Niko Reith, Stadtrat und Landtagsabgeordneter, über die Notunterkunft und die Situation in der Stadt

Donaueschingen. Auf dem Papier hat Donaueschingen zwar eine Notunterkunft, aber eigentlich müsste es eine Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge werden, mit entsprechender Ausstattung, sagt Niko Reith, Stadtrat und Landtagsabgeordneter.

Herr Reith, Land und Stadt sind sich momentan alles andere als einig über die Notunterkunft. Sind Sie im Zwiespalt als Landes- und Kommunalpolitiker?

Grundsätzlich gibt es bei mir ja keinen Zwiespalt, weil ich in Stuttgart in der Opposition bin. Deswegen würde es mir ja leicht fallen, auch wahlkampftaktische Aussagen zu machen. Aber ich glaube, das Thema eignet sich nicht für den Wahlkampf, auch wenn es sicher ein Wahlkampf-Thema wird. Ich sehe das ganz pragmatisch als jemand, der regelmäßig in der Notunterkunft die Probleme erfährt und auf der anderen Seite in der Stadt unterwegs ist und die Bürger hört. Die Bürger wollen einbezogen werden. Nicht nur, was die Hilfe, sondern auch was die Informationen angeht. Und wir müssen mit Informationen auf den Bürger zugehen. Unsere Gesellschaft ist stabil und die muss so stabil bleiben, dass sie vielleicht auch einmal eine negative Nachricht erträgt.

Wie oft werden sie in der Stadt auf die Notunterkunft angesprochen?

Das beschäftigt ganz Donaueschingen. Deswegen müssen wir hier in der Stadt auch über das Thema sprechen und zwar ohne dass der eine Angst haben muss, als Gutmensch oder Rechter betitelt zu werden. Es ist unsere Errungenschaft, dass wir in Deutschland eine Willkommens-Kultur erreicht haben, die auch Ausländer und Asylflüchtlinge begrüßt und versucht zu integrieren. Auf der anderen Seite darf sich aber auch der nicht verstecken müssen, der mal Ängste äußert. Es ist wichtig, darüber zu sprechen, ohne dass wir gleich kategorisieren: Der eine will die ganze Welt retten und der andere ist rechtsradikal. Wir müssen eine Diskussionskultur finden, bei der wir diese Dinge alle offen besprechen können. Für mich ist es eine Art des Misstrauens, wenn wir das nicht machen und mit dem Thema nicht offensiv umgehen, sondern die Menschen vor vollendete Tatsachen stellen.

Sie sprechen die Kommunikation an: Wie oft wird die Stadt noch von weiteren Mitteilungen des Regierungspräsidiums überrascht, dass zusätzliche Flüchtlinge kommen?

Wenn man die Fläche des Konversionsgeländes anschaut, ist doch ganz klar, dass das Gelände dafür prädestiniert ist, um Flüchtlinge aufzunehmen. Wir haben kaum Aufwand und können sofort reagieren. Aber es muss die Frage beantwortet werden, ob es tatsächlich noch eine Notunterkunft ist. Dann wäre es dieser flexible Spielraum, in dem im Notfall Flüchtlinge untergebracht werden können. Aber eine Notunterkunft hat auch die Eigenschaft, dass die Flüchtlinge nach drei bis sieben Tagen in eine Anschlussunterbringung oder in eine Erstaufnahme kommen. Es wird nicht so sein, die Menschen bleiben deutlich länger. Deswegen müssen wir dort oben eine andere Aufenthaltsqualität erreichen. Das alles funktioniert nicht unter dem Deckmantel einer Notunterkunft.

Aus welchen Gründen halten sie eine Notunterkunft für ungeeignet?

Eine Notunterkunft entspricht nicht der Realität. Das Problem einer Notunterkunft ist, dass wir keine Erkennungsdienstliche Identifizierung vornehmen können und dass keine ärztlichen Untersuchungen stattfinden. Dies ist eigentlich die Aufgabe einer Erstunterkunft und nur so startet das Asylverfahren. Für die Menschen, die hier untergebracht sind, ist es wichtig, dass sie schnell in das Asylverfahren reinkommen. Auch das schafft Unruhe: So beispielsweise die Syrer, die sich von der Notunterkunft aus auf den Weg zum Bahnhof gemacht haben, weil sie nach Karlsruhe fahren wollten, um sich dort erfassen zu lassen. Sie wollten das Asylverfahren endlich für sich beginnen lassen und nicht in der vierten Notunterkunft untergebracht werden. Spannungen, entstehen teilweise nicht dadurch, dass so viele Menschen untergebracht sind, sondern dass das Asylverfahren so schleppend und unorganisiert von statten geht.

Kann die Notunterkunft Ihrer Meinung nach auch als Chance für die Stadt betrachtet werden?

