Nach 44 Jahren als Tierarzt für Großvieh und Kleintiere ist nun Schluss. Johann Richard Tillschneider wird jetzt – mit dem neuen Jahr – mehr Zeit für seine Frau Juliane Wambach und für Pudeldame Sissi haben. Foto: Sannert Foto: Schwarzwälder-Bote

Ruhestand: Tierarzt Johann Richard Tillschneider war Tag und Nacht für seine Patienten da / Nachfolgerin für Praxis gefunden

44 Jahre lang hat er Kälbchen auf die Welt geholfen, hat in seiner Tierarztpraxis in Hallwangen Hunde und Katzen geimpft und sogar Mäuse kastriert. Heute beginnt für Johann Richard Tillschneider der wohlverdiente Ruhestand.

Kreis Freudenstadt/Nagold. "Meine Praxis war nie geschlossen", sagt Tillschneider, der im Krankheitsfall oder in der Urlaubszeit stets für eine Vertretung gesorgt hat, nicht ohne Stolz. Und so war für ihn klar, nicht zu gehen, bevor ein Nachfolger für die Praxis gefunden ist. In seinem Fall ist es eine Nachfolgerin: Verena Schneider, die zuletzt in einer Nagolder Tierarztpraxis tätig war. Die beiden kennen sich gut, denn die "Neue" hat in der Hallwanger Praxis mehrere Praktika absolviert.

Johann Richard Tillschneider ist Tierarzt mit Leib und Seele – mit einem Herz, das vor allem für das Großvieh schlägt. Aufgewachsen in einer Bauernfamilie im rumänischen Banat, begleitete der kleine Johann Richard seinen Vater, einen Großvieharzt, gerne zu Patientenbesuchen im Kuh- oder Schweinestall.

1972 beendete Tillschneider sein tierärztliches Hochschulstudium und trat in die Fußstapfen des Vaters. Am 23. September 1978 verließ Johann Richard Tillschneider seine Heimat und flüchtete in die Bundesrepublik. Nach einem kurzen Aufenthalt im Übergangswohnheim in Schorndorf erhielt er eine Stelle als Assistent in Hochdorf. Nachdem er 1979 auch noch die deutsche Prüfung bestanden hatte, trat er als Teilhaber in eine Gemeinschafts-Tierarztpraxis in Glatten ein, bevor er 1982 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte.

Nach zahlreichen Arbeitsunfällen, bei denen er sich im Laufe der Jahre unter anderem mehrere Rippenbrüche, eine schwere Schulterverletzung und einen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog, gab Tillschneider vor drei Jahren seine Großviehpraxis auf. Die Kleintierpraxis, die er 1986 eröffnet hatte, betrieb er weiter. Johann Richard Tillschneider war außerdem Stadttierarzt in Dornstetten und Fleischbeschauer. Letztes will er auch nach der Praxisaufgabe beibehalten.

Tillschneider spricht von einem "Entzug auf Raten". Denn von heute auf morgen von 100 auf null Prozent herunterzuschalten, das sei für einen Tierarzt, der 44 Jahre seines Lebens bei Tag und Nacht und an den Wochenenden für seine Patienten zur Stelle war, nahezu unmöglich. 35 Jahre lang hatte er jedes zweite Wochenende Dienst. Dazu hat er unzählige Stunden in Ställen und auf Weiden verbracht, hat Kühen geholfen, die einen ganzen Apfel verschluckt hatten. Schwere Geburten gab es meist nachts. Einmal musste der Tierarzt im Kuhstall im Scheinwerferlicht einen Kaiserschnitt vornehmen. Dabei fiel ihm die Nadel ins Heu. Es war ein Glück für die Kuh, dass Tillschneiders Frau ihn bei diesem Patientenbesuch begleitet hatte, denn sie fand die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. "Weihnachten und Silvester sind meist ausgefallen", erinnert sich Juliane Wambach, die, wie ihr Mann auch aus dem Banat stammt. Einmal sei ein Paar in die Praxis gekommen, das ganz aufgeregt meinte, ihr Hund habe den Hochzeitswalzer verschluckt, erinnert sich der Tierarzt noch genau. Er verordnete ein Brechmittel, und so waren am Ende Hund und Speicherchip gerettet. Nicht selten klingelte im Hause Tillschneider das Telefon gerade dann, wenn ein wichtiges Fußballspiel angepfiffen wurde – zum Leidwesen des leidenschaftlichen Fußballfans, der auf so manches WM- oder EM-Finale verzichten musste.

Zeit blieb dem Tierarzt nur für ein Hobby: das Tischtennisspielen. Aber auch regelmäßige Urlaube in der alten Heimat ließ sich das Ehepaar nicht nehmen.

Ab heute wird Johann Richard Tillschneider nicht nur für seine Frau, sondern auch für die drei Enkelkinder und für den neuen Familienhund, die kleine Pudeldame Sissi, mehr Zeit haben. Mit 67 Jahren, das hatte er sich zum Ziel gesetzt, sollte Schluss sein. Beinahe ist es auch so gekommen. Denn am 7. Januar, und damit wenige Tage nach der Praxisübergabe, feiert Johann Richard Tillschneider seinen 67. Geburtstag.

"Ich bin der dienstälteste Tierarzt im Landkreis Freudenstadt und auch im Landkreis Calw", sagt der Großvieharzt, der im Umkreis von 30 Kilometern rund um Hallwangen im Jahr etwa 80 000 Kilometer unterwegs war, der durchschnittlich drei Mal in der Woche nachts zu einem Patienten eilen musste und neben Kühen, Schafen, Ziegen, Schweinen, Hunden und Katzen selbst Frettchen, Rennmäuse und Hühner und sogar eine Boa constrictor behandelt hat.

44 Jahre lang hat Johann Richard Tillschneider vielen Tieren das Leben gerettet. Nicht allen konnte er helfen. "Mein Vater hat immer gesagt, man soll nicht meinen, man könnte Gott spielen", sagt der Tierarzt, der stets versucht hat, mit seinen Patienten mitzufühlen, ohne die Emotionen zu nah an sich heran zu lassen.