Stammheim fast zur Hälfte abgebrannt / Am 19. und 20. April sterben fünf Einwohner

Von Alfred Verstl

Calw-Stammheim. Wer dieses Inferno überlebt hat, dürfte es bis zu seinem Tod nicht vergessen. Auch Horst Roller nicht, damals gerade zwei Jahre alt. Dem Stammheimer Ortschronisten ist es zu verdanken, dass das Kriegsende in der Gemeinde genau dokumentiert ist.

70 Jahre ist es nun her: Am 19. und 20. April 1945 brannte nach dem Beschuss durch Granaten und Bomben nahezu halb Stammheim ab. Fünf Einwohner fanden den Tod.

Entscheidend waren diese Kriegshandlungen nicht mehr. Die Wehrmacht befand sich in Auflösung. "Als die Franzosen am 15. April in Calw einrückten, verließen die deutschen Soldaten unsere Gegend", berichtet nach Rollers Aufzeichnungen der Augenzeuge Karl Blaich.

Doch Hitlers letztes Aufgebot rückte nach, die Jüngsten, gerade 16 Jahre alt. Ein großes Verhängnis für Stammheim war es laut Roller, dass General Albert Kesselring, Oberbefehlshaber West, Soldaten in eine neue Verteidigungslinie, die bei Stammheim verlief, verlegt hatte. Sie beschossen vom Galgenberg aus die von Calw anrückenden Franzosen, die zunächst umkehrten. Nur 20 Minuten später kamen aus Richtung Westen zwölf Jagdflugzeuge. Sie bombardierten zunächst irrtümlich Gechingen. Es gab dort sieben Tote, sechs Gebäude brannten ab.

Dann kehrten die Flugzeuge zurück und das Inferno begann. In drei Wellen flogen sie über das Ortszentrum. Sie warfen Spreng- und Stabbrandbomben Roller sowie Phosphorkanister ab. schildert: "Die Häuser der Holzbronner Straße zwischen dem Friedensheim und der Pumpstation Gechinger Straße gehen sofort in Flammen auf. Nicht viel später brennt es in der Molkerei- und Hermannstraße. Eine riesige Rauchsäule verursacht völlige Dunkelheit." In der durch den Brand entfachten Hitze stiegen die Temperaturen auf bis zu 1000 Grad. Die Einwohner flüchteten; viele in letzter Minute aus den Kellern, heißt es weiter. Man band, soweit möglich, Vieh und Pferde los. Am Ende waren 120 Tiere tot, manche durch Lungenschäden, hervorgerufen durch Phosphor. Gelöscht wird wegen des Wassermangels auch mit Gülle. Organisator war Gottlieb Gugeler, Leiter des damaligen Kinderheims. Nahezu 500 Personen suchten in den stehen gebliebenen Häusern eine Unterkunft.

Tags zuvor war Stammheim mit Granaten beschossen worden. Zwei Frauen und ein Kind starben durch Splitter. Zuvor hatte Augenzeuge Erwin Ritter ein kleines Flugzeug beobachtet, das über Stammheim kreiste. Die Menschen, die sich am Brunnen in der Gechinger Straße versammelt hatten, wurden von dem Beobachter offenbar für Soldaten gehalten. Ein verhängnisvoller Irrtum, denn daraufhin kam es zum Beschuss.

Lange war es ruhig geblieben in Stammheim, nachdem die Franzosen am 15. April in Calw einmarschiert waren. Gerüchte machten die Runde, dass die Soldaten die Weinhandlung Schnaufer geplündert hätten und erst einmal ihren Rausch ausschlafen müssten. Als Nachbarn, so berichtet Karl Blaich, die jungen deutschen Soldaten sahen, wurde es ihnen mulmig. "Wenn es nur keine dumme Sache gibt", hieß es. Man wäre froh gewesen, die Franzosen wären vor den deutschen Soldaten gekommen.

Ein weiße Fahne zu hissen, wagte zunächst keiner. Wer es getan hätte, wäre erschossen worden. Daran ließen im Ort aufgehängte Plakate keinen Zweifel. Schon als es in Stammheim am Tag der Bombardierung lichterloh brannte, fuchtelte der Ortsgruppenleiter noch mit der Pistole herum. Dann hängte Paul Pfeiffle doch ein Leintuch am Kirchturm auf. Damit bewies er viel Mut, auf dem Rückweg wurde er bedroht. Er dürfte Schlimmeres verhindert haben. Bilder gibt es so gut wie keine aus dieser Zeit. Alle Fotoapparate wurden von den Franzosen konfisziert. Erst mehr als ein Jahr später wagte es Karl Gommel, sein wiederaufgebautes elterliches Haus in der Gechinger Straße mitten im noch immer zerstörten Stammheim aus einem Bühnenladen in der Burggasse heimlich zu fotografieren.

Schon 1995, zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, hat Horst Roller "Das Kriegsende in Stammheim" in einem Band der "Kleinen Reihe der Stadt Calw" dokumentiert. Er hat mehr als 100 Augenzeugen befragt. Das Buch ist vergriffen. Vielleicht kommt es zu einer erweiterten Fassung, die auch die Nachkriegszeit einschließt. Zumal die Spuren der Verwüstungen noch lange zu spüren waren. Roller und seine Familie haben noch sieben Jahre lang in einer Baracke gelebt. Diese Behelfsunterkünfte hat es bis 1957 in Stammheim gegeben.