Freude bei allen Beteiligten über die S-Bahn-Lösung: Michael Stierle und Albrecht Reusch von Landratsamt (vorne von links) sowie Althengstetts Bürgermeister Clemens Götz, Landrat Helmut Riegger und Calws OB Ralf Eggert (hinten von links). Foto: Bernklau

Neu konzipierte "Hermann-Hesse-Bahn" soll von Calw nach Renningen führen.

Kreis Calw - Lange haben sie daran gearbeitet. Jetzt ist der Durchbruch bei der Anbindung ans Stuttgarter S-Bahn-Netz geschafft. Eine neu konzipierte "Hermann-Hesse-Bahn" soll von Calw über Weil der Stadt nach Renningen fahren. Auch die Hürde der Kosten-Nutzen-Rechnung hat das Projekt genommen.

Wenn bisher von einer S-Bahn-Anbindung von Calw die Rede war, stand stets die Strecke Calw-Weil der Stadt im Fokus. Das hat sich in den vergangenen Monaten geändert.

Bei der im Landratsamt Calw installierten Lenkungsgruppe S-Bahn und den Verkehrsplanern von TTK reifte die Erkenntnis, dass die Verkehrsströme aus dem Kreis Calw Richtung Böblingen/Sindelfingen noch wichtiger sind als die Richtung Stuttgart. Und da geriet ein neuer Abschnitt der Stuttgarter S-Bahn in den Fokus, der Ende des Jahres in Betrieb gehen soll: die S 60 von Renningen über Sindelfingen nach Böblingen.

Aus diesen Erkenntnissen heraus entwickelte man ein Konzept, das ein sichtlich zufriedener Landrat Helmut Riegger, gemeinsam mit Mitgliedern der Lenkungsgruppe, dem Calwer Oberbürgermeister Ralf Eggert und Althengstetts Schultes Clemens Götz gestern der Öffentlichkeit vorstellte. Die neue "Hermann-Hesse-Bahn" soll von Calw über Weil der Stadt bis nach Renningen fahren – mindestens bis 20 Uhr im Halbstunden-Takt. In Renningen besteht dann die Möglichkeit, in die bestehende S-Bahn-Linie S 6 Richtung Stuttgart oder die neue S 60 Richtung Böblingen umzusteigen. Als Haltepunkte auf der Strecke sind Calw ZOB, Calw-Heumaden, Althengstett, Ostelsheim, Weil der Stadt und schließlich Renningen geplant. Zwischen Renningen und Weil der Stadt würde die Hesse-Bahn auf den bestehenden Bahngleisen fahren, die heute schon die Stuttgarter S-Bahn nutzt.

Hesse-Bahn und S 6/S 60 mit einer Fahrkarte

Betreiber der neuen Hesse-Bahn soll der Landkreis Calw werden, der damit Herr des Verfahrens bleibt. Unmittelbarer Ansprechpartner des Landkreises für die Nutzung der Strecken wird die DB Netz sein. Mit der bisher als Betreiberin der Hesse-Bahn gehandelten VVS – sie betreibt die Stuttgarter S-Bahn – will der Landkreis einen Tarifverbund aushandeln, der es möglich macht, dass Hesse-Bahn und S 6/S 60 mit einer Fahrkarte genutzt werden können.

Bei den Kosten gehen die Planer im Landratsamt derzeit von knapp unter 50 Millionen Euro aus. Bei einer Verlängerung der S-Bahn von Weil der Stadt nach Calw hätte diese Summe bei mindestens 70 Millionen Euro gelegen. Die 50 Millionen Euro sind dabei so etwas wie eine magische Marke. Überschreiten die anvisierten Baukosten diese Marke, so wäre vornehmlich der Bund für die Förderung zuständig, bliebe man darunter, wäre das Land der Ansprechpartner. Die maximale Förderung läge im Fall des Landes bei 75 Prozent, im Fall des Bundes bei 80 Prozent. In absoluten Zahlen wären es also bis zu 40 Millionen Euro, die man im Kreis Calw an Fördergeldern erwarten könnte.

Damit das Projekt überhaupt gefördert werden kann, muss es eine Kosten-Nutzen-Rechnung überstehen, die zeigt, dass der Nutzen eines Projekts höher ist als seine Kosten. Nachdem die Ursprungspläne einer S-Bahn-Verlängerung im vergangenen Jahr diese Hürde nicht geschafft hatten, hat die neue Hesse-Bahn Calw-Renningen diese Latte nun "deutlich übersprungen", wie es Landrat Helmut Riegger gestern formulierte.

"Jetzt geht es an die Realisierung", gab sich Riegger gestern tatendurstig. Man werde jetzt mit dem Stuttgarter Verkehrsministerium sprechen und sich an die Ausarbeitung der Förderanträge machen. Darüber, dass das Projekt nicht gefördert werden könnte, macht sich Riegger keine Sorgen. Sowohl aus Stuttgart als auch aus Berlin habe er positive Signale bekommen, so der Kreischef. Dem Kreistag, der noch einen Grundsatzbeschluss zur neuen Hesse-Bahn fassen muss, werde er eine Planung vorlegen, wie der Kreis seinen immer noch enormen Finanzierungsanteil von mindestens zehn Millionen Euro bewältigen kann, kündigte Riegger an. Viel Arbeit kommt da noch auf den Kreis zu, doch: "Ein Ausruhen wird es in dieser Sache nicht geben", versprach Riegger. "Wir wollen diese Bahn so schnell wie möglich."

Kommentar

Der Gordische Knoten ist durchschlagen, der Durchbruch geschafft. Der Weg zur Anbindung ans Stuttgarter S-Bahn-Netz scheint frei. Lange genug hat es ja gedauert. Sorgfalt vor Schnelligkeit – diese Devise hatte Landrat Riegger ausgegeben. Und zur Sorgfalt kam nun auch noch Ideenreichtum.

Die Hesse-Bahn in Regie des Kreises nicht bis Weil der Stadt, sondern bis Renningen fahren zu lassen, hat in mehrerer Hinsicht Charme: Im Kreis bleibt man Herr des Verfahrens, die Kosten sind niedriger, man erschließt mit Stuttgart und Böblingen gleich zwei wichtige Räume und hat auch noch eine direkte Verbindung zu einem neuen großen Arbeitgeber: In Renningen entsteht das Bosch-Entwicklungszentrum.

Die Vorteile für den Kreis Calw liegen auf der Hand und sollten nicht zerredet werden – in Zeiten, in denen gute Nachrichten für den Kreis selten geworden sind.