Vor dem Deißlinger Rathaus steht das Elektro-Auto vom Modellprojekt "Spurwechsel", das vor allem für den Fahrdienst von älteren Bürgern im Einsatz ist. Foto: Archiv Foto: Schwarzwälder-Bote

Kommunales: Nach Gerichtsurteil gegen Bad Liebenzell herrscht Verwunderung und Unverständnis

"Spurwechsel" ist ein Projekt, bei dem die Gemeinden Deißlingen, Niedereschach und Dauchingen zusammenarbeiten. Insbesondere ältere Menschen nutzen das Mobilitäts-Angebot. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe wirft nun Fragen auf.

Deißlingen. "Mich wundert’s", zeigt sich der Deißlinger Bürgermeister Ralf Ulbrich am Freitagvormittag überrascht über das Urteil, das das Verwaltungsgericht Karlsruhe gegenüber der Stadt Bad Liebenzell ausgesprochen hat. Demnach könne der Kläger, ein privater Taxiunternehmer, Unterlassung verlangen, wenn die Fahrten des dort installierten Bürger-Rufautos über die sogenannte kommunale Daseinsvorsorge, also die lokalen Zubringer- und Abholdienste, hinausgingen.

Auswirkungen des Urteils nicht absehbar

"Für mich ist das nicht ganz nachvollziehbar", äußert sich Ulbrich im Telefongespräch mit unserer Zeitung. Inwiefern und ob das Urteil auch Auswirkungen auf Modelle wie "Spurwechsel" hat, bleibt abzuwarten. Das teilt der stellvertretende Pressesprecher des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Jürgen Wippel, auf Nachfrage mit. Denn man wisse nicht, ob die Verhältnisse mit denen in Bad Liebenzell vergleichbar seien.

Doch was war Anlass für dieses Gerichtsurteil? In der Bäder- und Kurstadt Bad Liebenzell im Landkreis Calw klagte ein Taxiunternehmer gegen das Bürger-Rufauto. Dieses wurde von der Stadt mit ehrenamtlicher Unterstützung eingerichtet, um das öffentliche Verkehrsangebot um lokale Zubringer- und Abholdienste sowie Fahrten in die Nachbargemeinden zu erweitern, heißt es auf dem Informations-Flyer. Der Verein "Freunde des Bürger-Rufautos Bad Liebenzell" betreibt das Bürger-Rufauto im Auftrag der Stadt, beispielsweise für Arztbesuche oder für Dienstleistungen, die in Bad Liebenzell nicht erledigt werden können. Anmeldungen müssen spätestens einen Tag vor der Fahrt erfolgen, Fahrtwünsche werden auch abgelehnt, wenn zeitnah eine zumutbare Bus- oder Bahn-Verbindung besteht.

Laut Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 30. Oktober seien die Zubringer- und Abholdienste zum beziehungsweise vom öffentlichen Linienverkehr als Bestandteil der kommunalen Daseinsvorsorge anzusehen. Sobald der Betrieb des Bürger-Rufautos aber über diese Dienste hinausgehe, also direkte Start-Ziel-Fahrten beinhalte, könne der Kläger Unterlassung verlangen, da diese Fahrten ins klassische Geschäftsfeld privatwirtschaftlicher Taxiunternehmen fielen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, die Beteiligten können binnen eines Monats in Berufung gehen.

Fahrten werden für Arztbesuche genutzt

Ralf Ulbrich hofft, dass die Stadt Bad Liebenzell Berufung gegen das Urteil einlegt. Er befürchtet, dass es weitreichende negative Konsequenzen mit sich bringen würde, sollten Fahrdienstmodelle, wie auch "Spurwechsel", verboten werden. Sollte dieser Fall eintreten, wolle er die Abgeordneten des Kreises konsultieren und auf die Unterstützung der Landespolitik pochen. Diese müsse eine gesetzliche Grundlage für solche Angebote schaffen.

Bereits seit drei Jahren läuft das Projekt in Deißlingen. Der Fahrdienst von "Spurwechsel" werde sehr gut angenommen. So gut sogar, dass die Kapazitätsgrenze erreicht sei. "In der Regel sind alle Termine belegt", so Ulbrich. Etwa zehn ehrenamtliche Fahrer seien für die Gemeinde Deißlingen im Einsatz. Montags sowie mittwochvormittags seien diese unterwegs, an den anderen Wochentagen die Fahrer der Gemeinden Niedereschach und Dauchingen, erläutert Claudia Prim von der Stadtverwaltung. Die Fahrten fänden auf Spendenbasis statt, "jeder gibt, was er kann", erklärt sie. Das Angebot werde für Fahrten zum Arzt oder zum Einkaufen genutzt.

"Spurwechsel" keine Konkurrenz zum Taxi

Eine Konkurrenz zu Taxiunternehmen bestünde nicht, denn der Fahrdienst von "Spurwechsel" sei längst nicht so flexibel, betont Sonja Bayer, Ansprechpartnerin für das Projekt und Seniorenbeauftragte. Claudia Prim weist darauf hin, dass die Anmeldung zwei Tage vor der Fahrt eingehen müsse. "Spontane Fahrten gehen nicht. Das möchten wir aber auch nicht abdecken."

Für die Betroffenen, vorwiegend ältere, teils alleinstehende Menschen, wäre es schlecht, wenn "Spurwechsel" aufgegeben werden müsste, bestätigt Sonja Bayer, nachdem sie mit einigen der Senioren gesprochen hat. "Sie würden sehr darunter leiden", schildert sie und verweist auf jene Leute, die außerhalb wohnen. Eine ältere Dame, die anonym bleiben möchte, berichtete ihr, dass sie sich nicht trauen würde, mit dem Taxi zu fahren. Es sei Luxus für sie, nette Gespräche mit einem der ehrenamtlichen Fahrer zu führen und mal raus zu kommen. "Für ältere Menschen ist das ein geniales Projekt", weiß Bayer. Denn die Senioren seien oft einsam und freuten sich über Kontakt zu den Ehrenamtlichen, die sie bei Bedarf auch unterstützen.