Selbst auf getrockneter Birkenrinde wurden Grüße an die Liebsten in die Heimat von der Ostfront verschickt, wie hier Gefreiter Hans R. an seine Bekannte Paula L. Foto: Privatarchiv Würfele Foto: Schwarzwälder-Bote

Lesung aus Feldpostbriefen löst große Betroffenheit aus / Einblick in den Alltag zweier Weltkriege

Von Hartmut Würfele

Calw. "Nimmt denn dieser Schwindel überhaupt kein Ende, der Teufel soll die Kerle holen, die diesen Krieg gewollt und entfesselt haben …" oder "ich habe meinen toten Kameraden noch unter eine Tanne gelegt." . Solche und andere Sätze haben bei der Lesung aus Feldpostbriefen bei der Nachmittagsakademie der Evangelischen Erwachsenenbildung große Betroffenheit ausgelöst.

Feldpostbriefe waren meist die einzige Verbindung, die es zwischen den Soldaten an der Front und ihren Familien in der Heimat im Ersten und Zweiten Weltkrieg gab. Jeder einzelne dieser Briefe war ein Abbild vom Seelenleben des Verfassers. Ängste, Befürchtungen und Hoffnungen wurden damit in die Heimat übermittelt. Oft waren es auch die letzten Worte, die der Soldat an die Ehefrau, Kinder, Eltern oder Geschwister schicken konnte.

Im Rahmen der Reihe "2015 – 1945 – 1915 erinnern Calw", die aus Anlass des Endes des Zweiten Weltkrieges vor 70 Jahren vom Archiv sowie der Musikschule der Stadt Calw, der Evangelischen Erwachsenenbildung nördlicher Schwarzwald und der Volkshochschule Calw veranstaltet wird, fand jetzt eine Lesung aus Feldpostbriefen aus den beiden Weltkriegen statt. Stadtarchivar Karl J. Mayer hat aus den dem Archiv vorliegenden Briefen besonders eindrückliche Zeugnisse und Erlebnisse des Kriegsalltags von vor allem Calwer Soldaten zusammengestellt. Sie wurden von der Pforzheimer Schauspielerin Heidrun Schweda beeindruckend vorgetragen. Nachdenklich verfolgenden die Zuhörer die einzelnen Passagen.

So schrieb der 19-jährige Gerhard H. Ende 1941 nach Hause: "Der Vormarsch war zu Ende. Der Rückzug begann. Es war eisig kalt, teilweise unter minus 30 Grad. Als erstes fiel die Verpflegung aus, da mit dem Tross keine Verbindung mehr bestand. Eingraben war unmöglich geworden. Waschen und Wäschewechseln war nicht mehr drin. Die Läuse fraßen einen fast auf. Die Verpflegung war so schlecht, dass die einzelnen Kompagnien sich selbst beklauten …" Oder Soldat Hermann S. an seine Familie in Hirsau von der Ostfront im Juli 1942: "Der letzte Marschtag wird uns ewig gedenken. Die Vormarschstraße wurde vom Feind eingesehen, und weil wir so schön in Marschordnung ankamen, hat der Russe uns mit schweren Granatwerfern beschossen, so dass wir gleich eine kleine Feuertaufe hatten. Leider kostete es vier Mann das Leben und sieben wurden schwer verwundet. Tagsüber kann man auch nicht schlafen, weil einem da die vielen Schnaken und Läuse quälen. Waschgelegenheit ist auch keine vorhanden, so dass man langsam verlaust und verdreckt. Man könnte verrückt werden. Hoffentlich kommt recht bald der Tag, wo diese Menschenschlächterei aufhört. Der Teufel soll die Kerle holen, die diesen Krieg gewollt und entfesselt haben."

Die Feldpostbriefe wurden, wenn auch nur stichprobenartig, kontrolliert und zensiert. Die Soldaten wurden zudem gedrängt, möglichst positiv vom Frontalltag zu berichten. Auch wollten die Soldaten nicht auf alles Erlebte eingehen. Trotzdem können die Briefe einen Einblick in den Kriegsalltag geben.