Nicolai van der Bellen mit einem Hinterwälder Rind Foto: Simone Ise/Südkurier

Der Sohn des österreichischen Bundespräsidenten Van der Bellen lebt am Bodensee eine ganz eigene grüne Philosophie. Karrierestreben war Nicolai van der Bellen stets fremd. Dem 53-Jährigen sind andere Dinge wichtig.

Eigeltingen - Nicolai van der Bellen ist der älteste von zwei Söhnen des österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Das ist an sich keine Nachricht, und auch dass der Spross des Wiener Politikers bei Eigeltingen am Bodensee einen Hof bewirtschaftet, ist nur bedingt erwähnenswert. Jeder geht eben seinen eigenen Weg. Doch wenn sich zwei Lebensläufe so diametral unterscheiden wie in diesem Fall, übt der Kontrast einen besonderen Reiz aus.

Man darf wohl behaupten, dass der Ende Januar ins höchste Staatsamt gewählte Alexander van der Bellen ein Leben in maximaler Öffentlichkeit führt. Bei seinem Sohn Nicolai trifft das genaue Gegenteil zu. „Über Wiesen in den Wald und am Waldrand den letzten Weg links rein, nach 500 Metern liegt der Hof rechts“, beschreibt er den Anfahrtsweg. Abgeschiedener geht es kaum – zumindest räumlich.

Der Hausherr, ein drahtiger 53-Jähriger mit schütterem Haar, kommt gerade aus dem Stall. „Ich zeig‘ Ihnen mal die Rinder“, sagt er und gibt dem Gast eine Einführung in die Hinterwälder Rasse: gedrungene Tiere mit mächtigem Kopf, die langsam wachsen und genügsam sind. Nahezu reinrassig seien sie, sagt Van der Bellen und tätschelt einem Bullen den Kopf. Seine Frau, die Psychotherapeutin Brigitta Grießer, hat den Bestand von einem alten Schwarzwaldbauern übernommen und dann lange nach einem passenden Hof gesucht: „Möglichst nicht mit Seeblick, sonst wird’s gleich eine Million teurer“, lacht der Mann in den Gummistiefeln, während Belkis, ein Riesenschnauzer, den Gast beschnüffelt.

Die letzten Hinterwälder

Dass dies hier kein konventioneller Bauernhof ist, wird spätestens dann klar, wenn Van der Bellen erzählt, dass die Tiere ständig im Freien leben. Dass sie sich nur untereinander vermehren. Und dass er sie selbst schlachtet, indem er sie mit einem schallgedämpften Winchester-Gewehr erschießt. Weil Bolzenschussapparate die Herde beunruhigten. Und weil er diese existenzielle Tat niemandem anderen überlassen will. „Weißt Du noch, wie lange wir dafür bei den Behörden kämpfen mussten?“, wirft seine Frau ein.

Bastelt sich hier ein exzentrisches Paar eine persönliche Wildwest-Romantik zusammen – die große Eigeltinger Freiheit? Der Gedanke kann zunächst aufkommen, wenn Van der Bellen von seiner lebenslangen Suche nach Sinn und Erfüllung erzählt. In Innsbruck ist er geboren, wo sein Vater damals Volkswirtschaft studierte, eher ein Kumpel für ihn als ein strenger Erzieher: „Er war gerade mal 19, als ich zur Welt kam, für mich war er immer der Saschi.“ Viel Unfug hätten sie zusammen verzapft, und dabei einen Schatz gemeinsamer Erinnerungen angesammelt.

Dass er antiautoritär erzogen wurde, will Nicolai van der Bellen aber nicht stehen lassen. Es gab zwar viel Widerspruch, man hat diskutiert: „Von außen sah das wahrscheinlich oft antiautoritär aus.“ Und so ganz geheuer war die linksliberale, protestantische Familie mit den holländisch-estnischen Wurzeln den tiefkatholischen Tirolern ohnehin nicht. Doch man legte im Hause Van der Bellen auch Wert auf bürgerliche Ordnung: „Höflichkeit und Manieren waren wichtig.“

Die Suche nach Sinn

Laissez-faire herrschte eher bei der Berufswahl. Denn während der Vater zielstrebig an seiner wissenschaftlichen und später politischen Karriere feilte, probierte der Nachwuchs alle möglichen Wege. Nach Studienanfängen in der Psychologie wechselte er zur Medizin, schloss aber nicht ab, sondern schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. So richtig zufrieden war er erst, als er in den USA bei Indianern eine Ausbildung in Ritualarbeit absolvierte: ein Prozess der Selbstfindung, der ihn schließlich auch dazu befähigte, andere psychologisch zu begleiten. „Da hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles tue“, sagt Van der Bellen. Auch wenn sich damit ebenso wenig Geld verdienen ließ wie mit einem Buch über Selbstfindung.

Dass er schließlich Bauer wurde, hat einerseits mit dem Zufall zu tun, weil er nach seiner Scheidung eine naturbegeisterte Frau kennenlernte. Andererseits steckt auch eine gewisse Logik darin, denn wer hat mit existenziellen Themen wie Leben, Tod und Natur mehr zu tun als Bauern? Und ebenso logisch ist es, dass der Sohn eines Grünen-Bundespräsidenten seine ethischen Überzeugungen nicht im stillen Kämmerlein lebt, sondern sie an die Öffentlichkeit trägt, also auch Politik macht.

Im Gemeinderat

Seit 2014 sitzt Nicolai van der Bellen für die Freien Wähler im Eigeltinger Gemeinderat und kümmert sich um die kleinen und großen Nöte des ländlichen Raums. 2007 hat er sogar für das Amt des Bürgermeisters kandidiert – auf dem Ticket der CDU. Daneben engagiert sich das Paar für die regionale kleinbäuerliche Landwirtschaft und artgerechte Tierhaltung. Bisweilen lädt es die Dorfbewohner zu Erntedankfeiern, auch einen Verein für soziales und ökologisches Miteinander wurde gegründet. Insofern ist das anfängliche Bild des weltfernen Waldschrats ganz und gar falsch.

Winfried Kretschmann war übrigens auch schon hier. Der Grünen-Politiker hat sich auf dem Hof mit seinem Vater getroffen – und zwar lange, bevor er Ministerpräsident war und seinen Wiener Parteifreund dann im Präsidentschaftswahlkampf unterstützte. Die grünen Koordinaten sind Nicolai van der Bellen also vertraut. Ein Grüner ist er trotzdem nicht geworden. Das hat nichts mit seinem Vater zu tun: „Wir haben genug gestritten, so dass wir das nicht mehr müssen.“ Eher mit der „Regelgläubigkeit“ der Ökopartei, wie Van der Bellen es nennt: „Sie wissen Bescheid, und nur so kann es sein.“ Der Veggiday lässt grüßen. Moralinsauere Vorschriften sind dem Österreicher, der häufig und auch gern auf eigene Kosten lacht, ohnehin ein Gräuel. Er habe Angst vor Politikern ohne Selbstironie, sagt er. Denn je weiter Entscheidungsträger nach oben kämen, desto weniger müssten sie sich infrage stellen lassen.

So lebt der Sohn des österreichischen Bundespräsidenten also seine eigene grüne Politik – ohne Parteiprogramm, aber in der Praxis umso glaubwürdiger.