"Der Wind im alten Lindenbaum mein Lied": Angelika Holweger (Mitte, sitzend) rezitiert japanische Lyrik aus eigener Feder unter freiem Himmel in Dietingen und trifft auf reges Interesse. Foto: Bittner Foto: Schwarzwälder-Bote

Sommernachtsträume unter Scheibles Linde mit fernöstlicher Lyrik und Musik

Dietingen. Trotz Gewitterneigung kamen etwa 30 Kulturliebhaber und Neugierige unter Scheibles Linde in der Bernburgsstraße in Dietingen zusammen und wurden von Angelika Holweger mit japanischer Kurzlyrik und Prosa verwöhnt. Ihr Sohn Ulrich begleitete stimmungsadäquat mit der Gitarre. Angereichert mit kulinarischen Köstlichkeiten war die Veranstaltung von Erwachsenenbildung, Literatur- und Kunsttreff eine Auszeit aus dem Alltag. Nach der Begrüßung durch die Gastgeber, Inge und Albert Scheible, gab Angelika Holweger einen Einblick in ihr Buch "Vorbei am Acker der Kindheit". Der Bildband ist mit eigenen Werken im Stil japanischer Lyrik (Haiku) und Kurzprosa (Haibun) versehen und mit dazu passenden Bildern von der Schriftstellerin und Malerin ausgeschmückt.

Nach einem kurzen theoretischen Hintergrund über die fernöstliche Dichtkunst durch die Künstlerin stimmte Ulrich Holweger die neugierigen Besucher mit berührenden Gitarrenklängen zum Verweilen, zu Sommernachtsträumen, ein.

Die Lyrikbeträge bezogen sich auf den Frühling und Sommer. Wache Naturbeobachtungen und tiefsinnige Wahrnehmung von alltäglichen Dingen, von Umwelt, Tier und Menschen prägten die gekonnt vorgetragenen kurzen Wortspiele, gaben Einblick in eine andere Kultur des Schreibens, regten zum Nachdenken an. Luden ein, die Gedanken schweifen zu lassen, zwischendurch dem Lied der im Geäst sitzenden Amsel zuzuhören und die Seele baumeln zu lassen.

In der idyllischen Umgebung mit der Untermalung der rauschenden Lindenblätter wurden unter anderem folgende Haiku wahrgenommen: "Über blühende Wiesen der Wind und ich" – "Verwilderter Weg / wie die Gräser mich streicheln" oder auch "Sommernacht / der Mond passt ins Guckloch / der Weinlaube". Noch ein paar Haiku, die im Zuhörer noch lange nachhallten: "Auf dem Wasser tanzen / Sterne / deine blauen Augen" – "Die Liebenden / lange stehe ich / vor dem behauenen Stein" – "Kornblumen / ein Augenblick / Unendlichkeit".

Den Schluss bildeten Impressionen zum aufkommenden Nachthimmel: "Dämmerstunde komm / ich zeig Dir / den Duft meiner Rose" – "Der Wind im alten Lindenbaum mein Lied" – "Neumond / schauen horchen / so viel Sterne / hinter den Sternen" – "Mit Dir die Nacht umarmen / und Sterne zählen / über der Stadt".

Hier noch eine Kurzprosa, genannt Haibun, mit dem Titel Vom Finden: Da liegen sie verstreut am Wiesenrain, große und kleine Schneckenhäuschen, alle verwaist. Manche unscheinbar grau, andere braun, und wenige Häuschen in Gelb tragen feine Streifen. Ich hebe eines auf und fahre langsam mit dem Zeigefinger über die Rippen und Windungen. Dieses Haibun endet mit dem nachfolgenden Haiku: "Sternennebel / sie zeichnet / eine Spirale."

Die Resonanz war nach Mitteilung der Veranstalter überraschend gut trotz der Fremdartigkeit dieser Lyrik. Albert Scheible brachte es auf den Punkt: Neugier sei wichtig, um mit allen Sinnen in andere Kulturen einzutauchen. Ein stiller Abend, der manch Lächeln auf vormals müde Gesichter malte, ging mit dem Wunsch zu Ende, weitere Veranstaltungen unter der Linden zu planen.