Sören Schwesig, StN-Redakteur Martin Haar und Christian Hermes Foto: Peter Petsch

Sie treffen sich regelmäßig zum Mittagessen beim Italiener. Doch das Dolce Vita spielte keine Rolle. Bei dem Gespräch der beiden Stadtdekane, Christian Hermes und Søren Schwesig, ging es existenzielle Fragen.

Stuttgart – Sie treffen sich regelmäßig zum Mittagessen beim Italiener. Doch das Dolce Vita spielt keine Rolle. Bei dem Gespräch der beiden Stadtdekane, Christian Hermes und Søren Schwesig, geht es um existenzielle Fragen und um die geheimnisvolle Osterbotschaft.
 
Herr Hermes, Herr Schwesig, haben Sie schon einen Schokohasen vernascht?
Hermes: Wie bitte? In der Fastenzeit? Schwesig: Ich bin auch stolz, dass ich die Fastenzeit ohne Süßes durchgehalten habe.
Für manche sind die Hasen und das Drumherum Symbole für ein anderes Ostern. Ganz ohne christliche Bedeutung. Schmerzt das?
Hermes: Wenn, dann ist das auch ein Schmerz über uns selbst. Denn es ist unser Auftrag, die Osterbotschaft in die Gesellschaft zu tragen. Schließlich wird an Ostern das entscheidende Thema verhandelt. Es geht um nichts Geringeres als um Leben und Tod. Dass das Leben den Tod überwindet. Wir Christen sind überzeugt davon, dass der Glaube auf diese existenziellen Fragen Antworten bietet. Schwesig: Dem ist fast nichts hinzuzufügen. Es tut unserer Gesellschaft gut, in Rhythmen zu leben und über Begrenzungen nachzudenken. Wenn das bei den Menschen so wenig spürbar wird, dann bedaure ich das, nehme es aber auch als Herausforderung an.
Was bedeutet Ostern für Sie?
Hermes: Alle Menschen, auch ich, werden zwangsläufig mit den Mächten des Todes und mit der Zerbrechlichkeit des Lebens konfrontiert. Ich kann ich mich nicht einfach vor diesem Thema wie vor dem Fernseher wegzappen. Ich muss mich dem stellen und glaube zutiefst daran, dass Gott die Antwort darauf gegeben hat. Das ist für mich eine tiefe Quelle der Hoffnung. Schwesig: Als mein Vater starb, war für mich der Abbruch dieser Beziehung das Schmerzhafteste. Aber wenn ich in der Osternacht feiere, ist das ein eindrückliches Erlebnis. Ich erlebe, was die Osterbotschaft bedeutet.
Und wie lautet Ihre Antwort?
Schwesig: Es gibt keinen Ort und keine Zeit, wo die Beziehung zu Gott abbricht. Das hilft mir immer wieder bei Abschieden. So verliert die Bedrohlichkeit des Todes seine Macht. Die gefährliche Dimension, den Sturz ins Nichts, gibt es für mich nicht mehr.
Hat die Osterbotschaft Aktualität?
Hermes: Das erlebe ich jeden Tag in so vielen Begegnungen. In jedem Leben gibt es den Beziehungsabbruch, die Krankheitsdiagnose, Schuld, Tod und die Trauer, aber gleichzeitig auch die Sehnsucht nach Heilung. Und ich erlebe jeden Tag auch, wie die christliche Botschaft in solchen Situationen Kraft gibt. Schwesig: Wir leben inmitten der Erfahrung von Leid und Glück. Beides nimmt Ostern auf. An Karfreitag fragt Jesus: Gott, warum hast du mich verlassen? Gott antwortet darauf am Ostermorgen mit der Auferstehung. Für mich ist das wichtig, da ich versuche, mein Leben zwischen den Polen von Leid und Glück zu führen.
Herr Hermes, Ihr Kollege Schwesig meinte neulich: Dieser unglückselige Limburger Bischof, der nicht mit Geld umgehen kann, habe ein verheerendes Trümmerfeld hinterlassen, dessen Folgen nun auch die Protestanten spüren. Schämen Sie sich für Tebartz-van Elst?

