Mit einer gelungenen Mischung aus Musik und Lesung wurde die jüngste Veranstaltung des Calwer Lesesommers zu einem großartigen künstlerischen und emotionalen Erlebnis. Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder-Bote

Packende Lesung hinterlässt einen starken Eindruck / Zeitreise ins späte Mittelalter / Soloeinlagen

Von Bettina Bausch

Calw. Ein besonderer Leckerbissen war die jüngste Lesung im Rahmen des Gerbersauer Lesesommers, die jetzt im großen Sitzungssaal des Landratsamtes stattfand. Als spe-zieller Gast musizierte das experimentierfreudige "Komos Ensemble" mit Sopranistin Sarah-Lena Eitrich aus Trossingen.

"Englische Renaissance-Musik ist etwas ganz Neues in Calw", stellte Kreisarchivar Martin Fries bei der Begrüßung der Gäste fest. Tatsächlich erlebten die Besucher einen faszinierenden Abend.

Neben spannenden Leseproben aus Hermann Hesses "Narziß und Goldmund" waren ungewöhnliche musikalische Klänge aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu hören. Dabei brachte das junge dynamische Quartett mit seiner stilgetreuen und zeitgenössischen Darbietung historischer Werke frischen Wind in den Saal. Der Anteil der Musik war bei dieser Lesung so groß, dass die Besucher schon fast eine Doppelveranstaltung aus Konzert und Lesung erlebten. Die talentierten Musiker verstanden es ausgezeichnet, die Zuhörer mit historischen Instrumenten und authentischen Klängen musikalisch in frühere Jahrhunderte zu versetzen. Soloeinlagen der Sopranistin Eitrich waren zudem wahre musikalische Leckerbissen.

Die vom Calwer Hesse-Kenner Herbert Schnierle-Lutz konzipierte Lesung stand an diesem Abend unter dem Motto "Aus Goldmunds Liebes-abenteuern". Es wurden dementsprechend Textpassagen aus Hermann Hesses Roman "Narziß und Goldmund" gelesen, der im späten Mittelalter spielt.

Der Klosterschüler Goldmund ist zwar vom Vater für das Klosterleben bestimmt. Er hält es jedoch hinter Kloster- mauern nicht aus. Der Jüngling hat das Blut seiner Mutter in den Adern. "Eine Tänzerin sei sie gewesen, ein schönes wildes Weib von unguter und heidnischer Herkunft", charakterisiert sie Hesse. Sie hat Mann und Kind verlassen und Goldmund hat kaum Erinnerungen an sie. Er erlebt schließlich im Kloster einen Zusammenbruch. In Gesprächen mit Narziß wird Goldmund immer klarer, dass er hinaus muss in die Welt, um nach Liebe und im Grunde auch nach seiner Mutter zu suchen.

Bei den Lesungen wurde aufgezeigt, wie der besonders schöne strahlende Jüngling schnell Erfolg bei den Frauen hatte. Doch seine Beziehungen zum weiblichen Geschlecht bleiben stets oberflächlich und sexbetont. Goldmund ist ein Getriebener, der nach kurzen Liebesepisoden immer weiterziehen muss.

Bei Lydia, der Tochter eines Ritters, erlebt der Held des Romans dann aber auch wahre Liebe, die ihn stark berührt. Aber die Standesunterschiede lassen eine Verbindung nicht zu. Der heimatlose Goldmund wird vom Ritter mitten im Winter fortgejagt.

Was heute bei der detaillierten Beschreibung von Hesses Liebesszenen längst nicht mehr als anstößig empfunden wird, wurde früher als äußerst unanständig und moralische Entgleisung bewertet. Dies hat dem Ansehen des Nobelpreisträgers Hesse in konservativen Kreisen lange geschadet. Schnierle-Lutz erklärte damit auch die anfängliche Ablehnung des Namens "Hermann Hesse-Gymnasium" durch den Calwer Gemeinderat. Dies sei vor allem so geschehen, weil der damalige Rektor sich entsetzt über Hesses Literatur geäußert habe. "Solche Literatur würde ich niemals meiner Frau und erst recht nicht meinen Schülern zu lesen geben", schrieb er in einem Brief an das Calwer Ratsgremium.

Die professionellen Sprecher Anna Greiter und Benedikt Schregle machten die Veranstaltung zu einem vollendeten Genuss. Sie trugen mit ihrer packenden, ausdrucksstarken Vortragsweise besonders zum Gelingen des literarischen Abends bei.

Mit einer gelungenen Mischung aus Musik und Lesung wurde die jüngste Veranstaltung des Calwer Lesesommers zu einem großartigen künstlerischen und emotionalen Erlebnis.