Im Oktober 2013 kam Francis Ubabuike nach Deutschland. Zwei Monate später landete er in Nagold und schließlich beim VfL, wo er eine neue Heimat gefunden hat. Foto: Geideck Foto: Schwarzwälder-Bote

FußballBewegende Lebensgeschichte: Als Aslybewerber hat Francis Ubabuike beim VfL Nagold in der Verbandsliga Fuß gefasst

Von Tim Geideck

In der Verbandsliga hat sich Francis Ubabuike inzwischen einen Namen gemacht. Sein Trainer Sven Hayer traut ihm sogar eine höhere Liga zu. Doch den Weg zum VfL Nagold fand der Asylbewerber durch puren Zufall – und nach langer Suche.

Ein kalter Januar-Abend vor gut einem Jahr. Die Mannschaft des VfL Nagold beginnt gerade mit der Vorbereitung auf die Rückrunde, da taucht am Rand des Platzes plötzlich ein frierender Nigerianer auf, der kein Wort Deutsch spricht. Soweit nichts Ungewöhnliches, denn mit der steigenden Zahl der kriegerischen Konflikte in der Welt steigt auch die Zahl der Asylbewerber in Nagold. Und die sind oft fußballbegeistert. "Es steht öfter mal einer beim Training da", weiß VfL-Trainer Sven Hayer. Den Sprung in den Kader hat bislang aber noch keiner geschafft. Mit Ausnahme von Francis Ubabuike. Eben jener Nigerianer, der vor gut einem Jahr sein Glück beim VfL gesucht hat – und gefunden hat.

Warum der heute 20-Jährige sein Heimatland verlassen hat und wie er nach Europa gekommen ist, weiß man beim VfL nicht so genau. Ubabuike spricht nicht darüber. Das wird respektiert, weshalb beim Verein niemand nachbohrt. "Vielleicht sagt er es uns ja mal bei einem Trainingslager", vermutet Hayer.

Klar ist, dass religiöse Auseinandersetzungen in Nigeria auf der Tagesordnung stehen. Klar ist auch, dass der gläubige Christ Ubabuike seine Eltern und seine Schwester zurückgelassen hat. Von ihnen hat er seit längerer Zeit nichts gehört. "Das ist sehr schwer für mich", sagt der ansonsten dauerlächelnde 20-Jährige mit ernster Miene, "aber ich weiß, dass sie leben."

Deutschland hat Ubabuike im Oktober 2013 erreicht. Im Alter von 18 Jahren. Zunächst kam er in eine Unterkunft für Asylbewerber in Karlsruhe. Dort herrschten strenge Regeln, auch die Stadtgrenzen durfte der Nigerianer nicht verlassen. Für einen Tapetenwechsel sorgte ein Mannheimer Fußballturnier, bei dem afrikanische Asylbewerber gegeneinander spielten. Nicht unumstritten: Profivereine nutzen solche Veranstaltungen für die Talentsichtung. Auch ein Scout der TSG Hoffenheim schaute sich das Turnier in Mannheim an – und wurde auf den pfeilschnellen Ubabuike aufmerksam. Der sammelte in Nigeria immerhin schon Zweitliga-Erfahrung.

Ubabuike und die TSG Hoffenheim vereinbarten ein Probetraining, an dem das nigerianische Talent auch teilnahm. Doch dabei blieb es. Gerade in taktischer Hinsicht seien die Unterschiede zwischen Deutschland und Nigeria einfach zu gravierend, gesteht Ubabuike. Außerdem wäre es für ihn zum damaligen Zeitpunkt nicht einfach gewesen, regelmäßig das Training in Sinsheim zu besuchen. Von Behördenseite durfte er Karlsruhe schließlich nicht verlassen.

Im Dezember 2013 musste Ubabuike umziehen und wurde im Asylbewerber-Heim in Nagold untergebracht, wo er bis heute lebt. Die Fahrt von Karlsruhe nach Nagold erfolgte über die B 463, so dass das Erste, was der Nigerianer von der Stadt sah, das gleich am Ortseingang gelegene Stadion war. Und dieser Anblick ließ den Nigerianer nicht mehr los. Schnell hörte er sich um und erfuhr, dass der VfL zu den besten Fußballmannschaften in der ganzen Region gehört. Dort wollte er Fuß fassen.

