Er ist sowohl den Tätern als auch den Strafverfolgungsbehörden verpflichtet: Bewährungshelfer Igor Cuden kümmert sich um die Resozialisierung von rund 80 Straftätern im Städtedreieck. Foto: Nick Foto: Schwarzwälder-Bote

Justiz: Bewährungshelfer Igor Cuden versteht sich als "die Stimme derer. die keine keine Stimme haben"

Schon nach wenigen Minuten des Gesprächs klingelt das etwas antiquierte Mobiltelefon, das auf Igor Cudens Schreibtisch liegt.

Donaueschingen/Hüfingen/Bräunlingen (chn). Igor Cuden drückt es sich energisch ans Ohr – und hört nur zu. "Ah, dann war es doch mehr als erwartet", murmelt er nach einigen Momenten in das Handy hinein. Er klingt nicht überrascht dabei.

Als er aufgelegt hat, berichtet er kurz, worum es ging. Freilich ohne Details oder gar Namen zu nennen: Bewährungshelfer wie Igor Cuden, der sich gemeinsam mit einer Kollegin und einigen wenigen Ehrenamtlern um rund 160 Straftäter in den Städten Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen kümmert, unterliegen einer rigiden Schweigepflicht. Einer seiner "Klienten", wie Cuden die entweder bedingt aus der Haft entlassenen, zu einer Bewährungsstrafe verurteilten oder zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe unter Führungsaufsicht gestellten Menschen nennt, musste als Auflage per Drogentest seine Abstinenz nachweisen.

Was nicht ganz geklappt hat: Das Screening wies gleich mehrere Substanzen aus. Nun wird der 46-Jährige mit dem jungen Mann die Hintergründe des Konsums und mögliche Alternativen eruieren – aber auch dem Richter davon berichten. Ein Alltagsereignis seiner Arbeit. Eine Tätigkeit, die im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle stattfindet – und in einem, wie er es selbst nennt, "Zwangskontext": Denn die Kundschaft kommt nicht freiwillig zu ihm. Ihre Bandbreite repräsentiert einen langen Spaziergang durch das Strafgesetzbuch und reicht vom notorischen Schwarzfahrer bis zum Mörder.

Rückblende: Oberschwaben, Ende der 80er-Jahre. Igor Cuden drückt in Weingarten bei Ravensburg die Schulbank des Gymnasiums, als die Schicksale derer, "die keine Stimme haben", beginnen, ihm auf die Seele zu drücken: Denn der junge Mann engagiert sich bei Amnesty International, steht in Briefkontakt mit Todeskandidaten in den Zellentrakten der USA, deren Leben nur noch den einen, letzten Gang bereithält.

Vielleicht, räsoniert Cuden in seinem Dienstzimmer im Donaueschinger Amtsgericht, sei in jener Zeit der Berufswunsch entstanden. Er wisse es nicht mehr so genau. Während seines Studiums als Sozialarbeiter dann das erste Praktikum bei der Bewährungshilfe, danach wechselnde Jobs. Jahrelang. Cuden kümmert sich um Häftlinge in der JVA Heilbronn, arbeitet als Suchtberater, Integrationshelfer, als Streetworker in Ulm – und, als es zeitweise keine passende Stelle mehr gibt, fünf Jahre lang als Leiter eines Getränkemarktes.

Dass er auch in dieser Zeit Fortbildungen besucht, zahlt sich aus: 2011 findet er wieder eine Anstellung in dem Job, den er "leidenschaftlich liebt": Seitdem arbeitet er hauptamtlich für die Bewährungshilfe in Rottweil, der eben auch die Betreuung der Klienten im Baaremer Städtedreieck obliegt.

Durchschnittlich drei Jahre steht Cuden mit "seinen" Straftätern in Kontakt. Zeit, in der "Vertrauen wachsen kann". Das Delikt, das der Einzelne begangen hat, darf seine Arbeit und Haltung zur Person niemals beeinflussen: "Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient – und auch eine dritte."

Neutralität ist die Essenz seiner Tätigkeit. Stellt er sich manchmal die begangenen, oft grausamen, Taten dennoch nicht auch bildlich vor? Nein, sagt er und klingt energisch dabei. Auf Nachfrage aber räumt er ein: "Manchmal schon, aber das darf nie zu einer Bewertung führen."

Emotionen kann sich ein Bewährungshelfer nicht leisten. Mitleid? Das ist für Igor Cuden eine "Gefahr" – könnte ebendieses doch zur unbewussten Parteinahme bewegen. "Ich akzeptiere jeden Täter als Mensch, aber nicht seine Straftat". Die Mittlerrolle sei unbedingt zu wahren: zwischen Täter und Staatsmacht, als Helfer zu einem straffreien Leben durch Reflexion über die Tat und Beratung bei finanziellen, sozialen und persönlichen Problemen – aber auch als Berichterstatter und Kontrolleur für das Gericht.

Neutralität über allem

Trotzdem ist Cuden nicht nur Berufstätiger, sondern eben auch Mensch; kann sich nicht einmal wie die Richter wenigstens symbolisch hinter der Fassade einer Robe verstecken, wenn ihm die Täter von bisweilen schockierenden eigenen Gewalterfahrungen in der Kindheit oder im Gefängnis berichten. Manchmal ist er "der einzige Ansprechpartner", dem sie sich solcherart öffnen. Und wie jeder andere auch, findet Cuden manch einen aus seiner Kundschaft durchaus sympathisch.

Aber es gibt nie einen Kontakt über das dienstliche Verhältnis hinaus. Cuden erzählt die Geschichte von jenem Klienten, der einmal mit ihm in einer psychiatrischen Klinik in der Kantine zu Abend essen wollte. Selbst das lehnte der Bewährungshelfer ab, obgleich er es aus menschlicher Perspektive gerne getan hätte.

