Damenschneidermeisterin Annette Köhler hat in ihrer Modewerkstatt in Empfingen einige selbst geschneiderte Kleidungsstücke für ihre Kunden ausgestellt. Foto: Begemann Foto: Schwarzwälder-Bote

Ein Berufszweig im Wandel: Annette Köhler aus Empfingen ist eine der letzten Damenschneidermeisterinnen

Von Daniel Begemann

Empfingen. Annette Köhler zählt sich zu den letzten ihrer Zunft: Sie ist als Damenschneidermeisterin in Empfingen mit einer Modewerkstatt selbstständig. Die Konkurrenz aus der Modeindustrie ist zwar groß, doch es gibt Menschen, die auf eine Fachfrau wie sie angewiesen sind.

Eine Ausbildung zur Damenschneiderin in einem Handwerksbetrieb wie dem von Annette Köhler macht heute kaum mehr jemand. Schon allein deswegen, weil 2004 der Meisterzwang weggefallen ist. Köhler sagt: "Heute kann sich jeder als Schneider selbstständig machen und Neuanfertigungen nähen." Die Folge: Der Kunde ist orientierungslos. "Ein Meisterbrief stand früher für Qualität", sagt die Schneidermeisterin. Köhler machte nach der Schule eine dreijährige Ausbildung als Schneiderin in einem Betrieb in Stuttgart. Außerdem besuchte sie dort die Modeschule. Trotzdem, dass sich heutzutage theoretisch jeder Schneider nennen könnte, und Industriebetriebe etliche Kollektionen im Jahr veröffentlichen, hat Köhler ihre Kunden. Denn sie bedient mit handwerklich anspruchsvollen Abänderungen von Kleidungsstücken eine Nische in der Modebranche. Sie erzählt: "Zu mir kommen viele Leute mit körperlichen Abnormalitäten. Menschen, die beispielsweise kurze Beine oder Arme haben." Für diese Kunden, die sonst nirgends passende Kleidung finden, fertigt Köhler Kleidungsstücke neu an oder ändert sie ab. "Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist dabei auch die Beratung. Da braucht es viel Einfühlungsvermögen", sagt sie. Manchmal wenden sich Kunden auch mit sehr persönlichen Geschichten und Aufträgen an die Schneiderin. Ein Beispiel dafür ist einer ihrer langjährigen Kunden mit einer Contergan-Schädigung. Ein Freund von ihm war gestorben und die Mutter des Verstorbenen hatte ihm dessen Lederjacke geschenkt. "Er wollte diese Lederjacke dann für auf sich anpassen lassen, weil für ihn ein großer Erinnerungswert an dieser Jacke liegt. Diese Anfertigung war ein Unikat. In so einem Fall ist handwerkliches Know-How gefragt. Das darf nicht schiefgehen", sagt Köhler.

Die Meisterschneiderin weiß, dass ihr Handwerk trotzdem, dass es vom Aussterben bedroht ist, gefragt ist. "Heute gibt es nur noch sehr wenige, die in diesem Beruf einen Meisterbrief erwerben. Die meisten gehen in Richtung Modedesign und lernen das Handwerk in der Schule. Dort fehlt ihnen allerdings der Umgang mit den Kunden", meint Köhler.