Die weitere Verfüllung beim Gipsbruch in Dietingen hat begonnen. Dafür wurde der Mutterboden auf den Wiesengrundstücken zunächst abgetragen (oberes Bild). – Auch Josef Graf stellte sein Grundstück für die Auffüllung zur Verfügung. Aber seine Wiesenfläche liegt außerhalb der Abbruchfläche (unteres Bild). Fotos: Schmidt Foto: Schwarzwälder-Bote

Aufreger: Warum, wo und wie lange Stuttgart-21-Material nach Dietingen kommt / Das Rathaus schweigt

Misst das Landratsamt Rottweil mit zweierlei Maß? Ist Acker nicht gleich Acker? Die weitere Verfüllung des Dietinger Gipsbruchs wirft noch weit mehr Fragen auf, als Bürgermeister Frank Scholz den Bürgern schuldet.

Dietingen. Den Gipsbruch aus der Ferne zu beobachten, ist für die Bürger die einzige Informationsquelle. Das Rathaus schweigt beharrlich. Dabei ist die selbst gesetzte Frist schon seit Wochen abgelaufen. Auch die jüngste Gemeinderatssitzung nutzte Bürgermeister Frank Scholz nicht, die Bürger über die Vorgänge beim Gipsbruch zu informieren. Oder gar die Gründe für die weitere Verfüllung mit Stuttgart-21-Material zu erläutern.

Dabei liegt die Genehmigung des Landratsamts, mithin Untere Naturschutzbehörde und Landwirtschaftsamt, seit dem 2. Juni vor. Sie sei in enger Abstimmung mit der Gemeinde erfolgt, informierte Hermann Kopp, erster Landesbeamte.

Dass sämtliche Entscheidungen bereits getroffen wurden, ist auch den Bürgern sichtbar: Die Vorbereitungen für die weitere Verfüllung haben mit der Abtragung der Humusschicht und Auffüllung der bislang bewirtschafteten Wiesenflächen begonnen. Die Fragen indes bleiben.

Wer ist für die Genehmigung verantwortlich? Stimmte der Gemeinderat dieser Auffüllung zu? Antworten, auf die die Bürger warten. Zwar sickerte bereits durch, dass der Gemeinderat zugestimmt hatte. Doch wissen die Dietinger Räte, dass die Wiesenflächen an die Firma Gfrörer/Baulog Stuttgart 21 verkauft wurden? Wissen sie, dass die Verfüllung nicht neun Monate dauert, sondern, laut Bauleiter, mindestens zwei Jahre?

Und die noch viel drängenderen Fragen: Wer profitiert von der weiteren Verfüllung? Endlich auch die Gemeinde? Die Firma Gfrörer? Gerhard Schneider, stellvertretender Bürgermeister, der seine Felder für die Verfüllung veräußern konnte? Überwiegen die Vorteile gegenüber der Belastung, die Böhringen noch die kommenden zwei Jahre mit dem Schwerlastverkehr tragen muss? An wen geht die Fläche nach der Verfüllung?

Nein zu Grafs Grund

Auch für Josef Graf stellen sich diese Fragen. Er zeigte Geschäftsinteresse und wollte profitieren. Das gibt er unumwunden zu. Neben Gerhard Schneider habe auch er seine bislang bewirtschaftete Wiesenfläche für die Verfüllung angeboten. Die Firma Gfrörer habe Interesse gezeigt, doch das Landratsamt sagte: Nein. Bis zum Regierungspräsidium sei er gegangen, weil nicht nachzuvollziehen sei, warum seine Fläche durchfalle, während die andere genehmigt worden sei.

Laut Paragraph zwölf Bundesbodenschutzverordnung seien Bodenauffüllungen auf landwirtschaftlichen Flächen nur zulässig, wenn damit eine Bodenverbesserung oder eine Bewirtschaftungserleichterung erreicht werden könne, erläuterte Kopp.

