In der linken Hand hält Kai Podack sein eigenes, nur seine Stimme perfekt akzentuierendes Mikrophon. Die Rechte "spielt" dieses Instrument. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Jazz: Ex-Aurelianer zeigt, dass aus einem Chorknaben noch ein "anständiger" Sänger werden kann

Calw. Bitte, bitte – das Folgende nicht falsch verstehen. Aber: Aus einem Aurelianer kann ja doch noch ein richtig anständiger Sänger werden! Rotzfrech, manchmal verrucht, schon auch vom Leben gezeichnet – was einer Stimme erst Tiefe und Charakter verleiht. Beispiel: Kai Podack. In Calw geboren und aufgewachsen, Baujahr 1982.

Kleider machen Leute

Ein Aurelius Sängerknabe der späten 980er- und dann 90er-Jahre. Aber das, was der Calwer Jung da bei Jazz am Schießberg vorstellte, war, naja, so ganz anders. Sicher, ein Heimspiel – "Friends and Family" stellten offensichtlich den Großteil des Publikums, wurden persönlich begrüßt, Smalltalk mit dem Sänger. Der weiß, im Showbizz machen Kleider Leute: lila Schiebermütze zum lila Hemd, silbergrau glänzende Schuhe – das muss man sich trauen können. Passte aber zum Sound dieses Abends – Swing vom Feinsten, gespielt von der Minimal-Combo für solche Musik: Piano, Schlagzeug, Bass – letzterer mal analog, mal elektrisch: Running Gag des Abends, wenn Bassist Tobias Schmidt, der erst sehr kurzfristig für diesen Gig eingesprungen war, von einem aufs andere Instrument wechseln musste – und Podack als Impressario die entstehenden Pausen zu überbrücken hatte.

Wer schon mal in Downtown New York in einem Jazz-Club war – genau diese Atmosphäre zauberte Podack mit seiner variationsreichen, anfangs aber noch von einer Grippe oder Erkältung gezeichneten Stimme ins Rund des Forums. Auch, dass die Verstärker-Boxen auf Metall-Stühlen lagerten, war nicht ideal. Aber, hey, Jazz ist nun mal Improvisation. Handgemacht. Echt. Authentisch. Weshalb Podack, ganz der Singer-Songwriter, seine Songs meist selber schreibt. Meist auf deutsch. Und ausschließlich, wie er sagt, autobiografisch.

"Ich schreib besonders gut, wenn’s mir schlecht geht", erzählt er. Leidenschaft kommt halt von Leiden. Da das auch beim schwarzen Jazz der Fall ist. Aus dem sich mit Aufkommen der großen Big Bands der Swing entwickelte. Zweifellos Podacks Idol: klar, Swing-Ikone Frank Sinatra.

Aber zum extrem volumenreichen Crooner, der ultimativen Schmelz über sechs, sieben Oktaven in seine Stimme legen kann, fehlt’s heute ein wenig. Podacks Stärke: der echte Jazz-Gesang. Wenn die Stimme zum Instrument wird, mit der er die Töne durch eben alle Oktaven der Stimmbänder jagt. Der kürzlich verstorbene Al Jarreau war ein Meister darin, von dem man sagte, seine Stimme brächte ein ganzes Orchester hervor: Schlagzeuge und Saxofone, Trompeten und Flöten, Congas und Bässe.

Abgefahrenen Töne

Kai Podack steht dem in nichts nach. Wie er zu diesen total abgefahrenen Tönen kommt, ist zudem eine Schau zum Ansehen: In der linken Hand hält er sein eigenes, mitgebrachtes, nur seine Stimme perfekt akzentuierendes Mikrofon. Die Rechte "spielt" dieses Instrument Stimmbänder, mit deren Bewegung der Sänger jeden Ton im Raum "findet", als würde er ihn greifen oder anstoßen.

Egal, in welche Höhen er dabei hin will. Nebeneffekt: Mit jedem Song, mit jeder Gesangsexplosion singt sich Podack von seiner Erkältung freier. Sein Stimme wird immer besser, tiefer, reifer, voller. Aber ja, Podack sagt es in einer seiner Moderationen selber, "egal welche Mühe man sich gibt, Songs auf Deutsch zu schreiben – auf Englisch klingt es einfach geiler."

Auch, wenn’s der deutsche Radio-Zeitgeist heuer nicht so wahrhaben will. Und man da manchmal gar schreckliche Kompositionen erdulden muss. Podack zeigt, dass er auch den originalen, eben englischen Swing perfekt beherrscht. Um schließlich dort hinzugelangen, wo deutsche Texte dann doch wieder exzellent funktionieren: da, wo Podack als Mitglied der Gruppe "Füenf" sich seine Brötchen regelmäßig verdient – im Comedy, fast Blödel-Gesang.

"Ich liebe meinen Thermomix" ist einer dieser Songs, das ganz eigene "Schwabenlied" der "Füenf" ein anderes. Aber zum Glanzlicht wird dieses Konzert, wenn’s echter, authentischer Swing ist, dem sich Podack hingibt. Wo man merkt, er ist ein Besessener. Ein Süchtiger nach dem Bühnen-Spot.

Einer, der der Musik komplett verfallen ist. Der immer alles gibt für seine Musik und sein Publikum. Und der New Yorker Jazz-Club am Schießberg lebendig wird.