Singen, Musik und Tanz – Gefühle helfen dementen Menschen, ihre Erinnerung aufzufrischen und einen Teil der Vergangenheit zurückzuholen. Heimleiter Dieter Münzer begrüßt die Singgruppe am Tisch. Fotos: Beathalter Foto: Schwarzwälder-Bote

St. Michael: Wachsender Anteil der Bewohner leidet an Krankheit / Kontakt über Erinnerungen

Das Donaueschinger Alten- und Pflegeheim St. Michael ist ein gut behüteter Hort für 300 Bewohner. Viele von ihnen sind noch fit und munter, oft noch lebhaft und aktiv, zum Beispiel beim Musizieren, Malen oder Singen.

Donaueschingen. Aber ein wachsender Anteil von ihnen leidet an Demenz. Das ist ein im Alter zunehmendes Krankheitsbild, das viele Ausprägungen hat. Noch niemand kann die Krankheit wirklich heilen. Aber mehr und mehr prägen dementielle Auffälligkeiten von Bewohnern den Alltag im Altenheim Sankt Michael, das derzeit seinen 40. Geburtstag feiert.

"Von unseren 166 vollstationär betreuten Bewohnern sind 80 Prozent dementiell auffällig", schildert Heimleiter Dieter Münzer wesentliche Veränderungen in den rund 30 Jahren, in denen er die Einrichtung leitet. Das prägt das Alltagsgeschehen im Heim. Pflegepersonal, Angehörige, rechtliche Betreuer, Mediziner, Therapeuten und Mitarbeiter in den Kliniken müssen sich mehr und mehr auf Veränderungen einstellen. Gedächtnis und Denkvermögen lassen nach, sogenannte kognitive Fähigkeiten sind beeinträchtigt, das heißt, die Fähigkeit zu lernen, sich zu erinnern, sich zu konzentrieren oder Informationen zu verarbeiten. Sprachvermögen und Mobilität sind betroffen, Fähigkeiten und Kenntnisse, die sich der Mensch in seinem Leben über Jahre angeeignet hat, werden abgebaut. Dies stellt vor allem die Familie vor Probleme, wenn Gespräche mit der eigenen Mutter oder dem eigenen Vater einsilbig werden und eine gewisse Leere hinterlassen.

Münzer beschreibt, dass es verschiedene Formen der Demenz gibt. Bewohner haben Probleme, sich zeitlich und örtlich zu orientieren, die Bedeutung der Zahnpasta-Tube wird nicht mehr erkannt. Andererseits überspielen demente Menschen den Alltag. Sie tun so, als wüssten sie die Namen noch, als hätten sie nach wie vor ihre Aufgabe: "Ich muss jetzt heim und kochen". Vieles in ihrem Leben war an alltägliche Gewohnheiten geknüpft. Manche Bewohner wollen sich dann halt auf den Weg machen. Sankt Michael hat deswegen ein Schutzengel-System eingeführt: Die Bewohner mit Weglauf-Tendenz tragen ein Armband, dessen Elektronik Alarm gibt und den Namen des Bewohners anzeigt, wenn dieser einen bestimmten Bereich verlässt. So können ihn die Pflegekräfte wieder zurückbegleiten: "Das System ist von den Amtsgerichten genehmigt und hat nichts mit Freiheitsberaubung zu tun", stellt Münzer klar.

"Es gibt Demenzformen, mit denen man gut umgehen kann", sagt Münzer, man müsse versuchen, sich hineinzudenken, sich in die Welt des Kranken zu versetzen, sich auf seine Gedanken und Gefühle einzustellen, also Empathie zeigen: "Irgendwann steigt der Mensch auf das Thema ein, wenn ich die richtige Wellenlänge finde, dann habe ich ihn", sagt Münzer. Aber er weiß auch, dass es aggressive Formen gibt. Sie werden oft ausgelöst, weil der Kranke mit einer Realität konfrontiert werde, die er nicht mehr verstehen kann.

Erinnerungen an früher, alte Geräte, Radioapparate mit Tasten, Spiele, Werkzeuge, Bilder, Fotoalben, die im Leben des Betroffenen eine Rolle spielten, helfen mit, einen Kontakt wieder herzustellen. Schlimm werde es, wenn Menschen eine aggressive Demenz haben. Wenn zum Beispiel bei Männern die Paschas von früher wieder hervorkommen. Schimpfworte, Drohungen oder Gegengewalt nutzen da nichts, die natürlichen Hemmschwellen gehen verloren.

Das stellt Pflegekräfte vor erhebliche Schwierigkeiten, räumt der Heimleiter ein. Manche Bewohner müssten dann bei ambulanten Aufenthalten in der Psychiatrie Rottenmünster mit beruhigenden Medikamenten gut eingestellt werden. Dazu brauche das Pflegepersonal regelmäßige Schulungen, um zu erkennen, wie man damit umgehen kann und sich Eskalationen vermeiden lassen. "Der Charakter, so wie er ist, kommt ohne Schranken heraus, da versagt leider die Pädagogik."

Das Alten- und Pflegeheim St. Michael wurde 1977 eingeweiht. Initiator war neben dem früheren Oberbürgermeister Bernhard Everke ein 1971 gegründeter Altenheimverein, dem die frühere Stadträtin Elisabeth Rothweiler ihren Stempel aufgedrückt hat. Das Budget des Hauses lag 1989, bei Dieter Münzers Amtsanstritt, bei zwei Millionen Euro und heute bei 6,8 Millionen. Das Pflegeheim hatte vor 25 Jahren 117 Bewohner, heute sind es 166 Bewohner in der vollstationären Pflege. Hinzu kommen rund 140 Plätze im Betreuten Wohnen. Der Altersdurchschnitt der Bewohner ist von 79 auf 90 Jahre angestiegen.