Das Problem: Wie sollte er Kontakt zum Verein herstellen? In Nagold kannte er niemanden, sprach noch immer kein Wort Deutsch, hatte keinerlei Ortskenntnisse. "Ich bin eine Woche lang durch die Stadt gelaufen und habe das Stadion gesucht", lacht Ubabuike. Heute weiß er, dass er immer am völlig falschen Ende gesucht hat. Doch nach einer Woche wurde er dann doch noch fündig – und tauchte an einem kalten Januar-Abend plötzlich beim VfL-Training auf.

Das Talent des jungen Nigeraners erkannte Hayer prompt. Der VfL setzte alle Hebel in Bewegung, damit Ubabuike für die Rückrunde spielberechtigt ist. Hayer: "Einen Tag, bevor die Frist abgelaufen ist, sind wir noch nachts nach Stuttgart gefahren und haben den Passantrag beim WFV in den Briefkasten geworfen." Dennoch war Ubabuike noch nicht reif für die Verbandsliga. Das gleiche Defizit wie schon bei der TSG Hoffenheim: das taktische Grundverständnis. Dazu war er "von der Robustheit nicht auf der Höhe", wie Hayer sagt.

Ubabuike musste also zunächst mit der Bezirksliga Vorlieb nehmen, wo er Spielpraxis sammeln konnte. Er schob Extra-Trainingseinheiten, arbeitete viel und rückte so in den Kader der ersten Mannschaft auf. Zu Beginn dieser Saison saß er zwar noch auf der Bank, gehört mittlerweile aber zu den Leistungsträgern im Nagolder Verbandsliga-Team. "Wir haben ihn ins kalte Wasser geworfen, aber er hat sich seinen Stammplatz erkämpft", freut sich Hayer. Durchweg gute Spiele habe der 20-Jährige aus Sicht des Trainers gemacht, mit Ausnahme der Partie im November in Schwäbisch Hall. Hayer: "Tiefe Temperaturen und tiefer Rasen. Das kennt er nicht. Wir müssen schauen, wie er in den kommenden Spielen damit zurecht kommt. Durch seine Geschwindigkeit ist er für unsere Offensive aber ungemein wichtig."

Und auch fürs Mannschaftsklima. Ubabuike gilt als Spaßvogel, seine Teamkollegen nennen ihn nur noch "Franz". Selbst die Sprachbarriere fällt immer mehr, die Kommunikation auf dem Platz funktioniere einwandfrei, der Nigerianer nimmt inzwischen sogar Deutsch-Unterricht. In Nagold fühle er sich pudelwohl, neben dem VfL hat er Anschluss bei der Neuapostolischen Kirche gefunden, die er regelmäßig aufsucht. "Ich bin glücklich beim VfL und in Nagold", sagt Ubabuike, "man kann hier alles kaufen, was man braucht, es gibt ein Krankenhaus, kann mit Bus und Bahn überall hinfahren."

Das kann der Asylbewerber mittlerweile tatsächlich, denn die Behörden erlauben ihm nun ein freies Bewegen innerhalb von ganz Deutschland. Gerade für die Auswärtsspiele des VfL ist das nicht unwichtig. Durch eine Sondergenehmigung darf Ubabuike sogar eigenes Geld verdienen. Ein Mannschaftskollege hat ihm einen Job bei der Firma Schuon in Haiterbach vermittelt. Der einzige Stolpersein ist bislang noch die Unterkunft, denn demnächst muss er das Nagolder Asylbewerber-Heim verlassen. Doch hier arbeitet der VfL derzeit an einer Lösung. "Wir suchen für ihn nach einer Wohnung in Nagold", sagt Hayer und verdeutlicht: "Er wird durch den Fußball und unseren Verein in die Gesellschaft integriert."

In Nagold bleiben können – das ist für Ubabuike das Wichtigste. Hier hat er eine neue Heimat gefunden und mit dem VfL eine Aufgabe, die ihn antreibt. Sein sportliches Ziel: weg von den Abstiegsrängen, vielleicht sogar einmal den Aufstieg in die Oberliga anpeilen. "Wir hatten viel Pech. Aber ich weiß, dass wir das schaffen können", meint Ubabuike. Er selbst hat mit seinen bislang fünf Saison-Toren einen nicht unerheblichen Anteil am momentanen neunten Tabellenplatz. Doch der Nigerianer betont: "Die Anzahl der Tore, die ich geschossen habe, ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir die Punkte holen."

Bleibt aus Nagolder Sicht nur zu hoffen, dass Ubabuike dem VfL weiterhin die Stange hält. Denn Hayer prognostiziert: "An seiner Rückwärtsbewegung muss er noch arbeiten. Aber er hat viele Voraussetzungen, um auch höherklassig zu spielen."