Jan Casier (Woyzeck) und Stuttgarts einstiger Publikumsliebling Katja Wünsche (Marie) in Christian Spucks „Woyzeck“. Foto: Judith Schlosser/Ballett Zürich

Aufregende Zeiten für Christian Spuck, den einstigen Haus-Choreografen des Stuttgarter Balletts. Als Direktor ist er mit dem Ballett Zürich in die schwierige zweite Spielzeit gestartet, und auch sonst steht einiges an. Zwei Besuche in der alten Heimat zum Beispiel.

Aufregende Zeiten für Christian Spuck, den einstigen Haus-Choreografen des Stuttgarter Balletts. Als Direktor ist er mit dem Ballett Zürich in die schwierige zweite Spielzeit gestartet, und auch sonst steht einiges an. Zwei Besuche in der alten Heimat zum Beispiel.
Herr Spuck, wie geht es Ihnen?
Etwas müde, aber sonst ganz gut.
Zu viel Arbeit – oder zu viel Party?
Party wäre toll. Nein, ich bin gerade in Berlin, um an der Deutschen Oper die Premiere von „Damnation de Faust“ vorzubereiten, die am 23. Februar sein wird. Die Proben mit den Sängern beginnen zwar erst im Januar, aber ich arbeite bereits mit den Tänzern.
In Zürich haben Sie Ihre zweite Spielzeit als Ballettdirektor mit der Übernahme von „Woyzeck“ begonnen. Wie lief der Start?
Der war aufregend. Ich war ein bisschen nervös, ob „Woyzeck“, den ich 2011 in Oslo choreografiert hatte, gut ankommt, weil es doch ein sehr düsteres Stück ist. Aber unsere Arbeit hat sehr großen Anklang gefunden, und die Vorstellungen sind immer voll.
Christian Spuck. Foto: dpa
Was wird die Spielzeit noch bringen?
Wir stellen gerade die Silvestergala auf die Beine. Außerdem soll Anfang Dezember das Junior-Ballett auf die große Bühne kommen. Außer „Woyzeck“ ist mit „Leonce und Lena“ ein zweites Büchner-Stück zu sehen, parallel laufen bereits die Proben für die Wiederaufnahme von „Romeo und Julia“. Jirí Kylián war bereits da, um „Wings of Wax“ einzustudieren, Douglas Lee ist noch da und choreografiert. Marco Goecke und Wayne McGregor haben vorbeigeschaut, um die Besetzungen für ihre Ballette festzulegen. Es ist also auch für die Tänzer turbulent und aufregend – aber im positiven Sinne.
Nach Ihrem erfolgreichen Antritt hatten Sie Sorge, dass die Zuschauer in der zweiten Saison schwerer zu gewinnen sein würden. Dem ist aber nicht so?
Es fällt mir auf, dass sehr viel junges Publikum dazugekommen ist und dass sehr viele Menschen sich ein Ballett mehrfach anschauen, um die verschiedenen Besetzungen mitzuerleben. Das sind – toi, toi, toi – tolle Voraussetzungen für den Rest der Spielzeit.
 
