Björn Gottstein, Chef des Eclat-Festival Stuttgart Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Südwestrundfunk (SWR) hat bei den Donaueschinger Musiktagen den Nachfolger des amtierenden künstlerischen Leiters, Armin Köhler, vorgestellt. Ab 2017 wird Björn Gottstein, SWR-Redakteur für Neue Musik in Stuttgart, das Programm des weltweit renommiertesten und ältesten Festivals für Neue Musik gestalten.

Stuttgart - Herr Gottstein, wie stehen aus Ihrer Sicht die Donaueschinger Musiktage zurzeit da?
In Deutschland gilt das Festival weiterhin als erste Referenz in Sachen Neuer Musik, und auch international stehen die Musiktage weit oben. Mit Donaueschingen verbindet sogar der Taxifahrer in Berlin Neue Musik.

Die Säle bei den Musiktagen sind immer voll. Es wird also auch zukünftig nicht darauf ankommen, mehr Publikum zu gewinnen. Aber wollen Sie vielleicht ein anderes?
Man kann sich nicht darauf ausruhen, dass es in Donaueschingen gerade so schön läuft. Die Verantwortung eines künstlerischen Leiters ist die, dass die Neue Musik auch in Zukunft voranschreitet und dass die Ausstrahlung exzellent bleibt. Dabei muss man einerseits schauen, welches gerade die wichtigsten Tendenzen und Komponisten sind, andererseits muss man aber auch eine Sensibilität für gesellschaftliche Fragen und Bedürfnisse entwickeln.
Was wollen Sie in Donaueschingen verändern?
Das kann ich jetzt noch nicht genau sagen. Ich mache mir aber sehr viele Gedanken über den Ablauf von Konzerten und die Art ihrer Präsentation. Das hat allerdings auch damit zu tun, wie die Komponisten selbst arbeiten. Ich möchte ihnen als künstlerischer Leiter ja nicht vorschreiben, wie ihr Werk abzulaufen hat. Es gibt aber viele Komponisten, die nach neuen Formen suchen.
Könnten sich die Donaueschinger Musiktage auch etwas von anderen Festivals abgucken?
Sicher. Interessant finde ich beispielsweise, dass es auf der Berlinale ganz viele Filme gibt, die man unmöglich alle sehen kann. Das ist bislang aber nur ein Gedankenspiel. Und es wird sicherlich 2017 nicht plötzlich 200 Konzerte im Halbstundentakt geben.
Armin Köhler hat gerade in einem Interview die Donaueschinger Musiktage als eine „Messe des Neuen“ und als „Autorenfestival“ beschrieben. Würden Sie das auch tun?
Armin Köhler ist in Donaueschingen als gestaltende Persönlichkeit sehr greifbar. Ich denke, dass ich da etwas anders gestrickt bin – auch weil ich sehr gerne in Teams arbeite. Und die „Messe des Neuen“ werde ich natürlich nicht abschaffen – auch wenn mir der Begriff Messe nicht besonders behagt. Das Neue muss im Mittelpunkt stehen.
Werden sich die Namen der Komponisten und Interpreten beim Festival ändern?
Armin Köhler war nicht beschränkt auf wenige Namen, aber sicherlich gab es einige, mit denen er über die Jahre hinweg besonders intensiv zusammengearbeitet hat. Es wird keinen Bruch geben. Sicherlich bringe ich meinen eigenen Geschmack und meine eigenen Vorstellungen von der Richtung ein, in die sich die Neue Musik bewegen könnte oder sollte. Dennoch werden viele Namen, die bisher in Donaueschingen eine Rolle spielten, auch zukünftig vertreten sein. Veränderungen werden sich von alleine ergeben. Wobei ich mir in Donaueschingen sicherlich immer wieder die Frage stellen werde, ob bestimmte Komponisten, die schon einen gewissen Ruhm erreicht haben und in Salzburg aufgeführt werden, unbedingt auch noch in Donaueschingen präsent sein müssen.
Wie definieren Sie Qualität bei Neuer Musik?
Die Musik ist von sich aus viel stärker handwerklich orientiert als andere Künste, insofern ist das Handwerk ein besonders wichtiges Qualitätsmerkmal. Auch die Art der Aufführung, also die Frage, wie ein Musiker ein Instrument beherrscht, kann ein Qualitätsmerkmal sein. Oder auch nicht. Chris Newman hat kürzlich gesagt, Kultur sei ein Feind der Kunst. Damit meint er, dass eine gewachsene Kultur der oft anarchischen Sprengkraft von Kunst manchmal im Wege steht und dass sich die Kunst über gängige Kriterien wie etwa eine gepflegte Spielkultur zuweilen hinwegsetzen muss, um wirklich Kunst sein zu können. Insofern ist das mit der guten und der qualitativ hochwertigen Musik relativ. Es gibt aber Bedingungen, die man herstellen kann, damit alles so gut werden kann wie möglich.
Wie stehen Sie zu thematischen Bündelungen? Die sind ja zuletzt in Donaueschingen beim Publikum sehr gut angekommen.
Als Zuhörer hat mir das auch sehr gut gefallen. Gleichzeitig verbaut es aber auch etwas. Man muss sehen, dass Armin Köhler vor allem in den letzten Jahren stärker thematisch gearbeitet hat, während er zu Beginn seiner Amtszeit das Feld freier gelassen hat. Ich glaube, das könnte bei mir ähnlich sein.
Dass Sie bereits jetzt die Zusage für die künstlerische Leitung des Festivals bekommen haben, ist ein Bekenntnis des Senders .
Ja, das freut mich sehr, weil es mir die notwendige Planungszeit gibt. Und es zeigt, dass man die Musiktage über 2017 hinaus halten will. Dabei war es ein Wunsch aller Beteiligten, die Position des künstlerischen Leiters künftig nicht mehr auf Lebzeiten zu vergeben. Deshalb werde ich das Festival zunächst bis 2022 leiten – mit der Option einer einmaligen Verlängerung bis 2027. Nach maximal zehn Jahren wäre dann Schluss.
Sie leiten auch das Eclat-Festival. Wie wollen Sie zukünftig die Festivals in Stuttgart und Donaueschingen voneinander unterscheiden?
Eclat werde ich voraussichtlich 2016 zum letzten Mal leiten. Beide Festivals wollte ich nicht machen, denn dann hätte einfach zu viel an einer Person gehangen. Der SWR führt jetzt Gespräche mit Mitarbeitern, die ab 2017 die Attacca-Konzerte gestalten und zusammen mit Christine Fischer auch das Eclat-Festival leiten könnten.