Die in Calw gemessenen Schadstoffwerte sind laut der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg nicht besonders präzise. Bekommt die Hesse-Stadt deshalb auch bald eine Feinstaubmessstation wie jene "Am Neckartor" in Stuttgart(Bild)? Foto: Mirgeler

Messungen fördern erneut Grenzwert-Überschreitungen zutage. Daten jedoch unpräzise. Mit Kommentar

Calw - Die Schadstoffbelastung in der Calwer Luft bleibt ein Thema: Messwerte legen nahe, dass der gesundheitsgefährdende Grenzwert überschritten wird. Wird die Stadt jetzt zur Umweltzone? Das ist noch völlig unklar. Zuvor wären weitere Messungen nötig.

Zwei Messreihen gab es im vergangenen Jahr. Mit zwei Ergebnissen. Und beide deuten auf ein Problem hin: Die Luft in der Hesse-Stadt enthält zu viel Stickstoffoxid. Dabei handelt es sich um chemische Verbindungen, die unter anderem die Schleimhäute der Augen und Atmungsorgane reizen können.

Bereits Anfang vergangenen Jahres hatte die Stadtverwaltung Messungen in Auftrage gegeben, die an der Stuttgarter Straße eine Konzentration von 44 Mikrogramm Stickstoffoxide pro Kubikmeter Luft zutage gefördert hatten. Der Grenzwert, der nach Angaben des Umweltbundesamtes nicht überschritten werden sollte, um die Gesundheit nicht zu gefährden, liegt bei 40 Mikrogramm (wir berichteten).

Jahresmittel von 53 Mikrogramm erfasst

Dass eine zeitgleiche Messung in der Bahnhofstraße einen geringeren Wert – 38 Mikrogramm – ergab, sorgte jedoch für Verwunderung. Wie könnte die Luftverschmutzung im Calwer Tal schließlich geringer sein als entlang der Stuttgarter Straße, einem Ort mit Hanglage, an dem Abgase doch besser abziehen sollten?

Die Stadt gab daher in der zweiten Jahreshälfte 2016 nochmals eine Messreihe in Auftrag. Unlängst trafen nun die Ergebnisse im Calwer Rathaus ein. Die Werte lagen dabei sogar noch höher: bei einem möglichen Jahresmittelwert von 53 Mikrogramm in der Stuttgarter Straße auf einer Höhe von zwei Metern.

Bedeutet dies nun, dass in Calw tief greifende Luftreinhaltungsmaßnahmen anstehen werden? Vielleicht. Zuerst müsste jedoch nochmals – und vor allem präziser – gemessen werden, erklärt eine Sprecherin der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW).

Denn: Die bislang vorgenommenen Messungen würden "nicht den Vorgaben der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung" entsprechen. "Damit geben die Messungen lediglich einen orientierenden Hinweis auf die Stickstoffoxid-Situation und mögliche Grenzwertüberschreitungen", führt die Sprecherin aus.

Mit anderen Worten: Die in Calw verwendete Methode, bei der mit so genannten Passivsammlern ein Jahresmittelwert erfasst wurde, liefert keine wissenschaftlich exakten Daten, sondern Anhaltspunkte.

Tatsächlich weise die Methode "eine erweiterte Messunsicherheit von plus/minus 20 Prozent auf", so die LUBW. Statt bei 53 Mikrogramm könnte die Konzentration in der Stuttgarter Straße demnach auch bei 42,4 oder 63,6 Mikrogramm liegen. Zumindest theoretisch.

In Wirklichkeit dürften die Werte sogar noch weniger präzise sein. Denn die plus/minus 20 Prozent gelten laut Angaben der Sprecherin nur dann, "wenn das gesamte Messjahr lückenlos erfasst wird. Bei Stichprobenmessungen oder verkürzten Messzeiträumen kommt noch die Unsicherheit der Stichprobe hinzu." Der in Calw ermittelte Wert sei somit vermutlich sogar noch "ungenauer".

Eggert: Überprüfung hat sich gelohnt

Diese Schwächen der verwendeten Methode könnten somit auch die Schwankungen (von 44 auf 53 Mikrogramm) zwischen den beiden Messreihen erklären. Eine weitere Möglichkeit, so die LUBW, seien witterungsbedingte, jahreszeitliche Schwankungen – bei Stickstoffdioxid-Konzentrationen nicht unüblich. Ebenfalls denkbar sei "eine veränderte Emissionssituation im Umfeld der Messstelle" – also beispielsweise ein verändertes Verkehrsaufkommen.

Und doch – trotz aller Unsicherheiten der Methode (die übrigens auch von der LUBW bei der Indiziensuche verwendet wird) – geben die Ergebnisse nun zumindest einen Hinweis darauf, dass sich die Werte in der Stuttgarter Straße um den Grenzwert herum bewegen und diesen wohl überschreiten. "Die zweite Messreihe hat sich gelohnt", sagt deshalb Calws Oberbürgermeister Ralf Eggert. "Gerade auch, wenn das Ergebnis schlechter ist. Denn das Ziel war, die Plausibilität der ersten Reihe zu prüfen." Dies scheint nun erwiesen zu sein.

Maßnahmen werden die Messungen aber dennoch vorerst keine nach sich ziehen – eben weil die Methode zu unpräzise ist. Als nächstes müssen die Überschreitungen deshalb dem Land Baden-Württemberg gemeldet werden. Dieses entscheidet dann, ob eine weitere, genauere Untersuchung auf Kosten des Landes vorgenommen wird. Erst dann – wenn die Werte den Grenzwert erneut überschreiten – könnte etwas unternommen werden.

Zuständig wäre dann, da es sich bei der Stuttgarter Straße um eine Bundesstraße handelt, nicht die Stadt Calw, sondern das Regierungspräsidium Karlsruhe. Dieses müsste dann einen Luftreinhalteplan erstellen und einleiten. Solche Pläne können in Einzelfällen Maßnahmen enthalten, die den Verkehr, den Betrieb von Industrieanlagen oder den Bereich Haushaltsheizungen einschränken. Ein Beispiel: Umweltzonen.

Sollte Calw als solche ausgewiesen werden, wäre für die Fahrt in die Stadt dann künftig ein grüner Aufkleber am Auto notwendig. Ob es aber wirklich so weit kommt, steht momentan noch völlig in den Sternen.

Kommentar: Keine Panik

Von Ralf Klormann

Nun ist es amtlich: Auch die zweite Messreihe, mit der die Schadstoffbelastung in Calw erfasst wurde, förderte eine Überschreitung des Grenzwertes zutage. Ist es also an der Zeit, Todesangst zu haben? Von blindem Aktionismus getrieben Maßnahmen zu fordern? Den gesamten Verkehr durch die Stadt lahmzulegen? Nein, natürlich nicht. Wichtiger ist, sich klar zu machen, dass die Werte nicht so aussagekräftig sind, wie sie aussehen – was die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg klar bestätigt. Deshalb gilt es abzuwarten, wie das Land entscheidet – und ob weitere Messungen oder Maßnahmen nötig sind. Bürger, Verwaltung und Gemeinderat sollten solange sachlich und nicht panisch mit dem Thema umgehen. Auch, weil man trotz Überschreitung noch immer weit von Stuttgarter Luftverhältnissen entfernt ist.