Hermes: Das hätte nicht passieren dürfen. Er wird aber nicht als Bischof nach Limburg zurückkehren und wird in Deutschland nicht mehr als Bischof in Erscheinung treten. Auch Papst Franziskus hat noch mal klargemacht: Alle Mittel der Kirche haben nur einen Zweck, sie müssen der Aufgabe dienen, Anwalt des Lebens zu sein. Alles andere geht nicht.

Das war eine offizielle Stellungnahme. Wie hat Sie der Skandal persönlich betroffen?
Hermes: Natürlich ärgert es mich, wenn Menschen aus diesem Grund aus der Kirche austreten. Das darf doch nicht wahr sein. Aber wir bekommen so lange berechtigt Schläge, bis wir diese Sache auf der Reihe haben. So etwas widerspricht unserer Botschaft.
Herr Schwesig, erleben wir bald einen Bruch in Ihrer Kirche? Selten haben sich die Fundamentalisten mit den Liberalen so unversöhnlich bekämpft – zuletzt beim Bildungsplan.
Schwesig: Ich befürchte keinen Bruch. Aber wir müssen innerkirchlich gegensätzliche Positionen aushalten. Die Einheit der Kirche ist ein hohes Gut. Ich misstraue Menschen, die schnell ausrufen: „Bis hierher und nicht weiter!“ Wir brauchen eine Diskussionskultur, die andere Meinungen stehen lässt. So, dass ich zu Herrn Hermes in einer Diskussion sagen kann: Da bin ich anderer Meinung!, und hinzufüge: Wann diskutieren wir darüber weiter?
Hermes: Das nennt man Toleranz. Gerade in der Diskussion über den Bildungsplan hat mir vieles nicht gefallen. Ich halte von dem Kulturkampfgeschwafel überhaupt nichts. Eigentlich müsste man hier ja dankbar sein für die verunglückte Vorlage des Ministeriums. So können wir eine sachliche Diskussion beginnen, welche Lebensformen denn staatlich oder durch einen Bildungsplan unterstützt werden sollen.
Hinter dem Kulturkampfgeschwafel scheint sich oft eine Angst vor Pluralismus, dem Anderen und Fremden zu verbergen.
Hermes: Es ist menschlich, das Andere, das ich nicht kenne, bedrohlich zu finden. Die Herausforderung besteht darin, dialogfähig zu bleiben und die Verständigung zu suchen. Ich wehre mich dagegen, den anderen mundtot zu machen.
Schwesig: Die zunehmende Individualisierung kann Menschen an Grenzen bringen. Die vielen Angebote und Lebensmöglichkeiten fordern ein ständiges Entscheiden. Dabei kann die Gelassenheit verloren gehen, mit der ich mich einem Thema nähere. Oft streiten wir über Fragen, die gar nicht so wichtig sind. Womöglich werden spätere Generationen fragen: Wie konntet ihr euch nachgeordneten Themen mit Inbrunst widmen, während in Sizilien an einem Tag 4000 notleidende Menschen landen?
Sind Kirchen den Herausforderung der Zukunft gewachsen, wenn sie sich in ihren Diskussionen nur um sich selbst drehen?
Hermes: Wenn wir eine Kirche der Angst sind, die sich von innen und außen in ihrer Identität bedroht fühlt, dann nicht. Dann sind wir ein Teil des Problems. Wir müssen ein Teil der Lösung sein. Wir müssen helfen, diese Pluralität in der Gesellschaft zusammenzuführen. Wenn Jesus sagt, ihr seid nicht mehr Griechen, Römer oder Juden. Ihr seid Christen, dann steckt darin eine Universalität des Menschseins. Ethnische Unterschiede dürfen für Christen kein Thema sein.
