Lange wusste Saskia Esken nicht, ob sie wieder in den Bundestag einzieht. Foto: Verstl Foto: Schwarzwälder-Bote

Bundestagswahl: Sozialdemokratin schafft Einzug ins Parlament / Keine Konkurrenz zu Fuchtel und Theurer

Bis in die Nacht war es eine Zitterpartie für Saskia Esken. Doch jetzt steht fest: Die Sozialdemokratin wird auch dem neuen Bundestag angehören. Damit wird in Zukunft ein Trio aus Esken, Hans-Joachim Fuchtel und Michael Theurer aus Horb den Wahlkreis Calw/Freudenstadt im Parlament vertreten.

Nordschwarzwald. Nervosität und Unsicherheit, Freude und Erleichterung, Ärger und Entsetzen – viele Emotionen sind es, die da in Saskia Esken in den vergangenen Tagen und Stunden auftauchten. Was ihre eigene Person angeht, so standen die ersten Stunden nach Schließung der Wahllokale ganz klar im Zeichen der Unsicherheit. "Bis in die Nacht wusste ich nicht, was wird", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete. "Da war schon ein gewisser Bammel da", gibt sie im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten offen zu. Bammel – bis zu dem Zeitpunkt, an dem klar war, dass sie weitere Jahre als Abgeordnete arbeiten darf.

Esken: "Ich hatte keinen Plan B"

Ernsthafte Sorgen um sich oder ihre Zukunft hat sie sich offenbar nicht gemacht – trotz der realistischen Möglichkeit, nicht mehr ins Parlament einzuziehen. "Ich war zufrieden mit meinem Listenplatz und wollte die Sache einfach auf mich zukommen lassen", so Esken. Einen Plan B, was passiert, wenn sie es nicht schaffen sollte, habe sie nicht gehabt. "Es hätte mich nicht in eine Sinnkrise gestürzt, wenn ich den Einzug ins Parlament nicht geschafft hätte", betont sie. "Aber es wäre schon schade gewesen, denn ich habe das Gefühl, dass ich bei meiner Arbeit in Berlin noch mittendrin bin und noch nicht alles erledigt ist."

Wenig Grund zu Freude hat Esken beim Blick auf das Ergebnis ihrer Partei. "Da gibt es nichts zu feiern." Trotzdem sieht sie keinen Anlass zur Kritik am Wahlkampf der Sozialdemokraten. Die Themen, vor allem das der Gerechtigkeit, seien richtig gesetzt gewesen. Keine Kritik auch an der Linie der Parteiführung, jetzt in die Opposition gehen zu wollen. Dieser Entschluss sei "absehbar" und "folgerichtig", so die Sozialdemokratin.

Durch die Oppositionsrolle werde sich ihre Arbeit in Berlin natürlich ändern, aber in welcher Form, das könne man jetzt noch nicht sagen. Sicher sei aber, dass es mit dem CDU-Abgeordneten Hans-Joachim Fuchtel – mit dem sie über Jahre in der Großen Koalition zusammengearbeitet hat – weiter keine echte Konkurrenz geben werde. "Wir werden weiter professionell und anständig miteinander umgehen. Da wird es keinen Clinch geben", versichert Esken. Gleiches gelte natürlich auch für die Zusammenarbeit mit Michael Theurer von der FDP.

Ganz anders sieht es da bei Esken mit Blick auf die AfD aus. Deren Abschneiden habe sie "entsetzt". "Das wird gruslig, was uns da im Parlament erwartet." Bei vielen Wählern der AfD herrsche offensichtlich eine "große Distanz zur Politik". Damit müssten sich die etablierten Parteien auseinandersetzen und das Gespräch mit den AfD-Wählern suchen, so Esken, für die es nach dem stressigen Wahlsonntag keine Ruhepause gibt. Denn schon heute fliegt sie zur Fraktionssitzung wieder nach Berlin.

An der Spree weilte ihr CDU-Parlamentskollege Hans-Joachim Fuchtel am Wahlabend schon, um gemeinsam mit 50 JU-lern aus der Region, zuerst im Konrad-Adenauer-Haus, später in der baden-württembergischen Landesvertretung, den Wahlausgang mitzuverfolgen. Und der 65-Jährige machte am Wahlabend angesichts der herben Verluste auch keinen Hehl aus seiner Enttäuschung: "Ich hatte ein besseres Ergebnis erwartet". Aber er sieht die wichtigsten Ziele gleichwohl erfüllt: Rot-Rot-Grün sei verhindert worden und Angela Merkel bleibe Kanzlerin. Eine Jamaika-Koalition mit Grünen und Liberalen sieht das "Gewicht in Berlin" ganz pragmatisch: "Politik ist die Kunst des Möglichen. Solange man keine Alleinregierung stellen kann, muss man immer Kröten schlucken."