Natürlich müssen wir es als Chance begreifen. Ich habe viele Gespräche mit einzelnen Firmen und Handwerkern geführt, die bereit sind, auch Flüchtlinge so schnell wie möglich mitaufzunehmen, weil sie Leute brauchen. Wir brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern in allen Ebenen Leute, die mitarbeiten, damit unsere Konjunktur und unsere Wirtschaft läuft. Es gibt die große Bereitschaft der Wirtschaft Flüchtlinge zu integrieren. Deshalb ist das definitiv eine Chance. Aber das ist ein Schritt vorausgedacht. Wir müssen erst einmal die Grundlagen schaffen, damit wir diese auch nutzen können. Deshalb fordere ich auch eine Änderung des Status hier: Denn aus einer Notunterkunft gibt es kaum Möglichkeiten, die Flüchtlinge in die Wirtschaft zu integrieren. Anders sieht das in der vorläufigen Unterbringung aus. Dort sind die Voraussetzungen anders. Aber auch dort ist ein schnelles und unbürokratisches Handel nicht möglich.

Was müsste geändert werden?

Wir benötigen vor Ort mehr Entscheidungsgewalt. Es muss nicht alles an höheren Stellen entschieden werden. Man muss den handelnden Menschen vor Ort zutrauen, dass sie beispielsweise Praktika für die Flüchtlinge organisieren. So könnten beide Seiten schauen, ob es funktioniert. Und dann muss es so einfach wie möglich gehen, dass aus dem Praktikum mehr werden kann. Es darf nicht sein, dass man da erst einen Antrag stellen muss und nachweisen muss, dass man nicht einen anderen hätte einstellen können. Zu viel Bürokratie würde die Chance, die sich für Donaueschingen ergibt, verschleppen.

Welcher Status wäre ihrer Meinung nach ideal für die Stadt?

Das jetzt nur auf den Status zu reduzieren, ist ein bisschen zu einfach. Grundsätzlich: Aufgrund der großen Anzahl an Flüchtlingen und deren Aufenthaltsdauer in der Notunterkunft, muss in Donaueschingen eine erkennungsdienstliche Erfassung vorgenommen werden, eine ärztliche Untersuchung stattfinden, für eine medizinische Versorgung gesorgt werden und ein Sicherheitskonzept gemeinsam mit Polizei und Security-Dienst entwickelt werden. Eine Aufstockung der Beamten auf dem Revier in Donaueschingen ist zwingend erforderlich, die Beamten sind sehr flexibel und belastbar, wodurch die aktuelle Situation überhaupt gemeistert werden kann, auf Dauer ist das so aber nicht zu bewältigen. Außerdem muss vor Ort eine Möglichkeit geschaffen werden, Asylanträge aufzunehmen und die Verfahren einzuleiten. Damit kann die Integration derjenigen, die eine gute Aussicht auf ein Bleiberecht haben schneller beginnen als bisher. Bei jenen, die keine Aussicht auf Asyl haben, weil sie aus einem sicheren Herkunftsland muss so schnell und unkompliziert für Rückführung in für Heimatländer gewährleistet werden. Hier sind Bund und Land gefordert, dann hätten wir eine wesentliche Entspannung und Entlastung, auch was die Anzahl angeht. Denn trotz großer Bereitschaft und Engagement gerade in der Donaueschinger Bevölkerung dürfen wir diese nicht überstrapazieren. Trotz möglicher weiterer räumlicher Kapazitäten in der Kaserne, benötigen eine Begrenzung in der Aufnahme in Donaueschingen, um Hilfe und Integration auch leisten zu können.

Wäre eine Erstaufnahmestelle nicht schädlich für den Konversionsprozess?

Natürlich soll die Entwicklung des Konversionsgeländes so schnell wie möglich geschehen. Es gibt auch die Zusage, dass, wenn Gebäude auf dem Konversionsgelände umgewandelt werden sollen, wir dann in diesem Bereich anfangen können und dass wir – soweit es geht – nicht behindert werden. Aber wir müssen hier mit offenen Karten spielen.

Und was gibt es in den Karten zu sehen?

Auf dem Papier ist es zwar eine Notunterkunft, aber von Anfang an muss dem Regierungspräsidiums klar gewesen sein, dass die Flüchtlinge hier länger bleiben. Die Flüchtlinge, die am Anfang gekommen sind, sind keine drei bis sieben Tage geblieben. Die meisten sind heute noch da und das sind jetzt über zwei Monate. Deshalb sollte man so ehrlich sein, die Notaufnahme entsprechend auszustatten. Dazu gehört auch das Personal, um eine bessere Betreuung zu ermöglichen. Die Mitarbeiter, die jetzt dort sind, machen einen guten Job. Aber es wird mehr Personal benötigt, damit sie sich richtig kümmern können, weil hier eine unglaubliche Heterogenität herrscht. Da sind so viele verschiedene Ethnien da und so viele Kinder und das multipliziert die Herausforderungen, die eine Aufnahme von Flüchtlingen sowieso schon mit sich bringt. Security ist meines Erachtens ein ganz großes Thema: Qualitativ gut ausgebildet und quantitativ in einer ausreichenden Zahl, weil dadurch mögliche Konflikte im Keim erstickt werden. Dann kommt es gar nicht erst zu Vorfällen – auch nicht in der Stadt. Diese Forderung ist vom Status unabhängig.

u  Die Fragen stellte Stephanie Jakober.