Aufgrund der vorgesehenen Auffüllungshöhe von zwei Metern sowie der unbekannten Herkunft und Qualität des aufzubringenden Materials (Graf hatte der Behörde nicht explizit mitgeteilt, dass es sich um Stuttgart-21-Material handele, weil der Sachverhalt für ihn klar war) sei eher unwahrscheinlich, dass eine Bodenverbesserung auf der Wiese von Graf erzielt werden könne.

Auch eine Bewirtschaftungserleichterung könne nicht begründet werden, da bei der vorhandenen Hangneigung nicht von erschwerter Bewirtschaftung ausgegangen werden könne. Außerdem sei wegen der vorgesehenen Gestaltung der Auffüllfläche von einer erheblichen Beeinträchtigung des Landschaftsbilds auszugehen.

Die gesetzliche Grundlage ist für Josef Graf nicht missverständlich. Hingegen sei das Landschaftsbild durch die Auffüllung im Gipsbruch schon erheblich verändert worden und würde nun durch die weitere Auffüllung um weitere drei Meter anwachsen, reagiert er verärgert und wirft der Kreisbehörde vor, mit zweierlei Maß zu messen.

Ja zu Schneiders Wiese

Bei der Auffüllung der Wiesenflächen von Gerhard Schneider spricht die Behörde tatsächlich nicht von Bodenverbesserung. Die unterschiedliche Herangehensweise habe andere Gründe. Um sie nachzuvollziehen, ist ein Blick auf den Plan von 1997 nötig.

Damals wurde der Gips-Abbruch erneut beantragt. Im Gegensatz zum Grundstück von Graf, das sich zwar in unmittelbarer Nähe zum Gipsbruch befindet, liegen die Wiesenflächen, die Schneider an Gfrörer verkaufte, innerhalb der Abbruchfläche.

Wie Hermann Kopp, Franz Kreibich, Naturschutzbehörde, Edgar Griesser, Bauamt, und Andreas Bihl, Sachbearbeiter der Immissionsschutzbehörde, am runden Tisch erläuterten, wurde zumindest das rechts vom Steinbruch liegende Wiesengrundstück auch tatsächlich abgetragen.

Was sich im Vergleich zu heute anders darstelle, sei die Auffüllmenge. Sie war weit geringer, als das, was jetzt aus "Stuttgart 21" anrollt. Insofern war eine Änderungsgenehmigung notwendig, die auch 2016 beantragt wurde. Freilich erkannte die Kreisbehörde, dass das Landschaftsbild dadurch eine erhebliche Veränderung erfahre. 620 000 Kubikmeter Stuttgart-21-Material soll im 9,05 Hektar großen Gebiet verfüllt werden.

Der erste Plan von Gfrörer fiel dann auch durch. Die Böschungen wären viel zu steil geworden, sagte Kopp. Mit Hilfe eines digitalen Modells sei dann der zweite Plan begutachtet und letztendlich, zwar bei gleicher Auffüllmenge, aber mit Blick auf die landschaftliche Umgebung, als verträglich genehmigt worden. Für das Landratsamt letztendlich eine Abwägungsfrage. Lehnt es ab, stehe dem Unternehmen Gfrörer offen, den Gipsbruch, also auch die Wiesenfläche, weiter abzubauen. In einem zeitlich unbegrenzten Rahmen. Stimmt es zu, sei der Rahmen auf zwei, drei Jahre festgelegt und die Rekultivierung des Gipsbruchs könne danach beginnen.

Josef Graf bedauert, dass diese Begründung der Behörde nicht an ihn weitergereicht worden sei. Er werde von weiteren Schritten Abstand nehmen. Die Verwaltungsspitze in Dietingen lässt die Türen indes weiter zu. Am Montag, 24. Juli, ist gegen 20 Uhr in der Gößlinger Schwarzenbachhalle die nächste Gemeinderatssitzung. Unter den zu behandelten Tagesordnungspunkten ist der Gipsbruch nicht zu finden.