Auf Facebook gibt es zu einer Steuerentscheidung der Gemeinde Deißlingen viele Stimmen. Foto: Büttner

Verwaltung fordert von Verletztem Nachzahlungszinsen auf Steuer. Unternehmer kehrt Gemeinde Rücken.

Deißlingen - Ein schlimmer Verkehrsunfall mit einer schwerverletzten Person: Am 13. Mai 2017 war ein 41-Jähriger in der Niedereschacher Straße in Deißlingen beim Überqueren der Straße vom Wagen einer jungen Frau erfasst worden. Der Fall hat nicht nur verkehrsrechtlich ein größeres Nachspiel.

Dafür sorgt ein am 20. Juni in nichtöffentlicher Sitzung einstimmig getroffener Gemeinderatsentscheid, dem Antrag des wegen der Unfallfolgen beruflich für längere Zeit außer Gefecht gesetzten Unfallopfers auf Erlassung von Nachzahlungszinsen in Höhe von 549 Euro auf eine Gewerbesteuerschuld nicht stattzugeben. Der Unternehmer zeigte sich daraufhin bitter enttäuscht, zumal er darauf verweist, dass das Finanzamt einen Härteantrag positiv beschieden und ihm so 1749 Euro an Zinsen erlassen habe.

Als der Deißlinger diesen Sachverhalt jetzt im sozialen Netzwerk Facebook in ähnlicher Weise darstellt, sind die Postings riesengroß. Viele hunderte tun ihre Meinung kund. Viele davon zeigen Mitleid mit der Situation des Familienvaters, der vor allem an Beinen und Knie schwer verletzt wurde. Da wird dann auch schnell das Fazit gezogen, dass die Gemeinde angesichts eines solchen Schicksals doch auch über ihren Schatten springen und es dem Finanzamt nach tun könne. Bei anderen Gelegenheiten für soziale Wohltaten geize man mit ja auch nicht, wird – wohl auch getragen von viel Bauchgefühl – die Gemeinde an den Pranger gestellt.

Bürgermeister Ulbrich begründet Entscheidung der Gemeinde

Angesichts des Shitstorms klinkte sich auch Deißlingens Bürgermeister Ralf Ulbrich in den wilden Diskussionsreigen ein mit dem Ansinnen, "eine sachliche Erwiderung zu geben" und betont dazu: "Zunächst einmal beruhen Entscheidungen in Steuersachen auf allgemein gültigen Rechtsgrundlagen; in diesem Fall ist das die Abgabenordnung. In deren § 227 ist klar geregelt, in welchem Fall eine Steuerforderung erlassen werden kann. Und deren Ausnahmefall ist recht eng: aus persönlichen Gründen ist das nur möglich, wenn eine Erhebung der Forderung die wirtschaftliche Existenz des Antragsstellers gefährden würde. Bei einer Verzinsung (ebenfalls gesetzlich geregelt) von gut 500 Euro ist eine Gewerbesteuer im fünftstelligen Bereich vorausgegangen, und das wieder bedeutet einen Gewerbeertrag im sechsstelligen Bereich. Bei diesem Einkommensverhältnissen ist nicht davon auszugehen, dass 500 Euro die Existenz aufs Spiel setzen. Es hätte aber noch zwei andere Möglichkeiten gegeben: Im Fall einer wirklich existenzbedrohenden Lage haben wir unseren gemeindlichen Sozialfonds, der an keine gesetzliche Regelungen gebunden ist und unbürokratisch Hilfe leisten kann. Im anderen Fall wäre auch jederzeit eine Ratenzahlung (Fachbegriff Stundung) möglich gewesen, deren Voraussetzungen nicht so streng sind wie der Erlass. Ich bedauere sehr, dass ein tragischer Unfall Anlass für den Antrag war und hoffe wirklich auf baldige Genesung, bitte aber auch um Verständnis, dass weder Gemeinderat noch Verwaltung nach Gutdünken entscheiden dürfen. In fast allen Fällen der Vergangenheit haben wir immer Lösungen gefunden, um einzelne Härten abzumildern. Lieber hätte ich mich darüber persönlich unterhalten, als eine öffentliche Rechtfertigung einer Gemeinderatsentscheidung, die auch ich mitgetragen habe, hier zu posten."

Der Unternehmer indessen verweist auf gute und schlechte Jahre im Business und darauf, dass zum Zeitpunkt des Unfalls und der fast zeitgleich eintrudelnden Nachzahlungsforderung für einen Bewertungszeitraum von fünf Jahren seine finanzielle Situation sich schwierig darstellte. Und der enttäuschte 41-Jährige lässt die Deißlinger Kommunalpolitik auch wissen: "Ich sage Adieu zu Euch als Gemeinde. Goodbye zu einer geplanten Lagerhalle in Deißlingen – wir gehen nach Aldingen".