Mit „Woyzeck“ gastieren Sie an zwei Abenden in Ludwigsburg. Wie fühlt sich das an: mit der eigenen Kompanie zu Gast in der alten Heimat?
Ich freue mich sehr, in meine künstlerische Heimat zurückzukehren. Es würde mich sehr berühren, wenn dem Publikum dort die Arbeit gefällt, die wir seit knapp zwei Jahren in Zürich leisten. Zugegeben: Etwas nervös bin ich schon, aber die Vorfreude überwiegt.
Ihr „Woyzeck“ kam in Zürich pünktlich zum 200. Geburtstag des Autors Georg Büchner, der zudem in Zürich begraben liegt. Sichert das Ihrem Ballett besondere Aufmerksamkeit?
Das ist schwer einzuschätzen. Die Stadt Zürich hat zu Büchners Geburtstag zwar eine neue Linde auf seinem Grab gepflanzt, aber sonst nichts getan. Es gibt jedoch Lesungen, Vorträge, Ausstellungen und Inszenierungen – einen „Woyzeck“ am Schauspielhaus Zürich etwa –, und alle haben auf ihren Internetseiten die ganzen Veranstaltungen zum Büchner-Jubiläum gegenseitig verlinkt. Auf diese Weise ist immerhin das Bewusstsein entstanden, dass dieser Geburtstag gerade gefeiert wird.
Was hatte Sie an „Woyzeck“ interessiert?
Mich hat der „Woyzeck“ schon viel früher interessiert als „Leonce und Lena“. Aber als ich das Thema einer Kompanie vorschlug, die eine Produktion von mir haben wollte, wurde „Woyzeck“ abgelehnt, weil er zu düster sei. Was mich an Büchners Drama fasziniert, ist das Fragmentarische. Sein Theaterstück blieb unvollendet, skizzenhaft; und doch gelingt es ihm, Figuren gestochen scharf zu charakterisieren. Außerdem hat Büchner den ersten Antihelden geschaffen. Als sehr junger Schriftsteller hat er nachgefragt, welche Verantwortung die Gesellschaft hat, wenn jemand zum Mörder wird. Er fragt, ob ein Täter nur Täter ist oder ob er auch Opfer sein kann. Das ist sehr fortschrittlich für die damalige Zeit.
Was macht Büchners dunkles Drama zugänglich für den Tanz?
Gerade das Fragmentarische, weil es Assoziationsräume aufmacht.
Muss man raten, wer in Ludwigsburg die Hauptrollen tanzt?
Selbstverständlich sind Katja Wünsche als Marie und William Moore als Tambourmajor dabei. Den Woyzeck tanzt ein ganz junger Gruppentänzer: Jan Casier. Es war eine große Herausforderung für ihn, diese Figur auszuformulieren. Es ist eine anspruchsvolle Rolle, Woyzeck wird 90 Minuten lang auf der Bühne getreten, geprügelt und erniedrigt. Dass dieses Stück in Zürich so gut ankommt, ist bestimmt auch Jan Casiers großartiger Interpretation zu verdanken, die einen genau spüren lässt, wie die Figur des Woyzeck sein soll.
Am 7. Dezember sind Sie in Stuttgart für eine besondere Premiere: Dann ist bei der Filmschau Baden-Württemberg die Verfilmung Ihres für Gauthier Dance entstandenen Tanzstücks „Poppea//Poppea“ zu sehen – in 3-D. Freut Sie es, dass Ihr Stück auf diese Art bewahrt wird?
Ich verstehe den Film nicht als Konservierung meines Stückes, sondern als ein eigenes Kunstwerk von Nikolai Vialkowitsch, der aus seinem Blick auf meine Arbeit etwas Eigenständiges gemacht hat. Ich war öfters zu Schnitt und Farbkorrekturen eingeladen. Dabei konnte ich sehen, wie gewissenhaft und fein das Filmteam arbeitet. Ich kenne den Film noch nicht in Gänze und kann mir kein Urteil leisten, aber was ich gesehen habe, war sehr schön und macht mich neugierig auf den Rest.
Kann ein Kinobesuch denn das Live-Theatererlebnis ersetzen?
Kino wird Theater nie ersetzen können. Im Theater, im Ballett, in der Oper oder im Konzert wird live vor den Augen der Zuschauer etwas geschaffen, und jede Vorstellung ist einzigartig.
Also keine Konkurrenz durch die Leinwand?
Nein, ich empfinde das als schöne Ergänzung. Und ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass ein Filmteam so viel Zeit und Geld investierte, um gerade dieses Stück mit Gauthier Dance zu filmen. „Poppea//Poppea“ ist immerhin das erste abendfüllende Tanzstück, das in kompletter Länge in 3-D aufgezeichnet wurde. Das freut mich natürlich – auch für „Poppea//Poppea“ und Gauthier Dance, die so noch einmal viel Aufmerksamkeit bekommen. Und ich wünsche mir, dass der Film nach der Ausstrahlung im Fernsehen nicht in der Versenkung verschwindet, sondern dass man ihn auf DVD erwerben kann.
Gauthier Dance wird Ihren Blick auf die letzte Oper Monteverdis nicht mehr tanzen, die Produktion ist zu arbeitsintensiv für eine kleine Kompanie. Gibt es andere Kompanien, die sich für „Poppea//Poppea“ interessieren?
Ja, aber dieses Stück gehört Eric Gauthier und seiner großartigen Mannschaft. Ich will es nicht weitergeben. Es ist für Gauthier Dance entstanden, und da soll es auch bleiben. Jedes Ding hat seine Zeit; und wenn ein Stück stirbt, dann ist das in Ordnung. Wenn ein Choreograf noch lebt, ist es doch viel aufregender, wenn er Neues schafft.

Poppea//Poppea“ wird zur Eröffnung der Filmschau Baden-Württemberg präsentiert – am 7. 12. um 20 Uhr im Innenstadt-Kino Metropol. Karten: 07 11 / 22 10 67.

Am kommenden Mittwoch und Donnerstag (27. und 28. 11.) gastieren Christian Spuck und seine Kompanie um 20 Uhr mit „Woyzeck“ im Ludwigsburger Forum am Schlosspark. Karten: 0 71 41 / 9 10 39 00.