Die besten Läufer von morgen? Yirefu Birhanu holt aus seiner Trainingsgruppe top Leistungen heraus. Foto: Lenk

Äthiopischer Nationaltrainer Yirefu Birhanu zu Gast. Handwerk bei Jörg Müller abgeschaut. Mit Video.

Knapp fünf Jahre ist es her, als ein gewisser Yirefu Birhanu aus Äthiopien, seines Zeichens Weltklasse-Marathonläufer, seinen Weg nach Dornstetten fand. Nun ist er wieder zu Besuch.

Anllass für Birhanus Besuch damals war eine schwere Knieverletzung, die er in Deutschland behandeln lassen wollte. Die Kniebeschwerden hatte seit 2008. Yirefu Birhanu hatte sich damals als einer von drei äthiopischen Läufern für die Olympischen Spiele in Peking 2008 qualifiziert, doch die Knieschmerzen zwangen ihn, seinen Olympiastart abzusagen. Trotz Pause wurden die Beschwerden aber nicht besser, und in Äthiopien schien auch kein Arzt in der Lage zu sein, dem Weltklassemann zu helfen.

Über Facebook hatte Birhanu während dieser Zeit bereits Kontakt zum Dornstetter Läufer Christian Lenk, der ebenfalls an Knieproblemen litt. Anfang 2011 wurde Lenk dann in der Freiburger Uniklinik vom Kniespezialisten Peter Ogon operiert und konnte bereits nach einer Woche wieder laufen und nach vier Wochen voll ins Wettkampfgeschehen einsteigen.

Eben diese gelungene Operation ließ den Äthiopier hellhörig werden, und so schmiedete er zusammen mit Lenk an der Idee, sich ebenfalls in Deutschland operieren zu lassen. Im Juli 2011 war es dann soweit und Yirefu Birhanu machte sich auf nach Deutschland. Doch auch Ogon konnte dem hageren Äthiopier damals nicht mehr helfen, der diagnostizierte Knorpelschaden höchsten Grades war gleichzusetzen mit dem Karriereende.

Anweisungen von Jörg Müller intensiv studiert

Die nachfolgende zweimonatige Rehazeit in Dornstetten unter der sorgfältigen Physiobetreuung von Physiotherapeutin Manuela Mäder nutzte Birhanu in eine andere Richtung. Jeden Abend begleitete er seinen Freund Lenk ins Lauftraining und studierte intensiv die Anweisungen von Meistertrainer Jörg Müller. Jedes noch so kleine Detail notierte er, von den Koordinations- und Kraftübungen machte er Fotos und kurze Filme, die Zeitvorgaben der schnellen Tempoläufe und die Pausen zwischen den Läufen, alles notierte Birhanu haargenau.

Im Oktober 2011 musste er dann aufgrund des auslaufenden Visums zurück nach Äthiopien, doch um die Nachversorgung seines Knies abzuschließen kam Birhanu im Februar 2012 noch einmal für drei Monate nach Dornstetten. Und wieder studierte er die Trainingsmethodik der Dornstetter Spitzenläufer um Trainer Jörg Müller bis ins kleinste Detail.

Zurück in Addis Abeba fing Birhanu dann langsam an, sich eine Trainingsgruppe aufzubauen, zunächst kaum zehn Athleten stark, doch die Erfolge ließen in seinem Heimatland nicht lange auf sich warten. Und so gesellten sich im Laufe der Zeit immer mehr Athleten zur Birhanu-Gruppe.

Im Januar 2013 gelang dann auch der internationale Durchbruch. In Dubai veranstalten die sportbegeisterten Schaichs jedes Jahr den bestdotierten Marathon weltweit mit rund 500 000 Euro Preisgeld für den Sieger. Auch Birhanu hatte einige seiner Athleten im Elitefeld untergebracht und hoffte, dass zumindest einer davon unter die Top 20 kommen würde. Doch seine Athleten liefen an diesem Tag wie entfesselt. Am Ende lief mit Berhanu Shiferaw sogar der jüngste Starter aus der Gruppe um Yirefu Birhanu eine 2:04.48 h und kam auf dem sensationellen zweiten Platz ins Ziel. In der Endabrechnung waren sogar alle sechs Birhanu-Athleten unter den Top 20.