Schwesig: Einspruch. Wir drehen uns nicht nur um uns selbst. In unserer Kirche fragen viele angesichts verschiedenster Probleme: Was kann ich als Christ tun? Das erfüllt mich mit Freude.
Herr Schwesig, Sie sagen: Wir Christen werden zur Minderheit. Haben Sie den Kampf, Volkskirche sein zu wollen, aufgegeben?
Schwesig: Dass wir zur Minderheit werden, ist ein Fakt. Wir ziehen uns aber deshalb nicht zurück, sondern wollen auch weiter die Gesellschaft mitgestalten. In diesem Sinne sind wir Volkskirche. Eine Kirche, die ins Volk hineinwirkt.
Herr Hermes, wie ist Ihr Draht zum Papst?
Hermes: (Lacht) Ich habe sozusagen 24 Stunden Kontakt. Er steht als Bild auf meinem Schreibtisch. Aber warum fragen Sie?
Ich hoffte, Sie hätten eine Direktverbindung. Sie hätten sich dann zum Reformationsjubiläum 2017 verdient machen können.
Hermes : Wie das?
Martin Luther stünde bei einer erfolgreichen Intervention 500 Jahre nach der Reformation nicht mehr unter dem Bann Ihrer Kirche. Spaß beiseite, wo sehen Sie tatsächlich Anknüpfungspunkte für mehr Gemeinsamkeiten?
Hermes: Herr Schwesig und ich haben gerade bei einem Mittagessen, zu dem wir uns übrigens regelmäßig treffen, über diese Themen gesprochen. Zum Beispiel, wie wir die traurigen Jubiläen in diesem Jahr gemeinsam würdigen. Den Beginn der Weltkriege oder die Zerstörung der Innenstadt 1944.
Schwesig: Auch der Geburtstag meiner Kirche, das Reformationsjubiläum, steht auf der Agenda.
Hermes: (Schmunzelt) Ich dachte immer, Pfingsten sei der Geburtstag der Kirche.
Schwesig: Da haben sie mich erwischt. Richtig. Pfingsten ist der Geburtstag unserer Kirche. Und deshalb bleibt das Ziel, dass unsere Kirchen wieder zusammengeführt werden. Übrigens: Wissen Sie, was ich an Ihnen schätze?
Hermes: Nein.
Schwesig: Dass Sie kein Vertreter einer versteckten Kuschel-Ökumene sind. Ich schätze Ihre Klarheit und Brüderlichkeit.
Haben Sie beide erkannt, dass Sie in dieser Einigkeit kommunalpolitisch schlagkräftiger sind?
Hermes: Haben wir. Und wir setzen es um.
Schwesig: Es war zuletzt in der Diskussion um die weltanschauliche Neutralität in Ganztagsschulen wesentlich, dass wir uns als Kirche gemeinsam geäußert haben. Es ist wichtig, deutlich zu machen, was die Kirchen für diese Stadtgesellschaft leisten.
Hat OB Fritz Kuhn ein offenes Ohr für Sie?
Hermes: Der Oberbürgermeister, die Bürgermeister und der Gemeinderat wissen sehr gut, was die Stadt an den Kirchen hat.
Zurück zu Ostern. Haben Sie einen guten Tipp? Wo muss man hin, um den Kern der Osterbotschaft am besten zu erfahren?
Hermes: Natürlich in einen der Gottesdienste. Aber man kann es auch auf eine tief rührende Weise in den Flüchtlingsheimen oder den Hospizen erleben. Weil genau da die Frage nach Leben und Tod gestellt wird. Und das ist unsere Kernbotschaft: Wir sind Zeugen des Lebens gegen den Tod.
Schwesig: Diesen wunderbaren Satz lasse ich so stehen. Aber mein Geheimtipp lautet: Gehen Sie zu einer Osternachtfeier. Dieses Spiel von Dunkel und Licht, das Hören auf die alten Worte, davon geht viel Geheimnisvolles aus.