Dinkelähren: Jahrzehntelang war das Getreide von Bauern und Konsumenten verschmäht – mittlerweile ist Dinkel in. Foto: Uni Hohenheim

Immer wieder kommt es bei Nahrungsmitteln zu Engpässen. Dass Waren aus dem Regal genommen werden, weil der Nachschub fehlt, ist dagegen sehr selten. Bei Dinkelprodukten ist das seit Monaten der Fall.

Immer wieder kommt es bei Nahrungsmitteln zu Engpässen. Dass Waren aus dem Regal genommen werden, weil der Nachschub fehlt, ist dagegen sehr selten. Bei Dinkelprodukten ist das seit Monaten der Fall.

Stuttgart/Ulm - Die Kundeninformation klingt fast wie ein Hilferuf: Die allgemeine Versorgungslage mit Dinkel sei „verheerend“, heißt es in einem Handzettel, der in den Filialen der Stuttgarter Traditionsbäckerei Treiber ausliegt. Aktuell sei der Dinkel-Nachschub „bis zur neuen Ernte im September nicht gewährleistet“. Im Moment versuche man die benötigten Mengen „Monat für Monat“ im In- und Ausland zu sichern.

Deutschlands größte Drogeriemarktkette, dm, hat dasselbe Problem, wenngleich in viel größerem Ausmaß. Aufgrund von Engpässen könne man seit Januar „einige Dinkelprodukte nur zeitweise anbieten“, sagt Stefanie Neumann, Sprecherin von Alnatura, des Bio-Ablegers des Karlsruher Drogisten. Andere habe man gleich ganz aus dem Sortiment nehmen oder die Rezeptur ändern müssen. Hafer und Weizen ersetzen nun in manchen Produkten das rare Exoten-Korn.

Tatsächlich steckt Deutschland bis zum Hals in der Dinkelkrise. Überall in der Republik machen Feinkostläden, Supermärkte, Lebensmitteleinzelhändler und Drogeristen ihre Kunden mit Hinweistafeln auf Versorgungsengpässe aufmerksam oder haben entsprechende Lebensmittel klammheimlich aus den Regalen genommen.

Seit den Wintermonaten 2013 sind die Lager der Mühlen weitgehend geräumt, und seit Anfang des Jahres hat sich die Situation noch einmal verschärft. Für eine Vielzahl an Abnehmern in der Lebensmittelbranche ist Dinkel schlicht nicht mehr zu haben. Andere, die noch das Glück haben, beliefert zu werden, müssen teils drastisch gestiegene Preise in Kauf nehmen.

„Der Markt ist höchst angespannt“, sagt Peter Haarbeck, Geschäftsführer des Verbands deutscher Mühlen. Die Nachfrage übersteige das Angebot bei weitem. „Wir versuchen von überall her Dinkel zu bekommen – aus Australien, Ungarn, Rumänien und Polen“, sagt auch Heinz Künkele, Geschäftsführer der Ulmer Schapfenmühle, einer der bedeutendsten Dinkelverarbeiter in Deutschland. „Aber was wir kriegen, reicht einfach nicht.“ Im Moment könne man nur noch die Stammkunden versorgen. „Neue lehnen wir ab. “

Nur sehr wenige Länder verfügen noch über nennenswerte Anbauflächen für Dinkel

Die Dinkelkrise hat die Lebensmittelbranche mit voller Wucht erfasst – obwohl sich Probleme schon seit längerem angedeutet haben. Seit rund einem Jahrzehnt steigt die Nachfrage nach dem Exotenkorn stetig an – mal um drei, mal um sechs Prozent jährlich. Vor allem von Lebensmittelallergien geplagte Konsumenten greifen immer häufiger auf Dinkel zurück, um unverträgliche Weizenprodukte zu ersetzen. In den vergangenen zwei Jahren hat sich dieser Trend aber in einem Maß beschleunigt, den fast niemand in der Branche erwartet hätte.

Um 15 bis 20 Prozent jährlich sei die Dinkelnachfrage nach oben geschnellt“, sagt Künkele. „Das ist gewaltig.“ Kein Landwirt könne das durch Neupflanzungen so schnell ausgleichen. Eine mäßige 2013er-Ernte habe das Fass nun zum Überlaufen gebracht.

Allgemein war Dinkel über Jahrzehnte nicht eben das Lieblingsgetreide der Bauern und wurde eher von alteingesessenen Spezialisten auf eng begrenzten Flächen angebaut. Das Korn, das Fachleute an seinem harten Spelz erkennen, gilt unter Bauern zwar als relativ anspruchslos, liefert aber auch deutlich weniger Ertrag als etwa Weizen. Weil seine Verarbeitung komplizierter ist und zudem besondere Maschinen nötig macht, tendieren die meisten Landwirte zum einfacheren und lukrativeren Weizenanbau. Als Folge ist Dinkel, der um 1900 die Hauptbrotfrucht in Süddeutschland war, zu einem Exoten geworden.

Die Anbauflächen in Württemberg sind Schätzungen zufolge in den vergangenen hundert Jahren um den Faktor 12 zurückgegangen, während der Weizenanbau stark zugenommen hat. So klein sind die Dinkel-Kulturen mittlerweile, dass offizielle Statistiken sie gar nicht gesondert erfassen. Saatgut-Experten wie Peter Franck, Chef des Saatgutherstellers Pflanzenzucht Oberlimpurg (PZO), gehen in groben Schätzungen von 20 000 bis 60 000 Hektar Dinkelfeldern in Deutschland aus – etwa die Hälfte davon wird im Dinkel-Stammland Württemberg angebaut. Zum Vergleich: Das Allerweltskorn Weizen wird bundesweit auf drei Millionen Hektar kultiviert.

Einen weltweiten Markt für das Exoten-Getreide gibt es nicht

Dazu kommt, dass ein weltweiter Markt für das Exoten-Getreide nicht existiert. Angebots- oder Nachfrageschwankungen in einem Land können also fast nicht durch andere Lieferländer ausgeglichen werden. An Warenterminbörsen wie der Pariser Matif, über die jeden Tag Tausende Tonnen Weizen, Reis oder Mais quer über den Globus geschoben werden, ist Dinkel gar nicht notiert. Die wenigen Länder, die noch über Dinkelkulturen verfügen, verkaufen den Großteil ihrer Ernten auf dem Heimatmarkt, sagt Franck, der mit dem Franckenkorn eine der erfolgreichsten Dinkel-Sorten gezüchtet hat. Auch in anderen Ländern – von Italien bis zu den USA – sei die Versorgung angespannt.

Als Folge sind die Dinkelpreise innerhalb eines Jahres um den Faktor zwei bis drei gestiegen – auf aktuell 1200 bis 1500 Euro je Tonne geschälte Körner. Weizen gibt es aktuell für etwa 200 Euro.

Das bekommt auch der Endkunde zu spüren. Viele Bäcker haben die Preise für Dinkelprodukte deutlich angehoben. Konkret will aber niemand werden.

Schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. Bis zur neuen Ernte im September werde die jetzige Situation anhalten, heißt es aus der Branche.