Mit berührenden szenischen Darstellungen brachten die Schauspieler Jens Peter und Heidrun Schweda lokale Ereignisse der Nazizeit in Erinnerung. Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder-Bote

Schauspieler stützen sich bei ihren Darstellungen auf historische Quellen / Kafka: Blick nach vorn richten

Von Bettina Bausch

Calw. Es war, als ob der Himmel weinen wollte über das, was sich vor mehr als 70 Jahren in der NS-Zeit in Calw zugetragen hat. In die drückende Hitze hinein ergossen sich immer wieder Regenschauer auf die gespannt lauschenden Zuhörer. Die Teilnehmer am Stadtrundgang mit dem Thema "Calw in der NS-Zeit" hörten und sahen bewegende Szenen, die ihnen sichtlich unter die Haut gingen.

"Die Juden müssen weg. Sie sind unser Untergang", hallt es plötzlich in aggressivem Ton über den Marktplatz. Verdutzt bleiben Passanten stehen und lauschten irritiert. Fenster der Häuser am Marktplatz öffnen sich und aufgeschreckte Bürger werden zu Zaungästen.

Zwei Jungen, Schüler der Badstraßenschule, meinen es handele sich um echte Streitigkeiten auf dem Marktplatz und eilen herbei. "Kann ich helfen, ich bin Streitschlichter in der Schule", ruft der zwölfjährige Junge aus dem Kosovo. Das ungeplante Zwischenspiel wird von den Umstehenden lobend wahrgenommen.

Zwölfjähriger ausdem Kosovo bietet sichals Schlichter an

Reinhard Kafka, der Leiter der Evangelischen Erwachsenenbildung nördlicher Schwarzwald, hatte sich mit den Schauspielern Heidrun Schweda und Jens Peter zusammengetan. Gemeinsam mit ihnen stellte er lebendige, authentische Szenen zusammen, die die bedrückende Nazizeit in Calw lebendig werden ließen. Dabei stützten sich Darsteller und Veranstalter auf historische Quellen wie die Erinnerungen des Zeitzeugen Theo Schnürle sowie Veröffentlichungen der Autoren Uli Rothfuss und Bertolt Brecht.

Hinter den gelesenen Texten und kurzen Inszenierungen der Schauspieler stand die Absicht, unrühmliche und beklemmende Geschehnisse der Hitler-Zeit in Form von Calwer lokalen Ereignissen in Erinnerung zu rufen. Dies sollte nicht mit erhobenem, moralisierenden Zeigefinger geschehen, sondern mit Blick auf die kommende Zeit. "Nur wenn wir nach vorne schauen, sehen wir der Zukunft entgegen und ist Versöhnung und Frieden möglich", hob Initiator Kafka bei der Begrüßung in der Stadtkirche hervor.

Um tragische Schicksale von Juden ging es dann auch gleich bei der Station am Haus Biergasse 2. Hier hat das jüdische Ehepaar Setty und Otto Michelsen ein Kaufhaus betrieben und heftig unter der Naziherrschaft gelitten. Sie überlebten die Nazi-Diktatur nicht.

Aus dem Fenster des Hesse-Geburtshauses las dann Schauspieler Peter mit dem hesse-typischen Strohhut auf dem Kopf kritische Äußerungen zur NS-Zeit aus den politischen Schriften des Literaturnobelpreisträgers. "Holt die Hitler-Fahne herunter", rief schließlich Darstellerin Schweda im Matrosenanzug in der Rolle eines jungen Calwers. Und gleich wurde dieser von einem fanatischen Parteianhänger und Vertreter der Staatsgewalt vor dem Rathaus ordentlich verprügelt.

Weiter ging es zu den Figuren vor dem Gebäude der Sparkasse Pforzheim Calw, zur Hesse-Statue auf der Nikolausbrücke und zum Nagoldufer. Vor der alten Musikschule hörten die Besucher der Veranstaltung Teile aus dem Brecht-Text "Arbeitsbeschaffung". "Endlich wieder Arbeit. Aber die Fabrik ist ein Rüstungsbetrieb. Was tun?" So lautete die bange Frage, vor die sich so mancher Bürger in der NS-Zeit gestellt sah. Das faschistische Regime forderte jedoch bedingungslose Anpassung und Unterwerfung.

EindrucksvollerAbschluss in der Stadtkirche

Der szenische Rundgang endete mit der Darstellung einer zu Herzen gehenden Situation vor dem Dekanatsgebäude. Den Tatsachen entsprechend verabschiedete sich ein für kurze Zeit dort verborgenes jüdisches Ehepaar vom Dekan, um vielleicht an anderer Stelle Unterschlupf zu finden. Äußerst eindrucksvoll und symbolträchtig erlebten die Teilnehmer dann den Abschluss in der Stadtkirche. Dort wurden in einer kleinen Gedenkzeremonie Kerzen für Menschen aufgestellt, die in Verbindung mit den damaligen brutalen Ereignissen ihr Leben verloren.