Eine Botschaft – vor allem der Protestwähler – glaubt er verstanden zu haben: "In Flüchtlingsfragen", sagt Fuchtel, "müssen wir Lösungen aufzeigen, die funktionieren." Der bisherige Staatssekretär im Entwicklungshilfeministerium zieht zum neunten Mal in den Bundestag ein, in dem er seit 1987 für den Wahlkreis vertreten ist.

Hans-Joachim Fuchtel (CDU) und Saskia Esken (SPD) hätten sehr gute Arbeit geleistet. Das habe sich im Ergebnis nicht niedergeschlagen. Nicht nur Landrat Helmut Riegger wurde nachdenklich angesichts der Zahlen in seinem Wahlkreis. In der Tat waren beide Abgeordnete oft vor Ort, haben bei wichtigen Infrastrukturprojekten wie dem Calwer Tunnel an einem Strang gezogen. Und sind am Ende beide abgewatscht worden. Esken hätte es beinahe ihren Sitz im Bundestag gekostet.

So gut wie keine Rolle, so Riegger weiter, habe die gute wirtschaftliche Lage gespielt. Stattdessen war es offensichtlich die Flüchtlingsdiskussion, die die Menschen umgetrieben hat. Was letztlich Wasser auf die Mühlen der AfD war.

Dabei, so Riegger, komme gerade im Kreis Calw die Integration voran. Die Flüchtlinge seien gut untergebracht, es gebe keine nennenswerten Auffälligkeiten. Nun, vielleicht sind es nicht so sehr die Asylsuchenden als solche, die für Frust bei den Wählern sorgen. Sondern eher das Empfinden, dass für Flüchtlinge immer ganz schnell Geld da war, was seit Jahren für vieles andere offenbar nicht vorhanden ist. Schule, Nahverkehr, Digitalisierung, Straßen – die Liste ist längst nicht vollständig.

"Wenn du sehen möchtest, was schnelles Internet ist, dann musst du nach Istanbul." Mit solchen Erkenntnissen kehren Reisende aus der Türkei zurück. In manchen Schwarzwalddörfern wäre man schon froh, wenn wenigstens ein langsames Internet funktionieren würde. Immer wieder kommt es zu stundenlangen Ausfällen mit dem hübschen Nebeneffekt, dass auch das Telefon tot ist. Möglicherweise kennt Fuchtel von seinen Reisen als Staatssekretär im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Entwicklungsländer, in denen das besser funktioniert.

Nicht nur mit dem Internet ist der ländliche Raum schlecht versorgt. Nach und nach bricht vieles weg. Der letzte Laden schließt, die Post macht ihre Filiale zu, Volksbank oder Sparkasse sind allenfalls noch mit einem Automaten vor Ort. Um wenigstens die Landgasthäuser zu retten, hat Fuchtel als letzte Wahlkampfrakete eine große Rettungsaktion gestartet. Vielleicht wäre es besser gewesen, "unser Gewicht in Berlin" hätte versucht, den bürokratischen Wust aus Mindestlohn und Arbeitszeitregelungen zu verhindern. Der ist der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD zu verdanken und trägt wesentlich dazu bei, dass viele Wirte aufgegeben haben.

Ein weiteres Beispiel ist die Krankenhausdiskussion im Kreis Calw. Das ist primär kein bundespolitisches Thema. Doch neigt der frustrierte Wähler nun mal nicht zu solch feinsinnigen Unterscheidungen. Wenn es um die Zukunft der Kliniken geht, sind die Menschen noch immer verunsichert. Ein Bürgerforum wurde von vielen Teilnehmern als Alibi-Veranstaltung wahrgenommen. Auch die Kommunalpolitik ist nicht immer bei den Menschen.

"Ich rufe von meinem Privathandy an, unsere Dienststelle hat gerade kein Telefon". so meldete sich dieser Tage ein Polizeibeamter in der Redaktion. Gut und sicher leben, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel treuherzig von ihren Wahlplakaten lächelte, sieht ein Stück weit anders aus. Was nicht heißen muss, dass es uns schlecht geht in diesem Land. Aber es gärt gewaltig unter der Oberfläche und das hat seine Gründe.