Fährt auf diesen Schienen irgendwann nicht nur die Hermann-Hesse-Bahn, sondern auch eine S-Bahn direkt von Stuttgart bis Calw? Foto: Fritsch

Hinter Aufrüstung der Hermann-Hesse-Bahn stehen aber noch viele Fragezeichen.

Calw/Stuttgart - Eine alte Idee feiert Renaissance: Die eigentlich totgeglaubte Verlängerung der S-Bahn von Stuttgart bis Calw wird jetzt, da das Projekt Hermann-Hesse-Bahn (HHB) immer mehr Gestalt annimmt, wieder aufs politische Tableau gehoben. Nicht nur im Calwer Landratsamt beginnt das große Rechnen.

CDU-Fraktionschef Jürgen Großmann ging in seiner Haushaltsrede bei der jüngsten Kreistagssitzung in die diplomatische Offensive: "Wir reichen dem Landkreis Böblingen die Hand", erklärte Großmann mit Blick auf die Hesse-Bahn und plädierte dafür, dass man trotz aller Auseinandersetzungen mit den Beteiligten im Gespräch bleiben müsse.

"Wir reichen dem Landkreis Böblingen die Hand"

Weil die Nachbarn im Osten zu 45 Prozent an den verkehrlichen Vorteilen partizipieren würden, war sein Appell zur Befriedung auch mit einer Forderung verknüpft: Der Landkreis Böblingen und auch die Anliegerkommunen, die bekanntlich gegen das Calwer Jahrhundertprojekt juristisch wie politisch zu Felde ziehen, sollen als Zeichen der Solidarität sich an dem Finanzierungskonzept beteiligen und beim Zweckverband mit ins Boot geholt werden. Für Großmann ist diese Öffnung zugleich die "Nagelprobe", ob ein solcher Schulterschluss über Kreisgrenzen hinweg funktionieren kann.

Währenddessen wird im Hintergrund das vom Kreistag im Sommer vergangenen Jahres verabschiedete Stufenkonzept vorangetrieben, das damals unter Moderation von Verkehrsminister Winfried Hermann entstanden war.

Die Stufe 1 dieses Konzepts, die Umsetzung der Hesse-Bahn von Calw bis Renningen im Dieselbetrieb, ist längst gezündet. Sollten die letzten juristischen Hürden – einer gerichtlichen Entscheidung harrende Klagen von Anrainerkommunen, Naturschützern und Privatanliegern – genommen werden, soll noch im kommenden Jahr mit dem Bau begonnen werden.

Stufe 2 ist das, was man im Kreis Calw eigentlich von Anfang an wollte, nämlich die direkte Anbindung ans Stuttgarter S-Bahnnetz. Doch dieses Vorhaben scheiterte nicht nur an politischen Differenzen, sondern vor allem an der fehlenden Wirtschaftlichkeit. Und ohne ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept fließt kein Cent Steuermittel.

Also konzentrierte man sich im Calwer Landratsamt auf das Machbare: die Hesse-Bahn, die mit erwarteten 2800 Fahrgästen täglich auch wirtschaftlich Sinn macht und damit zu 50 Prozent über Zuschüsse aus dem GVFG-Programm finanziert werden kann.

Auf Initiative der Regionalfraktionen des Verbands Region Stuttgart, Betreiber des S-Bahnnetzes, ist die Realisierung der Stufe 2 wieder in den Blickpunkt gerückt. Im Calwer Landratsamt will man sich solchen Gedankenspielen nicht verschließen, zumal diese S-Bahnverlängerung ja ursprüngliche Intention war.

Für die S-Bahn müssten "Hardcore-Autofahrer auf den ÖPNV umsteigen

Aber es tun sich wieder neue und altbekannte Hürden auf. Bei der Hesse-Bahn ist der Landkreis Calw alleiniger Herr des Projekts, bei einer S-Bahnverlängerung bis Calw säßen wieder mehrere Kapitäne mit im Boot, die alle mitentscheiden wollen.

Zudem müssten bei der Stufe 2, die in einem Zeithorizont bis zehn Jahre nach der Inbetriebnahme der Hesse-Bahn gesehen wird, wieder – zusätzlich zu den 50 Millionen Baukosten für die HHB – zig Millionen in den Ausbau der Infrastruktur gesteckt werden, damit die S 6 bis nach Calw fahren kann: von der Elektrifizierung über einen dann notwendigen zweigleisigen Abschnitt vor oder nach dem Hirsauer Tunnel bis hin zu eventuell nötigen Stützbauwerken und einer Aufrüstung der Bahnsteige.

Damit sich diese Mehrkosten rechnen, müssten zusätzlich zu den 2800 kalkulierten Fahrgästen weitere Kunden gewonnen werden: Also eigentliche "Hardcore-Autofahrer", wie sie HHB-Projektleiter Michael Stierle in der Kreistagssitzung nannte, die man förmlich einzeln aus ihrem Auto holen und für den ÖPNV begeistern müsste.

Im günstigsten Fall – also die Mehrkosten für die Aufrüstung gegengerechnet – wären dies 370 Fahrgäste, die zusätzlich auf der Strecke zwischen Calw und Renningen gewonnen werden müssten, um die S-Bahn wirtschaftlich betreiben zu können. Und sollte der Umbau auf S-Bahn-Niveau richtig teuer werden, wären’s sogar 960 Kunden, die zusätzlich zu generieren wären. Also statt 2800 Fahrgäste bei der HHB 3760 für die S 6.

Eine Arbeitsgruppe, der Vertreter des Verbands Region Stuttgart, der Kreise Böblingen und Calw, der Städte Weil der Stadt und Renningen sowie des Verkehrsministeriums angehören, hat sich nun dieses Themas angenommen und prüft die Machbarkeit dieser Anschluss-Option.

Wer indes für den S-Bahnbetrieb bis nach Calw und dessen Mehrwert finanziell aufkommen soll, das räumte Michael Stierle vor dem Kreistag ein, sei "noch nicht diskutiert" worden.