Damit hatte niemand gerechnet und plötzlich richteten sich alle Augen im Land der Wunderläufer Äthiopien auf den neuen Spitzentrainer Yirefu Birhanu. "Wie hatte er das gemacht, dass seine Gruppe sich derart stark präsentierte?" Die gesamten Trainer in Äthiopien wollten hinter das Rätsel kommen, doch Birhanu behielt sein Trainingsgeheimnis für sich.

Lenk und Birhanu standen nach wie vor in engem Kontakt. Bereits noch am Abend nach dem Marathon berichtete er Lenk von seinem Durchbruch und den tollen Ergebnissen seiner Läufer, und dass Lenk bitte auch "Coach Müller vielen Dank sagen soll". Denn Birhanus Geheimnis des erfolgreichen Trainings war schlicht die Tatsache, dass er exakt die Dornstetter Trainingspläne auch auf seine Athleten ummünzte, etwas die Kilometer-Umfänge pro Woche erhöhte, aber auch die schnellen intensiven Trainingseinheiten sowie regelmäßig die Koordinations- und Krafteinheiten des Müllerschen Trainings in seine Trainingspläne einfließen ließ.

2015 gewinnt Birhanus Team erste Medaillen

Und das Dornstetter Training schlug sich nicht nur in absoluten Weltklassezeiten nieder, sondern auch in Edelmetall. Bereits 2015 hatte die Gruppe um Birhanu ihre erste Medaille von einer Weltmeisterschaft. Yemane Tsegay erlief sich bei der Leichtathletik-WM in Peking die Silbermedaille im Marathon und sorgte damit für den vorerst größten Erfolg der Gruppe, die nach Dornstetter Plänen trainiert.

Doch damit nicht genug. Diesen Sommer standen die Olympischen Spiele in Rio an. Mittlerweile zählt die Gruppe um Birhanu weit über 60 Athleten und nicht wenige hatten sich bereits mit ihren Frühjahrsergebnissen für eine Nominierung zu den Spielen am Zuckerhut empfohlen. Letztendlich nominierte der Äthiopische Verband aber nur einen Läufer aus der Birhanu-Gruppe für den Marathon, Feyisa Lilesa.

Aber Lilesa sollte dennoch nicht allein nach Rio fahren, denn der Äthiopische Verband berief seinen Trainer Yirefu Birhanu zum Nationaltrainer des Marathon-Teams. Diese Nominierung war für Birhanu der Ritterschlag als Trainier. Zudem schloss sich für ihn der Kreis, denn die Verletzung 2008 hatte ihn die Olympiateilnahme gekostet, und jetzt, acht Jahre später kam er dennoch zu seinen Olympischen Spielen, die sein Athlet Feyisa Lilesa dann auch noch mit dem Gewinn der Silbermedaille im olympischen Marathon von Rio krönte.

Die Bilder des Silbermedaillengewinners gingen vergangenen August um die Welt, denn Lilesa überkreuzte sowohl beim Zieleinlauf als auch bei der Siegerehrung seine Fäuste über seinem Kopf als Zeichen des Protests gegen den Völkermord an seiner Volksgruppe, den Oromo in seinem Land. Seither ist Lilesa auf der Flucht vor der Äthiopischen Regierung und hält sich in Flagstaff in den USA auf.

Doch für Yirefu Birhanu schließt sich nun ein weiterer Kreis. Seit Dienstag weilt Birhanu nun nach vier Jahren für eine Woche wieder in Dornstetten, um seine Dornstetter Lauffreunde von damals zu besuchen. Dabei steht für Birhanus jetzigen Dornstetten-Aufenthalt schon fest, wer ganz oben auf der Besuchsliste steht – Coach Müller, ohne den sein kometenhafter Aufstieg in den Olymp der weltbesten Lauftrainer wohl nie gelungen wäre.