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Organisationen müssen vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Nicht immer glücklich damit. Mit Kommentar

Calw - Was verbindet Tierschützer, Kirchen, Parteien und die religiöse Bewegung Scientology? Sie alle sind immer wieder mit Ständen vor dem Kaufland in Calw anzutreffen. Und alle haben das Recht dazu – obwohl einige der Organisationen umstritten sind.

"Sind Sie Tierfreund?" oder "Möchten Sie mit uns über Gott sprechen?" – Fragen dieser Art dürfte beinahe jeder schon gehört haben, der sich regelmäßig in Calw aufhält. Insbesondere vor dem Kaufland tummeln sich regelmäßig alle möglichen Organisationen. Die Palette reicht von Vertretern der christlichen Kirchen über muslimische Vereine, soziale und gemeinnützige Organisationen, Tier- und Umweltschützer bis hin zu den Zeugen Jehovas und der äußerst umstrittenen "Scientology-Kirche".

Und während vielen Menschen einleuchtet, warum die meisten dieser Organisationen in Calw um Spenden und Mitglieder werben dürfen, ist das bei einigen dieser Gruppen sicher nicht der Fall – beispielsweise, wenn es um die religiöse Bewegung Scientology geht, die laut einem Bericht der "Welt" aus dem Jahr 2012 seit Jahren unter staatlicher Beobachtung steht. Das Bundesamtes für Verfassungsschutz habe gar "Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen" in Scientology-Texten erkannt.

Sympathie spielt bei Genehmigung keine Rolle

Doch warum dürfen sich solche Organisationen überhaupt auf den Straßen der Stadt präsentieren?

Die Antwort: Auch hierbei gilt der Grundsatz "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich", der in Artikel drei des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben steht. Dies erstreckt sich auch auf die Erlaubnis, sich auf den Straßen einer Stadt präsentieren zu dürfen.

"Grundsätzlich stellen ein Infostand, das Werben um Mitglieder oder Spendensammeln eine Sondernutzung dar, welche genehmigungspflichtig ist", erklärt Matthias Rehfuß, Leiter der Abteilung Öffentliche Ordnung in Calw.

Dabei habe zwar niemand einen Anspruch darauf, eine solche Genehmigung auch zu erhalten. Aber es gelte das Recht "auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde". Mit anderen Worten: Ob eine Organisation eine Genehmigung erhält, darf nicht davon abhängen, ob jene Organisation dem zuständigen Sachbearbeiter sympathisch ist – sondern lediglich davon, ob die Antragsvoraussetzungen dieselben sind. Dies wiederum, so Rehfuß, sei in der Regel der Fall.

Die Ablehnung eines Antrages komme nur dann in Frage, wenn beispielsweise verbotene Gruppierungen auftreten wollen, wenn es konkrete und nachvollziehbare Beschwerden gebe, wenn die Fläche für eine Veranstaltung benötigt werde, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gestört wäre oder wenn ein Infostand Wege für Rettungskräfte blockiere.

Aggressives Auftreten wird niemals toleriert

"Würde beispielsweise die NPD im kommenden Jahr tatsächlich verboten, wäre eine Genehmigung eines Antrages der NPD nicht möglich. Dasselbe gilt natürlich, sofern Scientology verboten würde", führt der Leiter der Abteilung Öffentliche Ordnung in Calw aus.

Wichtig sei dabei aber auch, "dass ein aggressives Auftreten niemals toleriert wird und zu einem sofortigen Platzverweis führt. Künftige Anträge auf Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis in Calw würden in einem solchen Fall (zumindest vorerst) abgelehnt", betont Rehfuß.

Ein Beispiel dafür sei gerade die Organisation Scientology, die "tatsächlich vor einigen Jahren durch eine etwas aggressivere Mitglieder-Werbeaktion aufgefallen ist. In dem konkreten Fall wurde die Genehmigung kurzfristig widerrufen, die Werbenden des Platzes verwiesen. In den darauffolgenden zwei Jahren wurde keine Genehmigung mehr erteilt. Seither erhalten die Scientologen wieder Genehmigungen – Beschwerden haben wir nicht mehr erhalten."

Übrigens: Obwohl die rechtliche Situation eindeutig ist, sind die Verantwortlichen in Calw keineswegs immer glücklich damit. So betont Oberbürgermeister Ralf Eggert, "dass wir persönlich nicht zufrieden sind, dass Scientology bei uns auf öffentlichen Plätzen wirbt". Und fügt hinzu: "Inwieweit die Organisation die freiheitlich demokratische Grundordnung achtet, wird häufig bezweifelt. In manchen Bundesländern wie Hamburg hat das sogar zur Einrichtung spezieller Sektenbeauftragter geführt."

Kommentar: Weitergehen

Von Ralf Klormann

Gruselige Geschichten kursieren über die religiöse Bewegung Scientology. Von psychischer und physischer Gewalt in den eigenen Reihen ist die Rede, Aussteiger würden drangsaliert. Da verwundert es kaum, dass viele Menschen in Calw nicht glücklich sind, wenn diese Organisation vor dem Kaufland offen für sich werben darf – und den Verantwortlichen die Hände gebunden sind, weil der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt. Ein Skandal? Nicht unbedingt.

Eine demokratische Gesellschaft, die freie Meinungsäußerung zu ihren Grundfesten zählt, muss es aushalten können, wenn umstrittene Gruppierungen ihre mehr oder weniger nachvollziehbaren Weltanschauungen präsentieren. Abgesehen davon: Niemand wird gezwungen, den Ausführungen solcher Organisationen Gehör zu schenken. Im Zweifelsfall hilft lächeln, ignorieren, weitergehen.