Neuntklässler initiieren Projekt "Flucht und Asyl" / Raue Wirklichkeit ins Klassenzimmer geholt

Donaueschingen (jümü). Sorgenvoll war man bei der Stadtverwaltung Donaueschingen, als im Herbst klar wurde, dass die Stadt noch viel mehr als die 100 Flüchtlinge im Sternensaal aufnehmen sollte.

Eigens eine große Infoveranstaltung wurde von Stadt und Landkreis in den Donauhallen organisiert, um auf das Flüchtlingsproblem aufmerksam zu machen und Mitstreiter für die Integration zu gewinnen. Letztere klappt überraschend gut. Negative Erfahrungen mit den Flüchtlingen werden kaum gemacht. Und auf der anderen Seite reichen die Donaueschinger den Fremden vorbildlich die Hand. Ganz vorne mit dabei sind zwei Klassen der Realschule.

Es ist keine leichte Aufgabe, der sich die Mädchen und Jungen der Donaueschinger Realschule verschrieben haben - aus politischer und vor allem aus gesellschaftlicher Sicht. Aber die rund 36 Schüler der Klassen 9a und 9b haben sich im Rahmen ihres, im Herbst letzten Jahres selbst initiierten Projekts "Flucht und Asyl" voll rein gehängt, viel Energie und Freizeit geopfert – und erste Teilerfolge erzielt. Jetzt überreichten sie den Flüchtlingen und Asylsuchenden Tischtennisschläger mit der Möglichkeit, die Platten an der Realschule zu nutzen.

Die Idee, ein aktuelles gesellschaftliches Problem im Rahmen des Unterrichts zu behandeln, wurde von den Schülern gerne aufgegriffen. "Die 9a ist eine internationale Klasse, die von Beginn an sehr offen mit dem Thema umgegangen ist", sagt die betreuende Lehrerin Monika Wenger. Die Initialzündung für das Projekt ging letztlich von der Mitschülerin Nazli Sayed-Khalil aus, die ihre Wurzeln in Syrien hat und seit 13 Jahren mit ihrer Familie in Deutschland wohnt.

Ihre Tante lebte im jetzigen Kriegsgebiet, flüchtete Ende 2014 mit ihrer Familie nach Polen, wo es ihnen nicht wirklich gut ging. Nazlis Mutter setzte sich dafür ein, dass ihre Schwester nach Donaueschingen kommen konnte. Vor der Klasse berichtete Nazlis Cousine Ronida von den Zuständen in ihrer Heimat und von ihrer Flucht. "So haben wir die raue Wirklichkeit in den Unterricht geholt", betont Wenger.

Jetzt gab es kein Halten mehr für die Schüler: Lehrer Volker Schlegel arbeitete mit ihnen im EWG-Unterricht (Erd-, Wirtschafts- und Gemeinschaftskunde) die theoretischen Informationen, die Begriffe und das Hintergrundwissen heraus, bevor es an die Umsetzung ging. Zwei Hauptprobleme stellten sich schnell heraus: mangelnde Deutschkenntnisse sowie keine Arbeit und Beschäftigung.

Mehrere Gespräche mit den Betroffenen, die Nazli in kurdischer Sprache führte, stützten diese Thesen. "Sie wollen alle so schnell wie möglich Deutsch lernen", sagt Nazli Sayed-Khalil. Da ein Handy quasi zur Erstausstattung gehört, lag es nahe, den ersten Sprachunterricht so schnell wie möglich über eine App zu realisieren. "Wir haben eine geeignete App herausgesucht und eine Anleitung verfasst, wie man damit umgeht", so Nazli.

Einig sind sich die Schüler, was sie mit ihrem Projekt letztlich erreichen wollen: "Die Vorurteile abbauen, den Blick für die Realität schärfen, die Menschen kennen lernen, ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten bieten und ihnen so Selbstvertrauen geben."

Nachhaltigkeit ist für die betreuende Lehrerin Monika Wenger das Wichtigste: "Wir werden das Projekt an der Realschule auf jeden Fall fortführen und weitere Aktionen starten." Den Eltern soll das Projekt vorgestellt und allgemeine Aufklärungsarbeit anhand einer Wanderausstellung "Asyl ist Menschenrecht" geleistet werden. Finanzielle Unterstützung in Höhe von 1000 Euro erfahren die Realschüler vom Verein "Children for a better World". Und Strahlwirkung zeigt das Projekt auch schon: "Drei weitere Klassen von der Berufsschule zeigen auch schon Interesse", bestätigt Jessica Stifel, die Sozialarbeiterin im Asylbewerberheim an der Bahnhofstraße.

Mit ihrem Projekt "Flucht und Asyl" machen die Schüler auf die Situation der Flüchtlinge in Donaueschingen aufmerksam und helfen selbst mit für eine schnelle Integration der Asylsuchenden.

u November 2014: Bei einem Besuch im Asylbewerberheim im Sternensaal haben sich die Realschüler erste Eindrücke von der Situation der Flüchtlinge gesammelt.

u Dezember 2014: Die Schüler verteilen kleine Schoko-Nikoläuse zum Advent.

Januar 2015: Die Schüler kaufen Fasnachtsdekoraktion und schmücken den Sternensaal entsprechend.

u Februar 2015: Übersetzungen zum Thema: "Fastnacht – Fest und Brauchtum" werden verteilt.

Übergabe der App "Multi-Sprachen-Übersetzer" und Einüben der Handhabung.

Nazlis Cousine Ronida berichtet im EWG-Unterricht über ihre Erlebnisse.

u März 2015: Asylbewerber spielen Basketball und Handball in der Realschul-Turnhalle.

u April 2015: Der Sternensaal wird österlich geschmückt, und es gibt kleine Geschenke für die Asylsuchenden.

u Mai 2015: Die Schüler richten mit Unterstützung der Stadtbibliothek einen "Offenen Bücherschrank" im Asylbewerberheim ein.

u Juni 2015: Schüler überreichen Tischtennisschläger, mit denen an den Platten an der Schule gespielt werden kann.