Der kommende Stuttgart-Tatort ist ein Film über den Deutschen Herbst. Foto: SWR-Presse/Bildkommunikation

Regisseur Dominik Graf und Produzent Jochen Laube fühlten eine besondere Verantwortung, als sie ihren ersten „Tatort“ für den SWR drehten. Der Stuttgarter Krimi mit dem Titel „Der rote Schatten“ wird am Sonntag ausgestrahlt.

Stuttgart - Deutscher Herbst heißen jene Wochen im Jahr 1977, als die RAF den Höhepunkt ihres Terrors erreichte, der Staat hart reagierte und inhaftierte RAF-Mitglieder in Stammheim Selbstmord begingen. Dominik Graf und Jochen Laube finden die Grauzonen von damals nach wie vor faszinierend.

Herr Graf, Herr Laube, Ihr Film verknüpft die Gegenwart mit dem Deutschen Herbst vor vierzig Jahren und berücksichtigt auch noch das Schicksal der RAF-Rentner. Sprengt das nicht das „ Tatort“-Format?
Dominik Graf Nein, im Gegenteil. Ich habe den „Tatort“ nie nur als Mördersuche angesehen. Der Polizeifilm bewältigt international seit Jahrzehnten ganz andere Herausforderungen, greift zeitgeschichtliche Themen oder komplexe Politdramen auf. „Der rote Schatten“ war vom ersten Tag an als Thriller gedacht, der die Kommissare mit den Untiefen des eigenen ermittelnden Staatsapparats konfrontiert. Der Polizeifilm wird in seinen Möglichkeiten in Deutschland unterschätzt, weil man ihn als Mörder-Ratespiels sieht. Tatsächlich jedoch kann der Polizeithriller - wenn man ihn lässt - krakenhafte Auswüchse einer Gesellschaft erzählen, die in die Hochpolitik genauso wie in die Historie reichen.
Aber hätte sich für eine derart komplexe Handlung nicht eher ein Zweiteiler angeboten?
Graf Nein, denn die Geschichte geht von den Kommissaren aus. Auslöser ist ein verzweifelter Mann, der seine tote Frau durch die Gegend fährt, und die Kommissare sollen herausfinden, warum er das tut. Von diesem Anfang aus entwickelt sich die Geschichte wie ein Atompilz in Zeitlupe, gerade das fand ich spannend.
„Der rote Schatten“ ist der ARD-Film zum Deutschen Herbst 1977. Hat das Ihren Respekt vor dem Stoff noch mal vergrößert?
Graf Wir hatten die Verantwortung, die Ereignisse mental umfassender zu erzählen, so wie das im Film der ältere Kommissar seinem jungen Kollegen erläutert: Das war damals ein Krieg zwischen zwei Generationen, der ab einem bestimmten Zeitpunkt mit Militanz und mörderischer Aggression ausgetragen wurde. Es gab auf beiden Seiten Recht und Unrecht, und diesen Graubereich: die permanenten Bemühungen des Staates, sich in die RAF hineinzumauscheln, die Absprachen und unterirdischen Verbindungen, die bis heute im Verborgenen geblieben sind. Da drängt sich die Vermutung auf, dass sich hinter dem Bekannten noch anderes verbirgt. Wenn man sich intensiv mit dem Stoff befasst, stößt man ständig auf Geheimtüren, die einem gleich wieder vor der Nase zugeknallt werden.
Jochen Laube Gerade bei diesem Stoff war es ein großes Glück, auf die lokalen Eigenheiten eingehen zu können. Wir wollten auf keinen Fall einen Stuttgarter „Tatort“ drehen, in dem einfach der nächste Mordfall gelöst wird. Stammheim ist untrennbar mit deutscher Geschichte verknüpft, es war daher auf Anhieb einleuchtend, die beiden Elemente miteinander zu kombinieren.
Herr Laube, als die Terroristen in Stammheim zu Tode kamen, waren Sie noch nicht geboren. „Der rote Schatten“ scheint trotzdem ein Herzensprojekt zu sein. Warum?
