Am 6. April 1989 wurde in Empfingen bekannt, dass die Kaserne zur Aufnahmestelle für Spätaussiedler werden soll. Foto: Hopp

Als 1989 Tausende Spätaussiedler nach Empfingen kamen, waren viele zunächst höchst besorgt. Ein Interview mit Albert Schindler.

Empfingen - Vielerorts stellen sich derzeit Menschen und Gemeinden der Herausforderung, Flüchtlinge aufzunehmen. In Empfingen weckt diese Situation Erinnerungen an das Jahr 1989.

Damals stand der Ort vor der Aufgabe, mehrere Tausend Spätaussiedler in der Kaserne unterzubringen. Bürgermeister Albert Schindler erzählt im Interview, wie sich der anfängliche Schock vieler Empfinger zu einem positiven Erlebnis wandelte.

Welche Erinnerungen gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an den Tag denken, an dem Sie die Nachricht bekamen, dass tausende Spätaussiedler in der Kaserne untergebracht werden sollen?

Am Donnerstag, 6. April 1989, um 17 Uhr verkündete der damalige Innenminister Dietmar Schlee, dass die Kaserne Empfingen zur Zentralen Aufnahmestelle für Aussiedler (ZAST) für 1500 bis 2000 Aussiedler wird. Wir wussten nichts – aber die Presse! So einen Medienrummel habe ich in meinen 29 Amtsjahren nicht mehr erlebt. Es waren dann ein paar schwierige Tage – dank guter Kenntnisse der Thematik gingen wir das Problem rational und sachlich und nicht emotional an.

Ihre erste Tat, nachdem Sie davon erfuhren?

Die erste Tat war eine Informationsversammlung am Freitag, 7. April 1989, in der Gemeindefesthalle mit über 700 Anwesenden. Meine Stellvertreter luden per Megafon, mit dem Feuerwehrauto durch die Straßen fahrend, ein. Bürgermeister, Gemeinderat und Mitbürger Manfred Zach als damaliger Regierungssprecher des Ministerpräsidenten Lothar Späth stellten sich den Fragen.

Was waren die Sorgen der Empfinger Bevölkerung in Bezug auf die massenhafte Unterbringung der Spätaussiedler?

Die erste Sorge der Bevölkerung war die Frage: Kann das gut gehen, dass 2000 fremde Menschen über Nacht kommen und neben circa 2500 Einwohnern leben, wenn die Kaserne doch nur für 500 Soldaten ausgelegt ist. Das hält die Infrastruktur nicht aus. In Unkenntnis des Menschen "Aussiedler" (heute Spätaussiedler) fielen damals auch ein paar ungeschickte Sätze.

Letztlich sind die Empfinger mit der Situation aber doch gut klar gekommen. Was hat zu einer positiven Wende des anfänglichen Protests geführt?

Am 17. Juni 1989 kam der erste Bus mit 58 Aussiedlern an – und letztlich bis 30. September 2006 waren es circa 221 000 Menschen, die die ZAST und ab 2000 die Landesaufnahmestelle (LAST) durchliefen. Am Anfang machten wir über die Volkshochschule (VHS) Aufklärungsarbeit über das Schicksal der Aussiedler, den Nachfahren unserer Vorfahren. Eine Ausstellung trug auch erheblich zur Erweiterung des Wissens bei.

Wie haben die Spätaussiedler auf ihr neues Lebensumfeld reagiert?

Die ankommenden Menschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken sahen in Empfingen erstmals ein deutsches Dorf und betrachteten alles mit großer Neugierde. Da anfangs gut deutschsprachig, kamen die Aussiedler mit der Stammbevölkerung ins Gespräch.

Wie haben die Empfinger sich verhalten?

Ganz schnell haben sich die anfänglichen Ängste verflüchtigt. Man merkte, das sind ja Menschen wie du und ich, die aber meist ein anderes Kriegsfolgenschicksal hatten. Über die Kirchen und den Sport wurden Verbindungen hergestellt, die ganz schnell zum konfliktfreien Miteinander beitrugen. Letztlich sind etwa 300 Mitbürgerinnen und Mitbürger bei uns hängen geblieben und fühlen sich hoffentlich bei uns wohl.

Welche positiven Erfahrungen haben Sie letztlich aus der Aussiedlergeschichte mitgenommen?

Meine persönliche Erfahrung ist, dass man in solchen Situationen nicht emotional, sondern rational und überlegt vorgehen muss. Das gute Miteinander der Verantwortlichen hat sehr schnell zur Entspannung der Situation beigetragen. Die Bevölkerung öffnete sich für die Probleme der Neuankömmlinge, ja es entstanden sogar Freundschaften. Der unbändige Wille, es auch zu einem "eigenen Häusle" zu bringen – und viele schafften es – rief Erstaunen, ja Bewunderung hervor. Heute lebt man schon in der dritten Generation hier und im Kindergarten oder der Schule merkt man keinen Unterschied mehr. Wir leben friedlich mit- und nebeneinander.