Engagiert: Albert Scheible ist zurück von Lesbos / Mitbringsel zeugen von Leid der Flüchtlinge / Schlepper verdienen Vermögen

Von Verena Parage

Albert Scheible ist daheim: zurück in Dietingen, nach drei Wochen auf Lesbos. Auf der griechischen Insel hat der 63-Jährige Flüchtlingen geholfen. Auch nach gut einer Woche fühlt er sich so, als sei er noch mit einem Bein auf der Insel.

Dietingen. Vor zehn Tagen spazierte Albert Scheible so noch über Lesbos: mit seinem Blumenhut auf dem Kopf. Jetzt hat er wieder den Hut auf, dazu ein Holzpaddel, unprofessionell gemacht, in der Hand und eine Tasche voller Mitbringsel über der Schulter – ein aufgeweichtes Buch mit Vokabeln (Arabisch – Englisch) und ein irakischer Reisepass. Dazu kommen Schwimmwesten, eine kleine in Blau für ein Kind und eine völlig verwaschene, orange, für Erwachsene. So läuft Scheible durch Rottweil, wird angesprochen und hat viel zu erzählen.

An den Souvenirs, Treibgut vom Strand von Lesbos, lässt sich ablesen, was die Flüchtlinge, die einstigen Besitzer, hinter sich haben. Auf Schlepperbooten haben sie die wenigen Kilometer von der türkischen Küste bis nach Lesbos, in die EU, zurückgelegt. Diejenigen, die die gefährliche Überfahrt überleben, werden von freiwilligen Helfern in Empfang genommen. Albert Scheible war als Teil eines Teams der privaten Schweizer Hilfsorganisation "Schwizerchruez", also Schweizerkreuz, einer von ihnen (wir berichteten).

"Alberto luludia", "Albert, die Blume" sei sein Name in Griechenland gewesen, erzählt Scheible. Der Hut war sein Kennzeichen: Immer dekoriert mit frischen Blumen. Die Rosen aus dem Hotelgarten sind inzwischen vertrocknet. Obwohl der Dietinger Rentner kaum Englisch kann, habe er sich mit jedem irgendwie verständigen können – mit anderen Helfern aus aller Welt und mit den Flüchtlingen. "Von Herz zu Herz geht das immer", sagt Scheible in der ihm eigenen Art.

Anders als die Blumen sind seine Erinnerungen noch frisch. Die Mitbringsel halten sie wach: Auf dem Paddel hat jemand mit einem Stift "Jesus" geschrieben und ein großes Kreuz gezeichnet: ein Flüchtling, offenbar Christ.

Für Scheible ist die Arbeit der Ehrenamtlichen auch ein Zeichen christlicher Nächstenliebe. Es gehe um humanitäre Hilfe, sagt der 63-Jährige. Mit Politik hätten solche Einsätze nichts zu tun. Dadurch komme kein Flüchtling mehr oder weniger nach Deutschland. "Es ist nachvollziehbar, dass die Belastungsgrenze mit Flüchtlingen in Deutschland bald erreicht ist", meint Scheible. Doch wenn die Menschen ihr Leben riskieren, um übers Mittelmeer zu kommen, dann zeigt das dem Dietinger, wie groß die Not in deren Heimat ist. Das habe er auch im Gespräch mit den Flüchtlingen erfahren.

Über Whatsapp kommuniziert Albert Scheible weiterhin mit den Schwizerchruez-Helfern auf Lesbos. "Heute erwarten sie viele Flüchtlinge", sagt er nach einem Blick auf sein Smartphone. Auf der Insel sei jetzt T-Shirt-Wetter. Eine entsprechende Statistik, die er später von seinen Kollegen zugeschickt bekommt, bestätigt das: Zehn Flüchtlinge seien es am 11. Februar gewesen, am 17. Februar sind dagegen 2091 angekommen.

Dass die Schlepper bei jedem Boot, oft nur ein Schlauchboot, das mit rund 50 Personen besetzt ist, rund 75 000 Euro verdienen, ist für Scheible ein Skandal. Darüber hinaus liest er Artikel, die andere Ehrenamtliche, mit denen er teils zusammengearbeitet hat, im Internet oder in Zeitungen veröffentlichen. Sie teilen die Erinnerungen an die verängstigten, frierende Menschen, die die Helfer aus dem Wasser ziehen und denen sie trockene Kleider geben, bevor ein Bus die Neuankömmlinge in ein Lager bringt. Solche Erlebnisse will auch Scheible weitergeben, in Vorträgen etwa.

Zumal er trotz allem Unglück ein großes Glück verspürt. "Ich hab in diesem Geschehen doch noch Zeichen von Hoffnung setzen können", sagt er. Und: "Ein Teil der Sinne ist immer noch dort."

Weitere Informationen: http://schwizerchruez.herokuapp.com/