"Wanderer verweile in Andacht" mahnt der Gedenkstein auf dem Aasener Friedhof und erinnert an die vielen Opfer erbitterter Kämpfe. Fotos: Winkelmann-Klingpsorn Foto: Schwarzwälder-Bote

Rückblick: Zwei Aasener erinnern sich an schwere Jugend / Noch 1955 sterben drei Jungen durch Granate

Von Elisabeth Winkelmann-Klingsporn

70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges – an vielen Orten haben sich Menschen im vergangenen Jahr an die schrecklichen Ereignisse 1945 in ihrer nächsten Umgebung erinnert.

Donaueschingen-Aasen. Auch nach mehr als sieben Jahrzehnten ist das immer noch belastend und es braucht Kraft und Mut, sich diesen Erinnerungen zu stellen. Anton Zahn und Hermann Rothweiler, beide um die 80 Jahre alt, haben sich in Aasen daran gewagt. Das ist ein Stück Aufarbeitung der Erlebnisse in der eigenen Kindheit und Jugend, aber auch eine Möglichkeit, der nächsten Generation dieses Stück Dorfgeschichte weiter zu geben.

Anton Zahn sah die Kämpfe als Achtjähriger und vergisst diese Bilder bis heute nicht

"Mutiges Erinnern an Leid und Tod führt zu Achtsamkeit im Denken, im Urteilen, im Handeln", steht handgeschrieben in der Dokumentation zum Kriegsende in Aasen, die im Bücherregal von Anton Zahn steht. Unter dem Titel "Aasen – Schicksal einer Division" hat Hermann Riedel 1969 darin die Kämpfe dokumentiert, die sich zurückziehende deutsche Truppenteile und die bereits in Aasen angelangten französischen Soldaten lieferten, sowie die Situation und die Opfer der Menschen im Dorf in diesen Tagen. Anton Zahn hat das mit den Augen eines Achtjährigen erlebt und vergisst diese Erinnerungsbilder nicht.

Aasen hatte damals etwa 700 Einwohner. Dazu kamen Ausgebombte und Evakuierte aus dem Ruhrgebiet, Mitarbeiter aus dem badischen Innenministerium und hohe Parteifunktionäre, die hier Unterkunft gefunden hatten. In den Weiherwiesen, auf dem heutigen Flugplatzgelände, war ein Feldflugplatz eingerichtet worden und die hier stationierten etwa zehn Flugzeuge standen zur Tarnung im Wald.

Die Franzosen, die Marokkaner der vierten Gebirgsdivision, hatten Aasen eingenommen und sich der in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1945 hauptsächlich entlang der Dürrheimer Straße zum Buchwald hin eingegraben. Deutsche Soldaten versuchten von Westen her sich durch das Brigachtal nach Süden abzusetzen. Gegen 9 Uhr morgens fielen die ersten Schüsse, schreibt Riedel, und dann begannen erbitterte Kämpfe mit vielen Opfern.

Die Bevölkerung sollte die Häuser nicht verlassen. Die Menschen warteten bange Stunden lang in den Kellern. Der 13-jährige Adolf Veith wurde im Elternhaus an der Wiesengasse tödlich verwundet. Am Vortag waren bereits Lina Erndle und Maria Grießhaber ums Leben gekommen. Und am 27. April verunglückte der Landwirt Josef Buck beim Löschen eines Hauses am Röteweg.

58 deutsche Soldaten fielen bei den Kämpfen um Aasen, weitere fünf in Heidenhofen und 15 auf dem Ankenbuck. Riedel vermutet noch mehr Opfer, die nach dem 25. April an den Verwundungen in den Lazaretten in Donaueschingen und Bad Dürrheim verstarben.

Am anderen Morgen ist Anton Zahn mit dem Vater auf einem Weg durch das Dorf. In Buckens Garten und "Hinter den Häusern" liegen die Leichen, die die Kämpfe hinterlassen hatten. An den Folgetagen waren Buch- und Weiherwald und die Felder um Aasen geradezu mit Leichen übersät, mit Pferdekadavern und Gerät. Aasener Männer mussten die Leichen einsammeln und Jugendliche mussten beim Aufräumen im Wald helfen.

Die Soldatengräber auf dem Aasener Friedhof zeugen von den schrecklichen Kämpfen. Auch 15 gefallene Marokkaner waren hier zeitweilig bestattet worden.