Was macht nun den besonderen Reiz seiner Arbeit aus? "Wenn sich ein Täter zum ersten Mal aufrichtig seiner Tat und seiner Schuld stellt."

Donaueschingen/Hüfingen/Bräunlingen (chn). Igor Cuden drückt es sich energisch ans Ohr – und hört nur zu. "Ah, dann war es doch mehr als erwartet", murmelt er nach einigen Momenten in das Handy hinein. Er klingt nicht überrascht dabei.

Als er aufgelegt hat, berichtet er kurz, worum es ging. Freilich ohne Details oder gar Namen zu nennen: Bewährungshelfer wie Igor Cuden, der sich gemeinsam mit einer Kollegin und einigen wenigen Ehrenamtlern um rund 160 Straftäter in den Städten Donaueschingen, Hüfingen und Bräunlingen kümmert, unterliegen einer rigiden Schweigepflicht. Einer seiner "Klienten", wie Cuden die entweder bedingt aus der Haft entlassenen, zu einer Bewährungsstrafe verurteilten oder zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe unter Führungsaufsicht gestellten Menschen nennt, musste als Auflage per Drogentest seine Abstinenz nachweisen.

Was nicht ganz geklappt hat: Das Screening wies gleich mehrere Substanzen aus. Nun wird der 46-Jährige mit dem jungen Mann die Hintergründe des Konsums und mögliche Alternativen eruieren – aber auch dem Richter davon berichten. Ein Alltagsereignis seiner Arbeit. Eine Tätigkeit, die im Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle stattfindet – und in einem, wie er es selbst nennt, "Zwangskontext": Denn die Kundschaft kommt nicht freiwillig zu ihm. Ihre Bandbreite repräsentiert einen langen Spaziergang durch das Strafgesetzbuch und reicht vom notorischen Schwarzfahrer bis zum Mörder.

Rückblende: Oberschwaben, Ende der 80er-Jahre. Igor Cuden drückt in Weingarten bei Ravensburg die Schulbank des Gymnasiums, als die Schicksale derer, "die keine Stimme haben", beginnen, ihm auf die Seele zu drücken: Denn der junge Mann engagiert sich bei Amnesty International, steht in Briefkontakt mit Todeskandidaten in den Zellentrakten der USA, deren Leben nur noch den einen, letzten Gang bereithält.

Vielleicht, räsoniert Cuden in seinem Dienstzimmer im Donaueschinger Amtsgericht, sei in jener Zeit der Berufswunsch entstanden. Er wisse es nicht mehr so genau. Während seines Studiums als Sozialarbeiter dann das erste Praktikum bei der Bewährungshilfe, danach wechselnde Jobs. Jahrelang. Cuden kümmert sich um Häftlinge in der JVA Heilbronn, arbeitet als Suchtberater, Integrationshelfer, als Streetworker in Ulm – und, als es zeitweise keine passende Stelle mehr gibt, fünf Jahre lang als Leiter eines Getränkemarktes.

Dass er auch in dieser Zeit Fortbildungen besucht, zahlt sich aus: 2011 findet er wieder eine Anstellung in dem Job, den er "leidenschaftlich liebt": Seitdem arbeitet er hauptamtlich für die Bewährungshilfe in Rottweil, der eben auch die Betreuung der Klienten im Baaremer Städtedreieck obliegt.

Durchschnittlich drei Jahre steht Cuden mit "seinen" Straftätern in Kontakt. Zeit, in der "Vertrauen wachsen kann". Das Delikt, das der Einzelne begangen hat, darf seine Arbeit und Haltung zur Person niemals beeinflussen: "Ich bin der Überzeugung, dass jeder Mensch eine zweite Chance verdient – und auch eine dritte."

Neutralität ist die Essenz seiner Tätigkeit. Stellt er sich manchmal die begangenen, oft grausamen, Taten dennoch nicht auch bildlich vor? Nein, sagt er und klingt energisch dabei. Auf Nachfrage aber räumt er ein: "Manchmal schon, aber das darf nie zu einer Bewertung führen."

Emotionen kann sich ein Bewährungshelfer nicht leisten. Mitleid? Das ist für Igor Cuden eine "Gefahr" – könnte ebendieses doch zur unbewussten Parteinahme bewegen. "Ich akzeptiere jeden Täter als Mensch, aber nicht seine Straftat". Die Mittlerrolle sei unbedingt zu wahren: zwischen Täter und Staatsmacht, als Helfer zu einem straffreien Leben durch Reflexion über die Tat und Beratung bei finanziellen, sozialen und persönlichen Problemen – aber auch als Berichterstatter und Kontrolleur für das Gericht.

Neutralität über allem

Trotzdem ist Cuden nicht nur Berufstätiger, sondern eben auch Mensch; kann sich nicht einmal wie die Richter wenigstens symbolisch hinter der Fassade einer Robe verstecken, wenn ihm die Täter von bisweilen schockierenden eigenen Gewalterfahrungen in der Kindheit oder im Gefängnis berichten. Manchmal ist er "der einzige Ansprechpartner", dem sie sich solcherart öffnen. Und wie jeder andere auch, findet Cuden manch einen aus seiner Kundschaft durchaus sympathisch.

Aber es gibt nie einen Kontakt über das dienstliche Verhältnis hinaus. Cuden erzählt die Geschichte von jenem Klienten, der einmal mit ihm in einer psychiatrischen Klinik in der Kantine zu Abend essen wollte. Selbst das lehnte der Bewährungshelfer ab, obgleich er es aus menschlicher Perspektive gerne getan hätte.

Was macht nun den besonderen Reiz seiner Arbeit aus? "Wenn sich ein Täter zum ersten Mal aufrichtig seiner Tat und seiner Schuld stellt."