Der Fall Holderäcker in Böhringen ­/ Thema im Ortschaftsrat / Bürgermeister Scholz: "keine Mauschelei" / Weitere E-Mail

Von Armin Schulz

Dietingen-Böhringen. Neuanfang: Alles deutet darauf hin, dass man bei der geplanten Verfüllung des Gebiets "Hinterm Hummelberg/Holderäcker" wieder bei Null beginnt. Indes wehren sich Bürgermeister, Ortsvorsteher und Ortschaftsrat gegen Vorwürfe der Mauschelei. Dabei lässt ein weiteres Schreiben des Bürgermeisters andere Rückschlüsse zu. Und führt zur Frage, welche Rolle das Landratsamt spielt.

u Wieder bei Null: Am Ende der Ortschaftsratssitzung am Donnerstag im Rathaus in Böhringen bricht sich Frust Bahn. Mit kaum einem Thema habe man sich in der Vergangenheit so intensiv auseinandergesetzt, ohne dass dabei etwas Greifbares herausgekommen sei. In diese Richtung äußern sich nicht nur die Ortschaftsräte Edgar Kramer, Christoph Dresel und Hildegard Flaig. Und nun das: Man steht mit leeren Händen da. An diesem Abend sind es weitere zwei Stunden, in denen sich der Ortschaftsrat zusammen mit dem Dietinger Bürgermeister Frank Scholz mit der geplanten Verfüllung des Geländes Holderäcker befasst. Aus gegebenem Anlass. Es gilt, etwas aufzuarbeiten.

Denn aufgrund einer Mängelrüge eines Dietinger Bauunternehmers hat die Gemeinde die zunächst beschränkte Ausschreibung für die Erdauffüllung Ende Juni aufgehoben (wir berichteten). Die Kommunalaufsicht hat nach dem Einwand des Bauunternehmens das Verfahren geprüft und gelangte zur Einschätzung, dass eine öffentliche Ausschreibung notwendig sei. Diese soll nun gemacht werden, sagt Bürgermeister Frank Scholz, denn dieses Mal wolle er "auf Nummer sicher gehen". Das bedeutet: Alles beginnt von vorne.

u Der Verdacht: Es geht jedoch nicht nur um einen rein formalrechtlichen Fehler. Die Dietinger Firma, die interveniert hat, sieht sich insgesamt benachteiligt und schaltete daher die Kommunalaufsicht ein. Der Verdacht: Die Verwaltung um Bürgermeister Frank Scholz wolle den Auftrag zur Verfüllung des Geländes "Holderäcker" von vornherein einer bestimmten Firma zuschanzen, daher die beschränkte Ausschreibung. Ein Vorwurf, den Scholz und die Ortschaftsräte am Donnerstag entschieden zurückweisen.

u  Ein weiteres Schreiben: Dabei scheint das gar nicht so abwegig zu sein. Zumindest schien Bürgermeister Scholz auch nach dem deutlichen Hinweis der Kommunalaufsicht weiterhin mit einer einfachen und schnellen Lösung geliebäugelt zu haben. In einem Schreiben vom 25. Juni ("Verehrte Ratskollegen"), das der Redaktion vorliegt, heißt es: "Weil eine rechtliche Klärung sowohl bei der Vergabestelle als auch in einem weiteren Verfahren zeitlich langwierig würde, arbeitet die Gemeindeverwaltung gemeinsam mit dem beauftragten Büro derzeit an der Aufhebung der Ausschreibung. Eventuell kann eine vertragliche Vereinbarung ohne weitere Ausschreibung mit der Firma [eben dem Konkurrenzbetrieb zur Dietinger Firma, Anm. d. Red.] getroffen werden, um das Gesamtprojekt erfolgreich abschließen zu können. In Oberndorf war dies bei einem ähnlichen Projekt der Fall."

Interessant ist das Schreiben in mehrfacher Hinsicht. Laut Absender stammt die E-Mail nicht vom E-Mail-Konto des Bürgermeisters selbst, sondern von einer Mitarbeiterin. Die Signatur indes ist die des Bürgermeisters. Da Scholz die Freihandvergabe empfiehlt, obwohl das Kommunalamt ausdrücklich eine öffentliche Ausschreibung als notwendig erachtet, rückt immer stärker die Kreisbehörde in den Fokus. Auch im Zusammenhang mit Oberndorf. Wie sieht deren Rolle aus?

