Simone Jung, Leiterin des Museum Art Plus, begeistert sich für die von Sebastian Kuhn dekonstruierten und wieder neu montierten Flügel. Foto: Faigle Foto: Schwarzwälder-Bote

Ausstellung: Flügel als Skulpturen und Kunst-Installationen / Neuer künstlerischer Zweck entsteht

Von Gunter Faigle

Wozu dienen Konzertflügel? Damit Kompositionen für Klavier bestmöglich vorgetragen werden. Dank ihrer Tonqualität, ihrer ausgeklügelten Mechanik, ihrer stabilen Langlebigkeit und ihrer gediegenen Erscheinung gehören Flügel zu den Spitzenerzeugnissen des Instrumentenbaus.

Donaueschingen. Von Klavierbaukunst ist die Rede, wenn über Hersteller wie Bechstein, Bösendorfer oder Steinway gesprochen wird. Diese Namen werden auch außerhalb der Musikszene wahrgenommen und keinen wundert es, wenn die Verkaufswerbung edle Begriffe wie Mythos, Exzellenz oder Ideal verwendet. Dass mit dem edlen Gerät auch andere als die ursprünglich beabsichtigten Ziele verfolgt werden, dafür liefert die Kunst- und Musikgeschichte einschlägige Beispiele.

Neuestes und aktuellstes Muster: das Plakat und die sonstigen Werbemittel zur derzeitigen Ausstellung "between" im Museum Art Plus.

Teile der Instrumente sind neu angeordnet

Dort ist die Arbeit "Polyrhythmic Walkabout" des Bildhauers Sebastian Kuhn zu sehen. Es handelt sich um eine eindrucksvolle, mehr als 40 Kubikmeter Raum ausfüllende Skulptur, in der neben Kunststoff und Edelstahl zwei Konzert- und ein Studioflügel verarbeitet sind. Kuhn hat die Instrumente "dekonstruiert", also zerlegt, dann einzelne Teile neu geordnet, ineinander verschachtelt und zu einer explodierenden Form neu zusammenmontiert.

Dem Betrachter wird die Erfahrung, mit der er normalerweise einen Flügel ansieht, genommen. Dafür bekommt er es mit einer ungewohnten Ästhetik zu tun und wird dazu angeregt, sich mit einer anderen, neuen Bedeutung der Materialien und ihrer Wirkung auf sich zu befassen.

Der Katalog zur Ausstellung deutet die grundlegende Umwandlung sinngemäß so: Die Flügel werden zwar ihres musikalischen Klangs beraubt, gewinnen aber in frischen Faltungen des Materials einen eigenen optischen Reiz. Kuhn selbst wünscht sich, dass jeder Betrachter "sich seine eigene Geschichte baut". Der Künstler ist übrigens in bester und erstaunlich zahlreicher Gesellschaft, wenn es um die Entfremdung von Flügeln von ihrem ursprünglichen Zweck geht. Joseph Beuys zum Beispiel hat schon 1966 einen Flügel in Filz eingenäht und darauf ein rotes Kreuz aufgenäht – für ihn unter anderem ein Symbol für das Leid eines in seinem Leben massiv beeinträchtigten Contergankindes.

Konzertflügel sind weit über ihre musikalische Bestimmung hinaus in den vergangenen 50 Jahren zu gewichtigen Bedeutungsträgern geworden. In Donaueschingen fragten sich im Oktober 2003 viele Spaziergänger, warum ein schwarzer Flügel kopfüber und auch noch magnetisch eingenordet ausgerechnet über der Donauquelle montiert war.

Des Rätsels Lösung: Der Komponist Georg Nussbaumer nahm ihn als Symbol für die Wandlungen des menschlichen Lebens – das Quellwasser galt ihm als Ursprung eines Lebens, der an einer Naturkraft ausgerichtete Flügel als dunkler Sarg. Diese Beispiele zeigen: Einrichtungen wie das Museum Art Plus oder Festivals wie die Musiktage bieten Platz für die Schärfung der Wahrnehmung und so für ein kritisches Verständnis der eigenen Gegenwart.