Der Historiker Sven Reichardt ist Gastredner bei Regionalem Wirtschaftsforum der Uni Konstanz in Donaueschingen

Donaueschingen. Die Verleihung des 31. Manfred–Ulmer–Stipendiums und des dritten Tina–Ulmer–Lehrpreises im Rahmen des 32. Regionalen Wissenschaftforums der Stiftung Wisschenschaft und Gesellschaft der Universität Konstant findet in diesem Jahr in Donaueschingen statt.

Festredner der Veranstaltung am 11. Dezember ist Professor Sven Reichardt, der unter dem Aspekt "War die antiautoritäre Linke neoromantisch" zu alternativen Lebensformen Stellung nehmen wird.

Auf dem Boden sitzend im Park oder Campus wurde damals eifrig etwa über Atomausstieg, Vietnamkrieg oder Imperialismus gestritten. Eine Zeit auch, in der Kommunen nicht nur als reine Wohngemeinschaften gegründet wurden.

Reichardt, der 1967 in Bremen geboren wurde, hat die alternative Szene nicht mehr selbst durchlebt, geht deshalb in einer rein wissenschaftlichen Betrachtung auf kollektive Selbstorganisation, autonomes Selbstmanagement und die fluktuierenden Hierarchien ein, um das Lebensgefühl sowie die Kultur- und Sozialgeschichte der linksalternativen Generation zu beschreiben. Reichardt hat die Ergebnisse in einem Buch verfasst, das in diesem Jahr bei Suhrkamp erschienen ist.

Darin beschreibt der Historiker, welche Entwicklungen in Deutschland durch die alternative Szene in den Bereichen Ökonomie und Kultur. Etwa die Biolandwirtschaft oder die Zurückdrängung gesellschaftlicher Autoritäten, also Abschaffung der Formalisierung im Alltag. Aber auch Lebensstile wie Partnerschaft ohne Trauschein und die Aufbrechung des bestehenden Parteiensystems durch die Grünen.

Damit setzte, angetrieben von der Studentenbewegung, ein Wertewandel ein. Ein bis heute andauernder Erneuerungsprozess, der auch heute noch als die Liberalisierung der Bundesrepublik stilisiert wird. Vor allem in den Metropolen entwickelten subkulturelle Gruppierungen eine eigene Dynamik. Über 30 Prozent der Linksalternativen haben Abitur, die meisten unter 30 Jahre, und bezeichnen sich eben als extrem links, konstatiert Reichardt.

Die neue Selbstverantwortung mit ihren Recht auf Selbstverwirklichung bedeutete zugleich auch die Pflicht, über alles Rechenschaft abzulegen. Nicht ganz zwanglos, wie auf den ersten Blick vermuten lässt. Die Gesellschaft entwickelte sich fortan als Feld kollektiver Veränderungen.

In seinem Buch nimmt der Konstanzer Professor Bezug auf Dieter Kunzelmann (Was geht mich denn Vietnam an, ich habe Orgasmusschwierigkeiten!) und die sexuelle Befreiung nach Wilhelm Reich als Weg der Selbstfindung.

Damals gehörte die Sexualität zum Programm der Revolution: Je freier und ungebundener diese sei, je weniger orientiere sich auch der Praktizierende an bürgerlichen Rollenbildern. Reichardt: Das war sicher eine Überschätzung der Sexualität der 68er.

Eröffnen werden den Abend OB Erik Pauly, die Kuratorin des Museums Biedermann Simone Jung und Tina Ulmer–Ziehr, Stellvertretende Vorsitzende des Stiftung Wissenschaft und Gesellschaft. Die musikalische Begleitung übernehmen Studenten der Hochschule für Musik. einen Rückblick auf das akademische Jahr gibt der Rektor der Konstanzer Uni, Ulrich Rüdiger.

Weitere Informationen: Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Suhrkamp, ISBN: 978-3-518-29675-2