Nach den Kämpfen kamen die Vergewaltigungen. Frauen und Mädchen in Aasen und Heidenhofen waren in ihren Häusern nicht mehr sicher, waren der sexuellen Gewalt in diesen Tagen schutzlos ausgeliefert. Auf Intervention eines Bürgermeisters setzte der französische Kommandant mit einer standrechtlichen Erschießung eines der Täter dieser Orgie schließlich ein Ende.

"Man hat Angst gehabt", sagt der 83-jährige Hermann Rothweiler und erzählt von seinem älteren Bruder, der im April 1945 16-jährig fiel, von den Schießereien im Ort, während man mit 20 Leuten im Keller auf den Kartoffeln gesessen hat, von Hausdurchsuchungen durch die Franzosen und von den Speck-Eiern, die die Mutter für sie braten musste.

Nach den Gefechtstagen haben Aasener Männer und Jugendliche dann die Toten im Wald aufgelesen. 50 Leichen stapelten sich an der Friedhofsmauer. Bei der Beerdigung mit Pfarrer Kastner war Hermann Rothweiler Ministrant. Das habe ihm zugesetzt. Heute ist für so Traumatisierte psychologische Begleitung selbstverständlich. "Solange man schafft, denkt man nicht viel darüber nach", meint Rothweiler nachdenklich.

Aber das Grauen der letzten Kriegstage kam 1955, als sich das Leben allmählich wieder normalisiert und stabilisiert hatte, noch einmal zurück. Drei Buben, Klaus und Hubert Coslowski und Günther Müller, kamen auf dem Gelände der ehemaligen Aasener Müllkippe an der Ostbaarstraße ums Leben. Man wusste, dass hier noch Munition aus dem Krieg herumlag. Die Buben hatten wohl eine Granate gefunden, die dann unter ihren Händen explodierte. Auch Hermann Rothweiler und Anton Zahn, nur wenig älter, haben die Leichen damals gesehen. Aber auch eine andere Erinnerungslast gibt es noch, mit der gelebt werden muss. Die unterschiedlichen politischen Haltungen im Ort, Menschen und Familien, die zu Nationalismus und Führer standen und Distanziertere, die dem Nazi-Idealismus nicht folgen mochten, eher kirchlich gebunden waren.

Während der Naziherrschaft mussten sich die Kritischen bedeckt halten. Mit dem Zusammenbruch wurden die Risse in der Einwohnerschaft deutlich und tief. Das Kreuz auf dem Scheibenrain, das der längst verstorbene Kranzwirt Johann Hall aufstellte, und von dem Junge und Neubürger nur noch wenig wissen, zeugt von den Bemühungen, diese Gräben zu überwinden.

Auf einem Spaziergang mit Anton Zahn rund um Aasen erinnern noch ein paar Einschusslöcher an steinernen Feldkreuzen an die Kämpfe der durchziehenden deutschen Soldaten mit den Franzosen. Der gelernte Steinmetz hat sie sorgfältig ausgebessert. An der Steig am Hügel oberhalb des Schützenhauses erinnert er sich: "Hier war früher eine Mulde". Beim Aufräumen nach den Kämpfen am 26. April habe man Pferdekadaver und Gerät im Wald und auf den Feldern zusammengesucht, hierher gebracht und zugeschüttet.

"Im vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem Friedhof in Aasen neu gestalteten Massengrab ruhen die im Kampf um Aasen gefallenen Soldaten", schreibt Hermann Riedel. Die Mahnung auf dem Gedenkstein: "Wanderer, verweile in Andacht und künde zu Hause, dass wir als Männer gefallen aus Liebe zur Heimat 1939 - 1945" mag heute manchen Wanderer nachdenklich stimmen.

Anton Zahn kann sich noch gut erinnern, wie er in den 1950er Jahren wochenlang die Namen der hier gefallenen Soldaten in die Gedenksteine gemeißelt hat – 16 Gefallene blieben namenlos. Auf seinem Wohnzimmertisch liegt ein altes Fotoalbum mit vielen Erinnerungen an diese Jahre, in denen seine Generation als Kinder unvorstellbaren Ängsten ausgeliefert war, Kämpfe und Vergewaltigungen miterleben musste.

Der engagierte Aasener ist nicht bei diesen schlimmen Erinnerungen stehen geblieben. Seit Jahren pflanzt Anton Zahn rund um Aasen Bäume, eine schöne und ökologische Maßnahme und ein Zeichen, dass das Leben weitergeht.