Laube Ich bin im Januar 1978 zur Welt gekommen. Aber ich bin in Ludwigsburg in Sichtweite des Stammheimer Gefängnisses aufgewachsen, die Ereignisse haben mich schon immer interessiert und auch während meiner Schulzeit eine große Rolle gespielt. Für mich war deshalb gerade die Vorarbeit faszinierend, von der Recherche bis zur Motivbegehung in Stammheim. Dominik hat eine sehr klare Haltung zu den Ereignissen des Jahres 1977, ich habe in Bezug auf die terroristischen Aktivitäten einen ganz anderen Blick.
In der Schlüsselszene des Films wird die Nacht von Stammheim rekonstruiert, ein echter Gänsehautmoment. Ist das nicht die eigentliche Geschichte des Films?
Graf Nein, genau darin besteht doch die große Chance des Polizeifilms: Er kann vom Verschwinden eines Haustiers ausgehen und im Innenministerium landen. Das hat mich an ausländischen Polizeifilmen immer fasziniert: Am Anfang steht vielleicht eine winzige Begebenheit, ab der Mitte fliegt man in einen brisanten Themenkosmos, und die Polizisten stellen fest, dass sie ganz persönlich in die Ereignisse verwickelt sind, ohne es gewusst zu haben.
Der Film wirkt sehr aufwändig. Durften Sie mehr Geld ausgeben als für einen durchschnittlichen „Tatort“?
Laube Wir hatten etwas über zwei Millionen Euro, anders hätten wir etwa die Rückblenden nicht so glaubwürdig produzieren können. Außerdem ist es uns, wie ich finde, gelungen, Stuttgart auf ganz andere Art und Weise als bisher darzustellen. Es war der Wunsch von Dominik und mir, diesen Film wirklich in der Stadt zu drehen. Viele andere „Tatort“-Produktionen entstehen ja irgendwo, und am Schluss werden noch ein paar Außenaufnahmen vom eigentlichen Handlungsort ergänzt. Bei uns fanden fast alle Drehtage in Stuttgart statt.
Es gibt Produzenten, deren Puls noch heute schneller schlägt, wenn sie an die Zusammenarbeit mit Dominik Graf zurückdenken. Sie beide verstehen sich offensichtlich immer noch bestens. Wie war die Zusammenarbeit?
Laube Sehr positiv, in jeder Hinsicht auf Augenhöhe, mit gegenseitigem Respekt und großem Engagement für das Projekt. Wenn beide Seiten in gleichem Maß für ein Projekt brennen, gibt es allenfalls noch Diskussionen über Details.
Graf Wir haben uns bei Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten perfekt ergänzt und alle Engpässe bewältigt. Das klappt nicht immer so reibungslos. Es kann zu wirklichen Verwerfungen kommen, wenn einer die Filmherstellung als Machtkampf begreift und für die Kontrolle auch Beschädigungen am Projekt in Kauf nimmt. Ich habe mehrfach totales Misstrauen zwischen Produzent und Regisseur erlebt. Bei Jochen wusste ich dagegen sehr schnell: Wir schaffen das zusammen.
Laube Herausforderungen gab es wahrlich genug. Das Sendedatum stand wegen des Jahrestages von vornherein fest, weshalb wir von Anfang an mächtig unter Zeitdruck standen; wir haben im Mai noch gedreht.
Graf Das war tatsächlich eine der zügigsten Fertigstellungen, auch für Fernsehverhältnisse. Die Bearbeitung der rekonstruierten Szenen war gerade wegen der Kombination von inszenierten Super-8-Bildern mit dokumentarischen Materialien sehr komplex, zumal wir immer wieder hinterfragen mussten, ob jeweils andere Archivbilder womöglich besser geeignet wären.