben sich stets stark mit dem Unternehmen identifiziert.“ Die langjährige und inzwischen verstorbene Mitarbeiterin Liselotte Wittstock bestätigte das selbst im Ruhestand immer wieder : „Ich bin stolz, dass ich bei Fischer arbeiten durfte.“

Wenn Liselotte Wittstock den Namen Fischer aussprach, hatte er auch ohne jeden Zusatz einen ganz besonderen Klang.