Laut einer Studie der DAK dopen fast 100.000 Baden-Württemberger ür den Job. (Symbolfoto) Foto: dpa-Zentralbild

Um in ihrem Job leistungsfähiger zu sein, nehmen laut einer Studie der DAK rund 100 000 Baden-Württemberger Aufputschmittel. Das sei kein Massenphänomen, aber die Zahl ließe aufhorchen, so DAK-Landeschef Markus Saur.

Stuttgart - Gegen Stress und Leistungsdruck im Job greifen allein in Baden-Württemberg fast 100 000 Menschen derzeit regelmäßig zu verschreibungspflichtigen Medikamenten. Nach einer Studie der Krankenkasse DAK haben 7,5 Prozent der Erwerbstätigen im Südwesten schon einmal Aufputschmittel eingenommen, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Dazu gehören Arzneien gegen Aufmerksamkeitsstörungen, Demenz und Bluthochdruck. Inklusive einer Dunkelziffer ergebe sich ein Wert von bis zu 13,5 Prozent oder 746 000 Arbeitnehmern, sagte DAK-Landeschef Markus Saur bei der Vorlage des Gesundheitsreports 2015 am Dienstag in Stuttgart. „Auch wenn Doping im Job noch kein Massenphänomen ist, sind diese Ergebnisse ein Alarmsignal.“

Nach weiteren Informationen lag der Krankenstand 2014 im Südwesten bei 3,3 Prozent, das heißt jeden Tag fehlen krankheitsbedingt 3,3 Prozent der Berufstätigen. Das ist der im Bundesvergleich (Bund: 3,9 Prozent) niedrigste Landes-Wert. Saur warnte vor Nebenwirkungen des sogenannten Hirndopings wie Kopfschmerzen, Nervosität, Stimmungsschwankungen, Persönlichkeitsveränderungen und Abhängigkeit. „Wer sich immer wieder hochpusht, überfordert sich selbst und entwickelt möglicherweise am Ende eine Erschöpfungsdepression.“

Antidepressiva hätten keinerlei Nutzen, wenn keine Depression vorliege. Neben diesen Mitteln würden häufig Betablocker, aber auch Wachmacher und Pillen gegen Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung eingenommen, um die Konzentration zu steigern, die Stimmung aufzuhellen sowie Stress und Unsicherheit abzubauen. Entgegen landläufiger Meinung haben Erwerbstätige mit einfachen Jobs und einem unsicheren Arbeitsplatz laut DAK ein erhöhtes Dopingrisiko - und nicht Topmanager.

Sport oder Schlaf würde auch helfen

Mehr als der Hälfte der Betroffenen beziehen die Doping-Mittel mit einem Rezept vom Arzt - der manches Mal eine konkrete Diagnose für die Verschreibung schuldig bleibt. In 14,1 Prozent der Fälle kommen die Medikamente von Freunden, Bekannten oder Angehörigen; dazu gehört auch, dass Eltern das ihren Kindern verschriebene Retalin stibitzen. Bei einer Befragung gaben etwa 40 Prozent der Verwender an, Medikamente zu bestimmten Anlässen zu nehmen, seien es Prüfungen, schwierige Gespräche oder wichtige Verhandlungen.

Fast ein Drittel der Frauen und gut 38 Prozent der Männer meinten, ihre Arbeit leichter mit Hilfe pharmakologischer Mittel zu bewältigen. Für den weitaus größten Teil der Arbeitnehmer kommt allerdings eine reale oder vermeintliche Leistungssteigerung mittels Medikamenten nicht infrage: Mehr als 80 Prozent lehnen dies ab.

Alternativen zum gesundheitsschädlichen „pharmakologischen Neuro-Enhancement“ gibt es laut Expertin Susanne Hildebrandt von der IGES Institut GmbH, die die Studie erarbeitet hatte, zahlreiche: vom Kaffeetrinken über Sporttreiben, Musikhören, viel Schlaf bis hin zu einer guten Arbeitsorganisation. Der Freiburger Medizinethiker Joachim Boldt warnte davor, der Medikamenteneinnahme Positives abzugewinnen, wie es in den USA verbreitet sei. Statt auf die Glücks- und Erfolgsversprechungen von Pillen zu setzen, müssten die Notlagen, aus denen heraus sie genommen werden, stärker in den Blick rücken - Leistungsdruck, Jobunsicherheit, geringe Qualifikation.

Bei den Ausfalltagen ging ein Fünftel auf das Konto von Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Mit 16,6 Prozent schoben sich psychische Probleme vor Erkrankungen des Atmungssystems (14,7 Prozent). Betroffen von psychischen Erkrankungen waren im vergangenen Jahr 4,1 Prozent der Versicherten - im Jahr 2000 waren es noch 2,4 Prozent. Der höchste Krankenstand wurde im Gesundheitswesen mit 3,8 Prozent gemessen, der niedrigste bei Bildung, Kultur, Medien (2,4 Prozent).

Grundlage der Studie sind Daten von rund 320 000 erwerbstätigen DAK-Versicherten. Die Ergebnisse wurden auf alle Arbeitnehmer in Baden-Württemberg hochgerechnet. Bundesweit wurden außerdem mehr als 5000 Beschäftigte zwischen 20 und 50 Jahren befragt, davon 670 im Südwesten.