u  Der ähnliche Fall Oberndorf. Was Scholz damit meint? In Oberndorf betreiben Stadt und Kreisverwaltung ein Rekultivierungsgelände. Dort, im ehemaligen Gipsbruch Schwenk im Gewann Vogelloch, sollen die nächsten zehn Jahre rund eine Million Tonnen unbelasteter Erdaushub verfüllt werden. Laut Unterlagen von DB Netze rechnet die Bauherrin von S 21 sogar mit einem Füllvolumen von 1,5 Millionen Tonnen. Das wäre weitaus mehr, als hier bislang öffentlich bekannt ist. Angeliefert wird das Material von der Firma Bantle. Ist das der ähnliche Fall? u Der Neustart: Holderäcker in Böhringen (die Kapazität beträgt rund 350 000 Tonnen) soll nun doch öffentlich ausgeschrieben werden, sagt Scholz am Donnerstag. Das wirbelt den Zeitplan durcheinander – ein Plan, der offensichtlich sehr ambitioniert war. Dabei hatte Scholz noch im Mai auf die geäußerte Sorge von Detlef Langrock erwidert: "Wir liegen gut in der Zeit mit unserem Plan." Nun heißt es von Seiten der Verwaltung, dass die Zeit schon immer knapp gewesen sei. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass Ortsvorsteher Klaus Weisser das Thema erst mit dem neuen Ortschaftsrat besprechen wollte, und daher die Kommunalwahl im Mai vergangenen Jahres abwartete. Er räumt ein taktisches Manöver ein, denn er stufte die Erfolgsaussichten mit dem alten Gremium als geringer ein.

u  Die liebe Zeit: Offensichtlich drängte die Zeit schon immer, in diesem Jahr hätte mit den Arbeiten unbedingt begonnen werden sollen. Der Naturschutz schreibt vier Bauabschnitte wegen der dort lebenden Zauneidechsen vor, die nach und nach gezielt zurückgedrängt werden müssen, das zur Verfügung stehende Material – von beprobtem S-21-Material ist die Rede – steht wohl nur bis 2018 zur Verfügung. Im Jahr 2018 hätte indes der größte Bauabschnitt verfüllt werden müssen. Ein Jahr Verzögerung (man schriebe das Jahr 2019) könnte bedeuten, kein geeignetes Material mehr zu erhalten. Dies jedoch, so Kramer, sei eine Bedingung für sein Ja zur Verfüllung gewesen. Nun wird über eine dreijährige Ablaufphase nachgedacht. Dabei kommt es auf die Naturschutzbehörde an – wegen der Zauneidechsen.

Ein Erfolg wäre es für Böhringen, wenn mit den geplanten Einnahmen (genannt wurden circa 700 000 Euro) durch die Verfüllung des Gewanns Holderäcker der Hochwasserschutz der Gemeinde verbessert werden könnte. Das war offensichtlich die Motivation für ein Gros der Ortschaftsräte, überhaupt für das heikle Projekt zu stimmen, denn im Ort ist es umstritten.

u  Voller Emotionen: Überhaupt geht es in Böhringen sehr emotional zu, wie die Ortschaftsräte berichten. Klaus Weisser nutzt die Sitzung auch dazu, sich gegen Vorwürfe, er habe die Verzögerung zu verantworten, zu wehren. Er habe darüber auch mit dem Bürgermeister gesprochen. Es sei viel Zeit erforderlich gewesen, "die Sache ist sehr komplex", für den Laien nicht leicht zu durchschauen, und man müsse sich auf die Verwaltung und die Experten verlassen können.

Auch Scholz argumentiert auf dieser Ebene, nachdem manche Ortschaftsräte Kritik an ihm äußern (am deutlichsten Hildegard Flaig: "Das kann man jetzt nicht so runterspielen", sagt sie dem Schultes ins Gesicht). Scholz nimmt hingegen das Ingenieurbüro in die Pflicht. Es müsse nun Stellung beziehen (was es wohl auch in der öffentlichen Gemeinderatssitzung am kommenden Montag tun werde), sagen, wie es zu den Mängeln in der Ausschreibung kommen konnte, so Scholz. u Ein Gespenst taucht auf: Möglicherweise könnten bei einer öffentlichen Ausschreibung nicht alle Böhringer Wünsche, etwa die nach einer möglichst geringen Belastung, berücksichtigt werden.

u Randbemerkung: 3360/2. Das ist die Flurbezeichnung für das zu verfüllende Grundstück Holderäcker. Im Grundbuch ist die Gemeinde Dietingen als Eigentümerin eingetragen, wie Recherchen der Dietinger Baufirma ergaben. Doch es liegt wohl ein Irrtum vor. Demnach habe das Grundstück 3360/2 bereits vor 30 Jahren im Rahmen eines Tauschgeschäfts den Besitzer gewechselt. Dieses Konstrukt präsentiert Scholz in der Sitzung am Donnerstag.

In den vergangenen Jahren hat demnach niemand bemerkt, dass da etwas nicht ordentlich registriert und verbucht wurde – und das bei einem Grundstück, mit dem in den vergangenen Jahren mit Sicherheit Rechtsgeschäfte getätigt worden sind.

Und der Gemeinde soll dabei nichts aufgefallen sein, auch nicht bei der Erstellung der Ausschreibung? Bürgermeister Scholz hat demnach nicht registriert, dass hier Unstimmigkeiten vorliegen? Und der Kreisverwaltung als Genehmigungsbehörde ist ebenfalls nichts komisch vorgekommen? Auch dies dürfte weitere Fragen aufwerfen, etwa diese, inwieweit die Kreisverwaltung in den gesamten Vorgang um Auffüllarbeiten mit S21-Material in Dietingen involviert ist.