Michael Rentschler (sitzend), Leiter der Integrierten Leitstelle Calw, und Sven Brodmann, Leiter der DRK-Rettungswache, müssen sich um viele Bagatellfälle kümmern. Foto: Kauffmann Foto: Schwarzwälder-Bote

Notruf: Die Nummer 112 ist für Notfälle gedacht, doch viele melden sich wegen Bagatellfällen – auch im Kreis Calw

Geht beim DRK in der Calwer Leitstelle ein Notruf ein, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich um einen Bagatellfall handelt: Nur ein Drittel aller rettungsdienstlichen Einsätze geht auf einen Notfall zurück. Für die übrigen wäre eigentlich der Hausarzt zuständig.

Kreis Calw. Die Stimme klingt aufgeregt: "Mein Freund ist betrunken, ihm ist schlecht, ich brauche ein Rettungswagen". Ob er auf Ansprache reagiere, möchte die Leitstelle wissen und erhält die verzweifelte Antwort: "Er schnauft so komisch, er röchelt so."

"Wir haben immer mehr Notrufe"

In Sekundenschnelle muss der Disponent an diesem frühen Wochenendmorgen am anderen Ende der Leitung nun entscheiden, was zu tun ist. Es könnte ein Notfall sein. Aus der Ferne lässt sich die Situation nur schwer bewerten. Mit viel Adrenalin im Blut, mit Blaulicht und Martinshorn erreichen die Sanitäter den Ort des Geschehens – und stellen fest: Nur jemand, der ein Bier über den Durst getrunken hat und jetzt die Folgen zu spüren bekommt.

"Das kommt fast jedes Wochenende vor", berichtet Michael Rentschler. Als Leiter der Integrierten Leitstelle Calw sitzt er regelmäßig an dem Telefon, das klingelt, wenn jemand im Landkreis den Notruf 112 wählt. "Wir haben immer mehr Notrufe", erzählt er und untermauert seine Feststellung mit Zahlen: Waren es 2014 noch 20 000 rettungsdienstliche Einsätze, hat Rentschler im letzten Jahr schon 26 500 gezählt. Aber: "Nur ein Drittel davon sind wirkliche Notfälle." Alles andere sind Bagatellfälle, die eigentlich der Hausarzt oder der kassenärztliche Bereitschaftsdienst übernehmen sollte.

Als Hauptgrund dafür nennt Rentschler "Hilflosigkeit". Damit meint er etwa Ältere, die sich auch bei Kleinigkeiten nicht mehr selbst helfen könnten und sonst niemand haben. Dazu kommen sozial schwache Familien, die sich kein eigenes Fahrzeug leisten könnten, psychisch kranke und einsame Menschen. In den letzten Jahren kommen immer häufiger vermeintliche Notrufe von Flüchtlingen, die das deutsche Gesundheitssystem nicht kennen und von vorne herein 112 wählen.

Was die Retter bei ihren Bagatelleinsätzen erleben, schmeichelt ihnen selten. Manche riefen den Notruf nämlich, um sich aus Bequemlichkeit ans Krankenhaus fahren zu lassen. Sven Brodmann Leiter der DRK-Rettungswache Calw, auch als Notfallsanitäter im Einsatz, kennt diese Situationen. "Warum fahren Sie nicht selbst", wollte er wissen – und erhielt zur Antwort: "Wenn Sie nicht fahren, zeig’ ich Sie an." Manche Menschen wollten ein "medizinisches Rundum-Sorglospaket", die Wartezeiten beim Arzt mit dem Notruf umgehen. Die Hemmschwelle sei in den letzten Jahren gesunken. In Calw sind schon Anrufe wegen Hexenschuss oder Schnupfen eingegangen, denen sicherheitshalber lieber nachgegangen wird.

Kosten trägt die Krankenversicherung

Doch es gibt keine Patentlösung, solche und ähnliche Situationen zu vermeiden. Zwei Drittel aller Fälle sind zwar Bagatellfälle, aber sicher ist sicher: Aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen, sind den Rettern vor Ort und in der Leitstelle oft die Hände gebunden. Vielleicht meldet der Anrufer ein ernstes Problem, das weder telefonisch, noch vor Ort auf den ersten Blick erkannt wird. Helfen die Retter nicht, könnte das unterlassene Hilfeleistung sein.

Dennoch: "Kein Anrufer hat eine Strafe zu befürchten und das wird auch nicht diskutiert", betont Rentschler. Abgewiesen werde niemand. Und das hat einen guten Grund: "Unsere Sorge ist, dass jemand, der wirklich Hilfe braucht, nicht den Notruf wählt." Auch eine Rechnung für Notfalleinsatz muss niemand befürchten: Die Kosten trägt die Krankenversicherung.

Im Normalfall rückt ein Rettungswagen nur bei schweren Atembeschwerden, Problemen mit Kreislauf und Bewegungsapparat aus. Ein Notarzt sollte nur kommen, wenn die Verletzungen lebensbedrohlich sind, etwa nach einem Herzinfarkt. Für leichte Fälle steht außerhalb der Öffnungszeiten des Hausarztes gibt es den Ärztlichen Bereitschaftsdienst, der unter 116117 erreichbar ist. Die Nummer ist kostenlos, bundesweit und ohne Vorwahl sowohl aus dem Fest-, als auch aus dem Mobilfunknetz gültig. Zudem bieten Notfallpraxen in Krankenhäusern eine Versorgung rund um die Uhr.