Hermann-Hesse-Stiftung gibt schon seit dem Jahr 1995 ganzer Schriftstellergeneration Raum und Zeit

Von Annette Selter-Gehring

Calw. Mit Thomas Böhme als 50. Stipendiaten der Calwer Hermann-Hesse-Stiftung, zog ein Schriftsteller in die Dichterklause in der Innenstadt, der in seinen Prosatexten und Gedichten Sprache geradezu sinnlich erlebbar macht. Einen Eindruck von seiner besondere Liebe zu "Alter Worte Welt", so der Untertitel seines jüngsten Werkes, bekamen Zuhörer bei einer Lesung im Saal des Hermann-Hesse-Museums.

In den ersten Septembertagen bezog Böhme bereits die Stipendiaten-Wohnung unter dem Dach von Hermann Hesses Geburtshaus, die neben einem festen Salär für drei Monate zum Umfang des Stipendiums gehört. Hesse-Kenner Herbert Schnierle-Lutz, der den Schriftsteller in einem Gespräch vorstellte, wollte wissen, wie Böhme diese ersten Wochen erlebt habe und was ihm besonders aufgefallen sei. "Ich habe das Gefühl, ein Stück Kindheit nachholen zu können", so Böhme, der erklärte, dass ihn seine Spaziergänge und Wanderungen rund um Calw und in der Region an Kindheitstage erinnerten, in denen er in Sachsen bei den Großeltern durch die Wälder streifte. Unterwegs sei er auf literarische Spuren von Hesse, Hölderlin und Uhland gestoßen. "Das in mich aufzusaugen, hat Spaß gemacht", so der 1955 in Leipzig Geborene.

Auf die Frage, ob er schon früh wie Hesse gewusst habe "ein Dichter will ich werden oder gar nichts", antwortete Böhme, dass er sich durchaus auch die Arbeit eines Leuchtturmwärters hätte vorstellen können. Nach einem Lehrerstudium, das er aus ideologischen Gründen nicht zu Ende führen durfte, und der Arbeit in einer Musikbibliothek, einem Verlag sowie einem Fernstudium veröffentlichte Böhme 1983 seinen ersten Gedichtband. Weitere Texte entstanden unter dem Eindruck der DDR-Zensur. Das geschriebene Wort habe in allen Diktaturen Gewicht und werde von den Machthabern argwöhnisch überwacht. Die Leser hingegen hätten ganz genau hingeschaut und zwischen den Zeilen nach versteckten, kritischen Inhalten gesucht, so Böhme.

In erster Linie hat sich Böhme als Lyriker einen Namen gemacht. Sein umfangreiches Werk umfasst aber auch Erzählungen, Kurzgeschichten, Romane und Essays. Einen Einblick in die Entstehung eines Textes gab Böhme den Zuhörern mit einem ersten Entwurf unter dem Arbeitstitel "Der Aufstieg", der in Calw im Rahmen seines Stipendiats bereits entstanden ist. Im Anschluss las er aus den Gedichtbänden "Nachklang des Feuers" und "Heikles Handwerk" sowie der Geschichtensammlung "101 Asservate – Alter Worte Welt", in der er fast vergessenen Worten wie "Angebinde", "Maulaffen", "Zipperlein", "Gassenhauer" oder "Obliegenheiten" neues Leben und hintersinnige Bedeutung einhauchte.

Einen kleinen Rückblick gab Herbert Schnierle-Lutz anlässlich des 50. Stipendiums, das von der Hesse-Stiftung seit 1995 an Autoren und Übersetzer verliehen wird. "Eine ganze Schriftstellergeneration", so Schnierle-Lutz, habe in den vergangen Jahren zur Belebung nicht nur des literarischen Stadtlebens beigetragen. Mit Namen wie Catalin Dorian Florescu, Uwe Kolbe, Bodo Hell und dem ersten Hesse-Stipendiaten Volker Braun ließ er die Namen nur einiger weniger Revue passieren, die Raum und Zeit, die das Stipendiat gewährt, fruchtbar für das eigene Schaffen nutzen konnten.